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Umbruch am Dnjepr?

Ukraine: Timoschenko verliert Präsidentenwahl gegen Janukowitsch


Das Ergebnis der Stichwahl

Die ukrainische Regierungschefin Julia Timoschenko muss ihre Niederlage bei der Präsidentenwahl eingestehen.

Der in den letzten Stunden gewachsene Vorsprung ihres Rivalen, Oppositionsführer Viktor Janukowitsch, sei nicht mehr aufzuholen, teilte das Mitglied der Zentralen Wahlkommission Michail Ochendowski am Montagabend in Kiew mit.

Nach der Auszählung von 99,53 Prozent der Wahlzettel erhielt Janukowitsch, Vorsitzender der im Osten des Landes verankerten Partei der Regionen, 48,82 Prozent der Stimmen. Nach Angaben der Wahlleitung hat Timoschenko 45,60 Prozent. Somit betrage Janukowitschs Vorsprung 3,22 Prozentpunkte. 4,37 Prozent aller Wähler kreuzten auf dem Stimmzettel die Option "Gegen alle" an. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 70 Prozent.

Am Montagabend (8. Feb.) gab die Zentrale Wahlkommission eine Pause bis Dienstagmorgen bekannt. Elektronisch würden die Ergebnisse aber weiter ausgezählt und auf der Internetseite der Wahlleitung veröffentlicht, hieß es.

Die Stichwahl in der Ukraine hatte am vergangenen Sonntag (7. Feb.) stattgefunden. Um gewählt zu werden, braucht der Kandidat in der zweiten Runde eine einfache Stimmenmehrheit.

* Meldung der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti, 8. Februar 2010



Die Orangen sind bitter

Ukraine: Regierungschefin Timoschenko will Wahlniederlage nicht eingestehen. Eine bunte Revolution kann sie nicht noch einmal anzetteln. Ihr fehlt Hilfe aus dem Westen

Von Rainer Rupp **

Die ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko will ihre Wahlniederlage nicht wahrhaben. Die Regierungschefin spielt auf Zeit und plant, juristisch gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vorzugehen. Führende Politiker ihrer Partei sagten am Dienstag, der Block Julia Timoschenko (BJuT) verlange eine Neuauszählung der Stimmen in mehreren »umstrittenen« Wahllokalen. Nach offiziellen Ergebnissen hat der bisherige Oppositionsführer Viktor Janukowitsch bei der Stichwahl am Sonntag 3,5 Prozentpunkte mehr erhalten als Timoschenko. Seine Partei der Regionen weist die Forderung nach einer Überprüfung der Wahl zurück. »Es wird keine dritte Runde geben«, sagte der stellvertretende Parteivorsitzende Mykola Azarow im Parlament. »Sie ziehen uns in einen unnötigen Krieg.«

Die Ukraine bleibt damit ein zutiefst gespaltenes Land. Nirgendwo wurde das deutlicher als Sonntag abend, als die ersten Ergebnisse und Hochrechnungen der verschiedenen Wahlbezirke auf den riesigen Bildschirmen in den mit viel Aufwand festlich geschmückten Räumlichkeiten der Luxushotels Interkontinental und Hyatt im Zentrum von Kiew eingeblendet wurden. In den Fünf-Sterne-Etablissements hatten die beiden Präsidentschaftskandidaten nur 200 Meter Luftlinie voneinander entfernt in äußerst angenehmer Umgebung ihre Hauptquartiere aufgeschlagen.

Distrikte, in denen der im Wahlkampf von seinen Gegnern als »russenfreundlich« beschimpfte Janukowitsch gewonnen hatte, wurden in blauer Farbe angezeigt, die seiner auf die west­ukrainischen Nationalisten setzenden Gegnerin Timoschenko erschienen in rot. Schnell wurde deutlich, das Land ist gespalten. Der stark industrialisierte, russisch sprechende, bevölkerungsreiche, aber von der Fläche kleinere Osten war ohne eine einzige Ausnahme tiefblau, mit oftmals nur einstelligen Ergebnissen für Timoschenko und bis zu 90 Prozent für Janukowitsch. Im Westen war das Ergebnis genau umgekehrt. Lediglich in und um die Hauptstadt Kiew konnte Janukowitsch zweistellige Resultate erzielen, aber er blieb auch hier haushoch unterlegen.

