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Stichwahl Janukowitsch - Timoschenko

Präsidentenwahl in der Ukraine geht am 7. Februar in zweite Runde / Aus für Juschtschenko

Experten hatten eine Stichwahl prophezeit, noch bevor bei den Präsidentenwahlen in der Ukraine am Sonntag (17. Jan.) der erste Stimmzettel in die Urnen flog. Keiner der insgesamt 18 Bewerber vereinigte beim ersten Anlauf jene 50 Prozent plus eine Stimme auf sich, wie sie für das höchste Staatsamt erforderlich sind.

Für Viktor Janukowitsch, den Führer der oppositionellen Partei der Regionen, stimmten demzufolge 35,4 Prozent. Seine Rivalin Julia Timoschenko, derzeit Regierungschefin, kam auf knapp 25 Prozent, der ehemalige Notenbankchef Sergej Tigipko sammelte 13 Prozent ein. So jedenfalls der Stand nach Auszählung von über 95 Prozent aller abgegebenen Stimmen.

Internationale Wahlbeobachter sprachen übereinstimmend von fairen und freien Wahlen ohne nennenswerte Vorkommnisse. Davon, so kritische Medien in Russland, zeuge auch die breite Streuung der Stimmen und das miese Ergebnis von Amtsinhaber Viktor Juschtschenko. Er landete mit knapp 5,5 Prozent lediglich auf Platz 5, noch hinter dem ehemaligen Parlamentspräsidenten Arseni Jazenjuk (knapp 7 Prozent). Der KP-Vorsitzende Petro Simonenko erhielt als Sechstplatzierter 3,5 Prozent der Stimmen. Gut 2 Prozent der Wähler stimmten »gegen alle«. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 67 Prozent.

Der Ausgang der am 7. Februar stattfindenden Stichwahl zwischen Janukowitsch und Timoschenko ist höchst ungewiss. Zwar haben die Kandidaten des einstigen »orangen« Lagers zusammen rein rechnerisch eine Mehrheit von immerhin 60 Prozent eingefahren. Diese geschlossen auf Timoschenko einzuschwören könnte jedoch - wieder einmal - an Rivalitäten der hoffnungslos zerstrittenen Gruppierungen und den Profilierungsneurosen ihrer Führer scheitern. So hatte Tigipko, der Drittplatzierte, den mehrere Meinungsforschungsinstitute auf der Zielgeraden des Wahlkampfs sogar an Timoschenko vorbeiziehen sahen, die derzeitige Regierungschefin schon abblitzen lassen, noch bevor sie am Montag offiziell Bereitschaft zu Bündnisverhandlungen ankündigte. Er, so Tigipko gleich nach den ersten Hochrechnungen in der Wahlnacht, werde niemanden zu nichts aufrufen. Die Bürger seien mündig und müssten selbst entscheiden.

Um die 25 Prozent tun sich damit jedoch extrem schwer. Beim Kampf um ihre Herzen und Hirne werden sich Janukowitsch und Timoschenko einen erbitterten Wettbewerb liefern. Entscheidend für dessen Ausgang dürften Charisma und andere persönliche Qualitäten der Kontrahenten sein. Denn ihre Programme unterscheiden sich nur in Nuancen: Janukowitsch will beim Streit um das Schicksal der auf der Krim stationierten russischen Schwarzmeerflotte unliebsame Folgen für Kiew wie für Moskau vermeiden. Timoschenko ist gegen russische Truppenpräsenz, aber auch gegen die von NATO-Einheiten, und will den von Janukowitsch abgelehnten Beitritt der Ukraine zum Militärpakt von einem Volksentscheid abhängig machen. Auch peilen beide eine strategische Partnerschaft mit den USA und der EU an, setzen parallel dazu jedoch auf Verbesserung des Verhältnisses zu Russland, das seit der »Revolution der Orangen« vor fünf Jahren nachhaltig gestört ist. Auch Timoschenkos unterlegene Mitbewerber buhlten mit dem Versprechen besserer Beziehungen zu Moskau um Wählerstimmen, stärkten damit jedoch unfreiwillig Janukowitsch den Rücken, der das Thema längst besetzt hatte.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Januar 2010


Untergang eines Helden

Von Detlef D. Pries **

Selten hat ein amtierender Präsident, der sich zur Wiederwahl stellte, eine so deutliche Abfuhr erfahren wie Viktor Juschtschenko. Der Held der »Revolution in Orange«, auch hierzulande vor fünf Jahren von vielen bejubelt, landete im ersten Lauf des neuerlichen Wettkampfs ums höchste Amt der Ukraine weit abgeschlagen auf Platz 5 - trotz der unbestreitbaren Startvorteile eines Staatsoberhaupts. Juschtschenko hat seine Landsleute bitter enttäuscht. Nicht nur, aber nicht zuletzt, weil er die Ukraine gegen ihre Lebensinteressen und gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit in die Konfrontation mit Russland treiben wollte.

Wer Juschtschenko nach der Stichwahl am 7. Februar beerben wird - ob Viktor Janukowitsch oder Julia Timoschenko -, ist offen. Anders als vor fünf Jahren scheint dies auch die Mächte in Ost und West relativ wenig zu kümmern. Die Etiketten »prowestlich« und »prorussisch«, die man den Präsidialamtsanwärtern gerne anklebt, sind nämlich - wenn sie je taugten - längst veraltet. Beide stehen vorerst dafür, dass »proeuropäisch« nicht »antirussisch« heißen darf. Die Schicksalsfrage der Ukraine ist deshalb nicht, wer ihr künftiges Staatsoberhaupt wird. Entscheidend wird sein, wie sich die Stichwahlgegner nach der Entscheidung zueinander verhalten. Verhängnisvoll wäre die Fortsetzung des rücksichtslosen innerukrainischen Kampfes um persönliche Macht und Pfründe. Auszuschließen ist ein solches Szenarium aber leider ganz und gar nicht.

** Aus: Neues Deutschland, 19. Januar 2010 (Kommentar)


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