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Janukowitsch sorgt für Stabilität

Ukraine bemüht sich um spürbare Verbesserungen im Verhältnis zu Russland

Von Manfred Schünemann *

Am 24. August wurde in der Ukraine der 19. Jahrestag der Unabhängigkeit begangen. Während Präsident Viktor Janukowitsch die stabile wirtschaftliche und politische Entwicklung der letzten Monate als Ergebnis seiner Politik hervorhob, sprachen Julia Timoschenko und andere Oppositionspolitiker nur von »Einschränkung der Demokratie», »Gängelung der Medien« und vom »Verrat nationaler Interessen« seit dem Machtwechsel vor einem halben Jahr.

Wenn Präsident Janukowitsch Anfang der nächsten Woche zu seinem ersten offiziellen Besuch nach Berlin kommt, werden es die oppositionellen Argumente sein, mit denen er konfrontiert wird. Denn anders als sein Amtsvorgänger Viktor Juschtschenko, der viel zu lange als Hoffnungsträger für eine demokratische Umgestaltung in der Ukraine hofiert wurde, wird man ihm mit Vorbehalten und Zurückhaltung begegnen. Dabei haben Janukowitsch und die Regierung von Ministerpräsident Mikola Asarow in ihrer kurzen Amtszeit bereits viele der Kritikpunkte, die in den vergangenen Jahre immer wieder zu innenpolitischer Stagnation und zu außenpolitischen Irritationen geführt hatten, erfolgreich überwunden. Dazu gehört vor allem die Beendigung des Dauerstreits zwischen Präsident, Regierung und Parlament, der in den letzten Jahren die Innen- und Außenpolitik des Landes lähmte und das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie immer stärker untergrub.

Heute steht hinter der Führung und ihrer Politik eine starke politische Mehrheit im Parlament und in der ukrainischen Gesellschaft. Das zeigte sich erst kürzlich bei der drastischen Erhöhung der Verbraucherpreise für Gas und Energie, einer nicht unumstrittenen Hauptforderung des Internationalen Währungsfonds für die Freigabe weiterer Milliardenkredite zur Stützung des ukrainischen Budgets. Durch das Bemühen der Regierung, die Preisanhebung wenigstens sozial abzufedern - Bedürftige erhalten einen Sozialausgleich für die gestiegenen Energiepreise -, gelang es, die befürchteten Massenproteste abzuwenden.

Breite Zustimmung findet auch die Politik von Präsident Janukowitsch für eine spürbare Verbesserung des Verhältnisses zu Russland. Nicht nur die Wirtschaft hat ein vitales Interesse an einer dauerhaft stabilen Zusammenarbeit, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung, die sich mental eng mit Russland verbunden fühlt und deshalb die destruktive Politik in der Amtszeit Juschtschenkos als Belastung empfand und ablehnte. Der Neuanfang in den bilateralen Beziehungen wird selbst von Teilen der jetzigen Opposition mitgetragen. Das ist für die Berechenbarkeit des außenpolitischen Kurses der Ukraine ebenso wichtig wie das nachdrückliche Festhalten der neuen Führung an der Strategie der europäischen Orientierung. Allerdings - und das wird Janukowitsch bei seinem Besuch in Berlin deutlich zum Ausdruck bringen - erwartet die Ukraine endlich auch deutliche Impulse von Seiten der EU, die noch offenen Fragen für das angestrebte Assoziierungsabkommen (vor allem die Visafreiheit) einvernehmlich zu lösen. Ob es gelingt, dafür die Unterstützung der Bundesregierung zu bekommen, ist allerdings offen.

In der Ukraine hat bereits jetzt der nächste Wahlkampf begonnen. Ende Oktober finden landesweit die verschobenen Kommunalwahlen statt. Sie werden ein erstes realistisches Stimmungsbild nach dem im Frühjahr vollzogenen Machtwechsel vermitteln. In Meinungsumfragen kann zwar die Partei der Regionen (PdR) ihre Führungsposition behaupten. Doch könnten bereits angekündigte weitere Gaspreiserhöhungen, die zu erwartende Verteuerung von Getreideerzeugnissen in Folge von Dürreschäden oder die geplante Rentenreform die Stimmung in der Bevölkerung schnell umschlagen lassen.

Auch in der Außenpolitik bleiben Fragen offen. Trotz vieler Absichtserklärungen stehen dauerhafte, langfristige Vereinbarungen für die russischen Erdgaslieferungen, für die Nutzung der Transitpipelines und für die Erneuerung bzw. den Bau neuer Erdöl- und Erdgastrassen ebenso noch aus wie Verträge für die langfristige Kooperation im Flugzeugbau, der Atomenergie und der Weltraumforschung. Unklar bleibt auch die ukrainische Position zur Einbindung in den Gemeinsamen Wirtschaftsraum mit Russland, Kasachstan und Belarus.

Gleiches trifft für die Haltung zur NATO zu. Einerseits betonte Präsident Janukowitsch wiederholt, dass die Ukraine nicht die Absicht habe, der Allianz beizutreten. Andererseits bestätigte der Staatschef alle geplanten Maßnahmen zur Zusammenarbeit mit der NATO, die eigentlich dem Aktionsplan für den Beitritt vorbehalten sind. Auch alle gemeinsamen Manöver und Militärübungen in der Ukraine oder mit Beteiligung ukrainischer Einheiten in NATO-Ländern werden, wie noch von der Juschtschenko-Administration geplant, durchgeführt. Auch das Seemanöver »Sea-Breeze« Anfang August im Schwarzen Meer, wogegen die Janukowitsch-Partei im Vorjahr noch Massenproteste auf der Krim unterstützt und organisiert hatte.

* Aus: Neues Deutschland, 25. August 2010


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