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Angriff auf Slowjansk

Mehrere Tote bei Schußwechsel an Kontrollpunkt in Ostukraine. Aufständische präsentieren Hinweise auf "Rechten Sektor" als Täter

Von Reinhard Lauterbach *

Die Genfer Vereinbarung vom Gründonnerstag hat die Situation in der Ostukraine nicht beruhigt. Bei einem Schußwechsel am Rande der von Aufständischen kontrollierten Stadt Slowjansk im Bezirk Donezk starben in der Nacht zum Sonntag drei Einwohner und zwei Angreifer. Der »Volksbürgermeister« von Slowjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, beschuldigte den »Rechten Sektor«, den Angriff verübt zu haben. Zum Beleg präsentierte er Beutegut, das in den zerstörten Fahrzeugen der Angreifer gefunden worden sei: eine Visitenkarte des Präsidentschaftskandidaten des »Rechten Sektors«, Dmitro Jarosch, eine numerierte Erkennungsmarke mit einem eingravierten Zitat des ukrainischen Faschistenführers Stepan Bandera und ein Verbandspäckchen mit dem Emblem der nationalistischen Gruppe UNSO, die im »Rechten Sektor« aufgegangen ist. Ponomarjow zeigte auch Nachtsichtgeräte aus US-amerikanischer Produktion und ein Maschinengewehr vom Typ MG 42, das deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg verwendet hatten. Der »Rechte Sektor« bestritt, für den Angriff auf den Kontrollposten verantwortlich zu sein. Die Kiewer Machthaber äußerten sich nicht über die Urheber des Schußwechsels.

Bürgermeister Ponomarjow nutzte seinen Auftritt, Rußlands Präsidenten Wladimir Putin um eine Friedenstruppe für die ostukrainischen Bezirke Charkiw, Donezk und Luhansk zu bitten. »Uns versuchen Faschisten und Imperialisten sämtlicher Abarten und Nationen zu erobern«, begründete er seinen ungelenk vorgetragenen Aufruf. In der Stadt wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Die bewaffneten Verteidiger von Slowjansk verwehrten einer OSZE-Beobachtungsmission den Zutritt zur Stadt und nahmen eine als Journalistin auftretende »Anführerin der Frauenhundertschaft des Maidan« fest.

Die Aktivisten im Donbas bemühen sich unterdessen um eine Koordinierung ihrer Aktivitäten. In der weiter östlich gelegenen Gebietshauptstadt Luhansk (russisch: Lugansk) wurden am Montag Delegierte gewählt, um später nach dem Vorbild von Donezk eine »Volksrepublik Lugansk« auszurufen. Die Kiew-treue Staatsanwaltschaft eröffnete ein Ermittlungsverfahren, von Festnahmen wurde nichts berichtet. Der Polizei fehlt es offenbar in solchem Maße an einsatzwilligem Personal, daß das Kiewer Innenministerium sogar ehemalige Angehörige der Sondereinheit »Berkut« aufrief, sich dem Ruf von »Mutter Ukraine« nicht zu verschließen und in den Dienst zurückzukehren. Die neuen Machthaber hatten den »Berkut« im Februar mit Schimpf und Schande davongejagt, viele seiner Angehörigen kämpfen seitdem in den ostukrainischen Selbstverteidigungsmilizen oder sind in russische Dienste übergetreten. In der Stadt Gorliwka beschlossen Delegierte, eine »Föderation der Volksrepubliken« von Charkiw, Donezk und Luhansk im Rahmen einer föderalen Ukraine zu gründen. Anders als in Luhansk waren hier keine russischen Fahnen zu sehen.

Rußland warf dem Regime in Kiew aufgrund des Vorfalls in Slowjansk vor, es sei nicht daran interessiert, die Forderung des Genfer Abkommens nach Entwaffnung der illegalen Milizen zu erfüllen. Umgekehrt erklärte eine Sprecherin des Weißen Hauses, man beobachte sehr genau, ob Rußland sich an seine in Genf eingegangene Verpflichtung halten werde, seinen Einfluß geltend zu machen, um die »Separatisten« in der Ostukraine zum Aufgeben zu veranlassen. Sollte es nicht schnelle Ergebnisse in dieser Richtung geben, werde Washington die nächsten Sanktionen gegen Moskau verhängen.

* Aus: junge Welt, Dienstag 22. April 2014


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