Die Wahlbeteiligung war höher als beim ersten Wahldurchgang zwei Wochen zuvor und lag nach offiziellen Angaben bei 69 Prozent. Bei den Besuchen einer Reihe von Wahllokalen in Kiew im Laufe des Sonntags, an denen auch der Autor auf Einladung der Nichtregierungsorganisation ­CIS-EMO als ausländischer Beobachter teilgenommen hatte, war von den meisten lokalen Wahlleitern bereits ein stärkerer Andrang bestätigt worden. Ansonsten waren die Stichproben zur Kontrolle eines ordnungsgemäßen Ablaufs der Wahlen ereignislos. Überall wurden die vorgeschriebenen Prozeduren penibel eingehalten. Am wichtigsten war, daß in jedem Wahllokal mindestens je ein Beobachter für die beiden Präsidentschaftskandidaten anwesend war. In allen Fällen haben diese gegenüber den internationalen Beobachtern in Gesprächen unter vier Augen bestätigt, daß es keine negativen Vorkommnisse gegeben hat. Somit konnte auf einen fairen Wahlverlauf geschlossen werden. Weitere Beobachtergruppen der CIS-EMO, die in anderen Regionen der Ukraine eingesetzt waren, kamen zum gleichen Schluß, auch wenn von einigen kleineren Unstimmigkeiten berichtet wurde, von denen angeblich Timoschenko profitiert hätte. Auf das Wahlergebnis hätten sie jedoch keinen Einfluß gehabt.

Auch von den OSZE-Beobachtern wurde inzwischen bestätigt, die Wahl sei frei und fair gewesen, was um so erfreulicher ist, als da vor der Abstimmung und sogar noch am Wahltag die wildesten Gerüchte die Runde machten, so u.a., daß Timoschenko in Erwartung der absehbaren Niederlage bereits Hunderte Busse zur Abfahrt nach Kiew organisiert habe. Timoschenko selbst hatte viel zu der allgemeinen Verunsicherung im Vorfeld beigetragen, hatte sie doch gedroht, im Fall ihrer Niederlage mit ihren Anhängern eine zweite Auflage der orangen Revolution aufzuführen. Allein, in ihrem Hauptquartier im Hyatt-Hotel herrschte am Sonntag abend Resignation. Von Mobilisierung keine Spur. Die Orangen sind bitter geworden.

Viel hatte »Julia«, wie sie auch heute noch liebevoll von ihren Anhängern genannt wird, versprochen, aber nichts gehalten. Zwar besticht Kiew im Stadtzentrum weiträumig mit einem architektonisch schönen Straßenbild. Die historischen Gebäude sind hervorragend und offensichtlich für viel Geld renoviert. Geld, das die Ukraine für dieses und andere Projekte im Westen geliehen hat, mit dem jedoch weder die Produktion noch der Export gefördert wurden. Deshalb droht nun der Staatsbankrott, und der Internationale Währungsfonds fordert wie üblich harte Einschnitte bei den sozialen und kommunalen Ausgaben.

Unterdessen gratulierte Rußlands Präsident Dmitri Medwedew seinem künftigen Amtskollegen Janukowitsch telefonisch zu seinem Sieg und dem »Erfolg der Wahlkampagne«. Die EU sagte dem »Blauen« Unterstützung zu. Die US-Botschaft in Kiew bezeichnete die Wahlen als »Konsolidierung der Demokratie im Land«, erwähnte Janukowitsch jedoch nicht. Allein, eine weitere Unterstützung des Westens für Julia Timoschenko sähe anders aus.

** Aus: junge Welt, 10. Februar 2010




Umbruch am Dnjepr?

Von Detlef D. Pries ***

Am 17. Februar erst wird die Zentrale Wahlkommission der Ukraine das offizielle Ergebnis der Präsidentenwahl verkünden. Bis dahin fließt noch viel Wasser den Dnjepr hinab. Fast sicher, dass die Gerichte auch diesmal wieder mit Manipulationsvorwürfen beschäftigt werden. Doch sieht es so aus, als habe Viktor Janukowitsch, der Verlierer der »Revolution in Orange«, den Spieß umgedreht. Julia Timoschenko, die redegewandte »Luxus-Folkloristin« mit deutlichem Hang zu autoritärem Regieren, ist ihm diesmal - knapp - unterlegen. Und nicht einmal westliche Sponsoren und Anhänger der »Revolution« von 2004 sind darob besonders erbost. Janukowitsch mag nicht deren erste Wahl sein, er gilt ihnen inzwischen aber als berechenbarer Pragmatiker. Überdies - so heißt es - beweise die Wahl 2010, dass ein friedlicher Wechsel möglich ist, die ukrainische Demokratie also funktioniere. An den tiefen Rissen, die das Land durchziehen, ändert das freilich ebenso wenig wie an seiner Misere: Der Machtkampf der Interessengruppen dauert an, die Abgeordneten der Werchowna Rada - zu mehr als der Hälfte Dollarmillionäre - gehen einander ein übers andere Mal an den Kragen,.die Gerichte sind käuflich, die »freien« Medien fest in der Hand von Oligarchen, die Lebenserwartung ist in den Jahren der Unabhängigkeit um zehn Jahre gesunken und zum Jahresende rechnet man mit 3,5 Millionen Arbeitslosen ... Das ist es, was die Ukrainer bisher an Demokratie erleben!

*** Aus: Neues Deutschland, 9. Februar 2010 (Kommentar)


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