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Ultimatum von Juschtschenko

Neue Regierung in der Ukraine soll prowestlichen Kurs beibehalten

Von Manfred Schünemann *

Nach dem überraschenden Mehrheitswechsel im Parlament der Ukraine hat Präsident Viktor Juschtschenko den Abgeordneten am Wochenende eine Frist von einem Monat zur Bildung einer Regierung eingeräumt, die aber den prowestlichen Kurs beibehalten müsse. Ansonsten werde er die Werchowna Rada auflösen.

Seit Donnerstag überschlagen sich die politischen Ereignisse in Kiew. Die unter dem Patronat westlicher Ratgeber nach wochenlangem Gerangel zusammengezimmerte »Koalition der Demokraten« ist noch vor ihrer Bestätigung im Parlament wieder zerbrochen. Trotz massiven Drucks gelang es nicht, das gegenseitige Misstrauen der Koalitionäre zu überwinden und in der Werchowna Rada eine stabile Mehrheit zu bilden. Eine »neue Mehrheit« aus Partei der Regionen (PdR), Kommunisten und Sozialisten – sie verfügen über 240 der 450 Sitze – wählte den Vorsitzenden der Sozialistischen Partei, Oleksandr Moros, zum Parlamentspräsidenten. Die Sozialisten haben lange gebraucht, um diesen Schritt zu gehen. Das Misstrauen gegenüber Viktor Janukowitsch und den Machtansprüchen seiner »Regionalen« war und bleibt groß. Letztlich setzte sich aber die Erkenntnis durch, dass eine Koalition gegen das eigentliche Wählervotum (immerhin stellt die PdR die stärkste Fraktion) auf Dauer keine Legitimität hat. Zumal sowohl bei der Präsidentenpartei Unsere Ukraine als auch beim Block Julia Timoschenko persönliche Machtambitionen und Ränkespiele immer mehr zum Hauptinhalt des Koalitionspokers wurden.

Mit der Wahl von Moros ist endgültig der Versuch gescheitert, mit allen Mitteln eine Neuauflage jenes Bündnisses zu erreichen, das den Machtwechsel Anfang 2005 getragen hatte und an seinen inhaltlichen Widersprüchen bereits im Herbst zerbrochen war. Die politischen Kräfte in der Ukraine stehen nunmehr vor einer Neuformierung. Teile der Sozialistischen Partei haben bereits angekündigt, die neue Koalition nicht mittragen zu wollen. Auch die Juschtschenko-Partei steht vor der Spaltung, da ihr national-konservativer Flügel einen Kompromiss mit der Janukowitsch-Partei grundsätzlich ablehnt. Sein Übertritt zum Timoschenko-Block ist programmiert und wird die Position der früheren Ministerpräsidentin stärken. Sollte sich der Präsident zur Auflösung des gerade gewählten Parlaments entschließen, hätten Neuwahlen wohl nur eine Gewinnerin: Timoschenko. Das aber will das Juschtschenko-Lager verhindern.

Endgültig geplatzt ist die Illusion von mehr Demokratie durch einen bloßen Austausch von Funktionsträgern, wie das im Ergebnis der Präsidentenwahl Ende 2004 mit aktiver westlicher Unterstützung versucht wurde. Seit Januar wird das Land nur von einer geschäftsführenden Regierung verwaltet. Die legislative Arbeit des Parlaments ruht seit den Wahlen im März. Das einzig funktionierende Regierungsorgan ist der präsidiale Verwaltungsapparat, der wie zu Kutschmas Zeiten weitgehend außerhalb der parlamentarischen Kontrolle arbeitet.

