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Neue US-Politik in Osteuropa?

US-Vizepräsident Joe Biden besucht Georgien und Ukraine - und ist mit einem "Offenen Brief" mittel-osteuropäischer Politiker konfrontiert

Von Dmitri Kossyrew *

US-Vizepräsident Joe Biden muss sich bei seinem Besuch in Georgien und der Ukraine auf einen ideologischen Kampf einstellen.

Die Rede ist von einem Offenen Brief der osteuropäischen Staatsoberhäupter an die US-Administration. So etwas wie eine Antwort darauf war ein Artikel in der Sonntagsausgabe der "Washington Post" (19. Juli).

Sowohl der Brief als auch der Artikel lassen Bidens diplomatisches Vorgehen in Bezug auf Georgien und die Ukraine als Versuch der neuen Administration beurteilen, sich über einen großen Teil der gesamten außenpolitischen Krise der USA klar zu werden. Dieser Teil heißt Osteuropa.

Osteuropa und seine Rolle in allem, was in den internationalen Beziehungen geschehen ist, hätte sich vielleicht nicht zu einem Problem (wie etwa das Problem Afrika) ausgewachsen, wären nicht die Ereignisse gewesen, die sich vor knapp einem Jahr zutrugen: Georgiens Einmarsch in Südossetien am 7. und 8. August, Russlands Reaktion und jene politischen Kämpfe, die dieser Krieg in den internationalen Beziehungen ausgelöst hat.

Wir wollen uns den Hergang vergegenwärtigen: Zuerst versuchen die europäischen und die amerikanischen Medien allen beharrlich zu erläutern, dass der Angriff in Wirklichkeit von Russland verübt worden sei. Später sehen die Europäer allmählich ein, dass in Wahrheit etwas anderes geschehen ist. Ein kleines Land mit einer von den USA geformten Regierung provoziert einfach die beiden Weltmächte zu einem Krieg im europäischen Raum.

Hierbei versorgt die Ukraine in Gestalt von Präsident Viktor Juschtschenko den Aggressor heimlich mit Waffen. Die osteuropäischen Staatsführer - alles in allem dieselben Menschen, die jetzt Briefe nach Washington schreiben - treten als die wichtigsten Ideologen und Verfechter der Politik auf, Georgien in Schutz zu nehmen.

Das war eigentlich keine Politik mehr. Das war ein Komplott, der das Ziel verfolgte, Washington auszunutzen und ihm einen weiteren Konflikt nach Irak und Afghanistan aufzuzwingen. Eigentlich werden solche Dinge nicht verziehen.

Der lange Brief der Osteuropäer wurde von ehemaligen Spitzenpolitikern wie Lech Walesa (Polen), Vaira Vike-Freiberga (Lettland), Valdas Adamkus (Litauen) und von vielen aktiven Politikern unterschrieben.

Sie nennen sich Atlantisten, verweisen jedoch warnend darauf, dass die Popularität der USA in ihren Ländern gesunken sei und neue Personen an die Macht kämen. Die Unterzeichner fordern dazu auf, die besonderen Bindungen zwischen Washington und dem "neuen Europa" zu erhalten, die Ukraine und Georgien in die Nato aufzunehmen, gegen die Erweiterung von Moskaus Einfluss aufzutreten, darunter durch den Bau neuer Pipelines unter Umgehung Russlands, usw.

Medwedews Vorschläge über eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa versetzen sie in Schrecken, weshalb sie eine stärkere Nato haben wollen.

Im Grunde ist es ein Aufruf, jene Politik fortzusetzen, die Washington vor Obamas Machtantritt verfolgte - eine Politik, die mit der Katastrophe in Georgien endete.

Etwas Ähnliches - eine schroffe ideologische Polarisierung - ist jetzt auch in den USA zu beobachten. Die Neokonservativen um den ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney widersetzen sich wütend selbst den Versuchen von Obama, eine Außenpolitik zu verfolgen, die sich von der Cheneys unterscheiden würde.

Das ist eine seltene Situation in der US-Geschichte, vergleichbar höchstens mit den 80er Jahren in der UdSSR, den Jahren ideologischer Schlachten und des Reformstrebens. Dieser Streit beginnt nämlich gerade erst.

Was den erwähnten Artikel in der "Washington Post" angeht, so stellt er eine kurze Antwort von nur fünf Absätzen auf die lange Epistel der Osteuropäer dar. Die Administration solle, so die Zeitung, den Brief als einen Stimulus und nicht als einen Vorwurf aufnehmen. Die Nationen, die nach festeren Beziehungen zu den USA streben und auf den Idealen von Freiheit und Bündnis beruhen würden, seien in der Welt nicht so zahlreich.

Alles in allem verstehen die amerikanischen Intellektuellen, dass die bisherige Politik unvernünftig und gefährlich war. Doch es ist nicht erkennbar, dass sich in den USA eine neue Politik heranreifen würde, die sich vom Abenteurertum der Bush-Administration unterscheiden und zugleich keinen Rückzug Amerikas bedeuten würde.

Ähnlicherweise fechten die osteuropäischen Politiker der ehemaligen Zeiten für die Erhaltung des früheren Kurses - von einer neuen osteuropäischen Politik ist aber nichts zu merken.

Auch Russland übrigens, das sich jahrelang einen Verteidigungskurs gegen den Kurs vom Bush-Cheney-Duo fuhr, sollte sich heute deutlicher nicht nur darüber äußern, was es von den Partnern nicht will, sondern auch was es von diesen haben möchte.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 22. Juli 2009; http://de.rian.ru



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