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Timoschenko verurteilt

Prozeßausgang erschwert Westintegration der Ukraine. Beziehungen Kiews mit Moskau weiterhin angespannt

Von Tomasz Konicz *

Obwohl sich ukrainische Justiz und Politik alle Mühe gaben, dem gestrigen Urteilsspruch gegen die frühere Regierungschefin Julia Timoschenko den Anschein der Normalität zu verpassen, waren die Sicherheitsvorkehrungen rund um Kiew massiv aufgestockt worden. Im Umland der ukrainischen Hauptstadt wurden Spezialeinheiten der ukrainischen Miliz aus etlichen Landesteilen zusammengezogen. Mehrere Hundertschaften der Polizei sicherten das von Demonstranten belagerte Gerichtsgebäude, in dem Timoschenko schuldig gesprochen wurde, 2009 einen Gasvertrag mit Rußland zum Nachteil ihres Landes abgeschlossen zu haben. Der dadurch der Ukraine zugefügte Schaden solle sich laut dem Vorsitzenden Richter Rodion Kirejew auf umgerechnet 137 Millionen Euro summieren. Die ehemalige Ministerpräsidenten hätte ihre »Machtbefugnisse überschritten« und »kriminelle Zwecke« verfolgt, erklärte Kirejew bei der Begründung der siebenjährigen Freiheitsstrafe.

Die für publikumswirksame Auftritte bekannte Timoschenko nutzte die Urteilsverkündung, um erneut das gegen sie geführte Verfahren als einen politischen Schauprozeß zu brandmarken: »Dieses Urteil wird nichts an meinem Leben und an meinem Kampf ändern«, so die Angeklagte, die den Vorsitzenden Richter wiederholt als eine »Marionette« von Präsident Viktor Janukowitsch bezeichnete. Ähnliche Vorwürfe erhoben auch die vor dem Gerichtsgebäude demonstrierenden Anhänger Timoschenkos, die in dem Gerichtsverfahren ein politisches Manöver sehen, mit dem eine aussichtsreiche Mitbewerberin Janukowitschs bei den nächsten Präsidentschaftswahlen ausgeschaltet werden solle.

Die bescheidene Mobilisierung zu der Kundgebung machte indes deutlich, daß die Popularität der einstmals als Ikone der westlich finanzierten »Orangen Revolution« gefeierten Timoschenko längst im Sinken begriffen ist. Zu tief hat sich im Bewußtsein der ukrainischen Bevölkerung die Enttäuschung über die chaotische und von Machtkämpfen geprägte Regierungszeit ihres Lagers eingegraben.

Kritik an dem Gerichtsverfahren übten international vor allem Politiker aus der EU und den USA. Die Verurteilung Timoschenkos dürfte somit die von Kiew angestrebte EU-Integration erschweren, die Janukowitsch noch kurz vor der Urteilsverkündung in einem Interview mit der griechischen Zeitung Ethnos Tis Kyriakis beschwor: Der »ukrainische Weg« führe demnach in die Europäische Union, wobei er durch die Umsetzung »inländischer Reformen« realisiert werden solle. Unklar ist bislang noch, inwieweit das angestrebte Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Kiew von dem Urteilsspruch betroffen sein wird. Am Montag (10. Okt.) hatte die EU-Kommissarin für äußere Angelegenheiten, Catherine Ashton, den Prozeß als »selektive Justiz« bezeichnet.

Dabei belastet der Prozeß gegen Timoschenko auch die Beziehungen zwischen Kiew und Moskau, die ohnehin durch die Bemühungen Janukowitschs getrübt sind, die Gasverträge von 2009 neu zu verhandeln. Der Kreml sieht in dem Prozeß einen Versuch, das energiepolitische Abkommen zwischen den beiden Ländern zu delegitimieren. Bislang haben die Bemühungen des ukrainischen Präsidenten, den Kreml zur Neuverhandlung der Gasverträge zu bewegen, keine vorzeigbaren Resultate gezeitigt. Nach Fertigstellung der Ostseepipeline zwischen Deutschland und Rußland ist Kiew zudem kaum noch in der Lage, den russischen Gastransit in die EU umfassend zu blockieren, wie es im Verlauf des vergangenen Gaskrieges zwischen Rußland und der Ukraine geschah. Etwaige Zugeständnisse macht der Kreml von dem Verkauf des ukrainischen Gas­transitsystems an Gasprom oder von einer Integration der Ukraine in die Zollunion zwischen Rußland, Belarus und Kasachstan abhängig. Beide Bedingungen Moskaus würden aber die von Kiew angestrebte Westintegration massiv erschweren.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß mit dem ehemaligen Präsidenten Viktor Juschtschenko die zweite abgetakelte Galionsfigur der »Orangen Revolution« gegenüber westlichen Medien einen »klaren Pfad zur EU-Mitgliedschaft« der Ukraine forderte. Ohne eine echte Beitrittsperspektive drohe die Ukraine, »in den Orbit Rußlands« einzutreten, warnte Juschtschenko laut dem Wall Street Journal Ende September. Die harte Haltung der EU zu dem Verfahren gegen Timoschenko könne dazu führen, daß Janukowitsch aufgrund der russischen Angebote verbilligter Energieträger auf eine Ostintegration seines Landes »umschwenken« würde, schlußfolgerte die Zeitung.

* Aus: junge Welt, 12. Oktober 2011


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