Die jetzigen politischen Auseinandersetzungen geben auch einen Vorgeschmack auf die wachsende Instabilität des Landes, falls der forcierte Kurs zur Einbindung Kiews in die NATO und zur Abgrenzung von Russland gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung unverändert fortgesetzt wird. Mehr denn je benötigt die Ukraine für ihre innere und äußere Stabilität ein realistisches Konzept für ausgewogene Beziehungen sowohl zu Russland als auch zur Europäischen Union.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Juli 2006

Neueste Meldungen

Politische Kräfte der Ukraine stellen sich neu auf

KIEW, 11. Juli (RIA Novosti). Die neue Parlamentsmehrheit aus Partei der Regionen, Sozialistischer Partei und Kommunisten hat am Dienstag einen Koalitionsrat gebildet, der aus jeweils fünf Mitgliedern besteht.
Der von der Koalition offiziell designierte Premierminister Viktor Janukowitsch, hat unterdessen vor der gemeinsamen Sitzung der Fraktionen für die Schaffung "einer breiteren Koalition in der Rada" plädiert. Er äußerte die Überzeugung, dass "sich die patriotischen Kräfte (im Parlament) auch weiterhin zusammenschließen werden, und der Teil, der das nicht will, sich in der Minderheit befindet", unterstrich Viktor Janukowitsch. "Wer Parlamentsauflösung und Neuwahlen will, ist in der Minderheit" unterstrich er.
In der ersten Tageshälfte hatten die Abgeordneten des Blocks Julia Timoschenko und des Blocks "Unsere Ukraine" mit Lärmkonzerten das Parlament lahm gelegt, bis der Parlamentspräsident die Debatte unterbrach.

Das Mitglied des Politischen Rates des Blocks "Unsere Ukraine", Pjotr Poroschenko, hat vor Journalisten am Dienstag angekündigt, dass sich die neuen Oppositionskräfte im Fall vorfristiger Wahlen zusammenschließen könnten. "Ich denke, bei vorgezogenen Neuwahlen vollzieht sich der Übergang zu einem Zweiparteiensystem. Ich schließe nicht aus, dass der Block "Unsere Ukraine" und der Block Julia Timoschenko sich bei einem entsprechenden Beschluss einigen können. Es gibt heute genug Gründe, mit einer einheitlichen Liste aufzutreten", sagte er.
Wenn der Präsident von seinen Befugnissen einer Parlamentsauflösung Gebrauch machen sollte, dann würde der Block "Unsere Ukraine" diese Entscheidung mittragen, sagte Poroschenko.
Die gegenwärtigen Tumulte in der Obersten Rada bezeichnete er als "reale Gefahr", die zu einer Spaltung der Ukraine führen kann. "Darum muss ohne überflüssige Emotionen die Entscheidung bekräftigt werden, dass diese Koalition illegitim ist", unterstrich er.

Partei der Regionen für Beitritt von "Unsere Ukraine" zur neuen Koalition

MOSKAU, 11. Juli (RIA Novosti). Die Fraktion der Partei der Regionen der Ukraine ist am Beitritt der präsidententreuen Partei "Unsere Ukraine" zur Antikrisen-Koalition interessiert.
Das sagte der stellvertretende Leiter der Fraktion, Jewgeni Kuschnarjow, am Dienstag per Telefon in einem Interview für RIA Novosti.
"Unsere Koalition hat versichert, dass sie für den Beitritt anderer politischer Kräfte, die im Parlament vertreten sind, offen ist. Und wir verheimlichen nicht unser Interesse am Beitritt von ‚Unsere Ukraine' zu dieser Koalition", so Kuschnarjow.
Dem Abgeordneten zufolge "würde sich in einem solchen Fall ein normales Format herausbilden, das auch einen normalen Dialog mit dem Präsidenten und die Möglichkeit der Vereinigung von Ost und West sichern würde".
"Bedauerlicherweise neigt ‚Unsere Ukraine' noch zu einer radikalen Variante und bleibt dabei im Bündnis mit BJT (Block Julia Timoschenko) und tritt für vorgezogene Wahlen ein", so der stellvertretende Fraktionschef.
Laut Kuschnarjow stimmen nicht alle Angehörigen von "Unsere Ukraine" dieser Meinung vorbehaltlos zu. Möglicherweise werde "diese Position noch zusätzlich diskutiert".
Der stellvertretende Fraktionschef betonte, dass die am Dienstag gebildete neue Koalition, der die Partei der Regionen, die Sozialistische und die Kommunistische Partei angehören, stabil sei. "...Denn wir haben eine Lösung für den Algorithmus der Bildung des Obersten Rates, der Verteilung der Ausschüsse und der Zusammensetzung der Koalitionsregierung gefunden...".
Kuschnarjow fügte hinzu, dass im Prozess der Bildung der Koalitionsregierung irgendwelche Differenzen entstehen können. "Aber das wäre keine Tragödie."
"Wir werden nach Kompromissformulierungen suchen und unser Möglichstes tun, damit das Parlament und die Regierung vorankommen können", sagte der Parlamentarier.
Mit der Etablierung der neuen Koalition im ukrainischen Parlament würden die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine auf ein konstruktives Niveau gehoben, fuhr Kuschnarjow fort.
"Wir betrachten Russland als unseren strategischen Partner. Wir schätzen unsere gemeinsame Geschichte und unsere gemeinsame Kultur", fügte er hinzu.
Auf die Zusammenarbeit der Ukraine mit der NATO eingehend, sagte der stellvertretende Fraktionschef, die Koalition nehme eine klare Position ein, die auf "konstruktive Beziehungen in unterschiedlicher Form" hinausläuft.
"Wir halten einen Nato-Beitritt der Ukraine nicht für notwendig", fügte er hinzu.
Auf die Frage nach der Möglichkeit eines Beitritts der Ukraine zur Union von Weißrussland und Russland sagte Kuschnarjow, diese Frage werde nicht diskutiert. "Dieses Thema ist für die Ukraine nicht aktuell."

Partei der Regionen: Timoschenko würde von vorgezogenen Parlamentswahlen profitieren

MOSKAU, 11. Juli (RIA Novosti). Vorgezogene Parlamentswahlen in der Ukraine würden vor allem dem Block von Julia Timoschenko zugute kommen, der somit fast die Hälfte der Anhänger der präsidententreuen Partei "Unsere Ukraine" unter seine Fahnen locken könnte.
Diese Meinung vertrat Jewgeni Kuschnarjow, stellvertretender Chef der Fraktion der Partei der Regionen (größte Fraktion im ukrainischen Parlament), am Dienstag in einem Telefongespräch mit RIA Novosti anlässlich der anhaltenden Parlamentskrise in der Ukraine.
Ihm zufolge hat die Partei der Regionen keine Angst vor neuen Wahlen, hält sie aber nicht für den besten Ausweg aus der Krise. "Wir haben jetzt alle Chancen, ein Kabinett zu bilden und die akutesten Sozial- und Wirtschaftsprobleme zu lösen", sagte Kuschnarjow. "Wenn uns das gelingen würde, dann würde das Thema der vorgezogenen Wahlen von selbst hinfällig werden."
"Wenn neue Wahlen ausgeschrieben werden, dann werden wir daran teilnehmen", betonte er. "Unsere Partei hat eine starke Unterstützung im Süden und im Osten der Ukraine und findet auch in der zentralen und sogar in der westlichen Ukraine zunehmendes Verständnis, so dass vorfristige Wahlen die Position der Partei der Regionen im Parlament stärken würden", sagte Kuschnarjow weiter.
Er sagte, dass er hoffe, dass der ukrainische Staatspräsident Viktor Juschtschenko konsequent vorgehen werde und dem Parlament die Kandidatur Viktor Janukowitschs für das Amt des Regierungschefs unterbreiten werde.
Nach dem Scheitern der "orange Koalition" in der Obersten Rada war am Freitag voriger Woche eine neue Koalition aus der Partei der Regionen (größte Parlamentsfraktion), den Sozialisten und den Kommunisten gebildet worden. Diese nominierte den Chef der Partei der Regionen, Viktor Janukowitsch, für das Amt des Ministerpräsidenten.

Alle Meldungen von der russischen Nachrtichtenagentur RIA Novosti.




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