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Panzer rückten in Donbass vor

Auch der "Rechte Sektor" macht mobil


Letzte Meldungen

Russland hat am 26. April den Rückzug ukrainischer Truppen aus dem Osten des Landes gefordert. Moskau bestehe "erneut" auf Deeskalation und Truppenrückzug, erklärte das Moskauer Außenministerium. Im Fall einer Verletzung russischer Interessen in der Ukraine drohte der russische Außenminister Sergej Lawrow mit einer "Antwort". Er verwies dabei auf den Georgien-Krieg von 2008. Würden "die Interessen der Russen angegriffen, so wie es in Süd-Ossetien war", sehe er keine Alternative zu einer "Antwort", sagte Lawrow dem Sender RT. "Ein Angriff auf russische Bürger ist ein Angriff auf Russland", sagte Lawrow.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte bei einem Besuch in der Republik Moldau eine friedliche Beilegung der Ukraine-Krise. Mit jedem Tag werde es schwieriger, eine Lösung für den Konflikt zu finden, sagte Steinmeier. Die Ukraine und Russland müssten die Möglichkeiten nutzen, die durch das in der vergangenen Woche geschlossene Abkommen von Genf eröffnet worden seien.

Im Osten der Ukraine fordern prorussische Aktivisten eine Loslösung beziehungsweise stärkere Autonomie von Kiew. In mehreren Städten haben sie Verwaltungsgebäude besetzt. Am Dienstag hatte die ukrainische Regierung die Wiederaufnahme eines "Anti-Terror-Einsatzes" der Sicherheitskräfte in der Region angeordnet.

Das ukrainische Innenministerium gab wenig später die "Befreiung" der Stadt Swjatogorsk von prorussischen Kräften bekannt. Bei der Aktion durch ukrainische Sondereinheiten gab es nach Angaben der Regierung in Kiew "keine Opfer". Dem Innenministerium zufolge wurde in der 5000-Einwohner-Stadt eine "Gruppe bewaffneter Männer" entdeckt. Nach der "Befreiung durch die Sondereinheiten" gebe es in der Stadt und ihrer Umgebung Polizeipatrouillen.

Die USA begannen derweil mit der Verstärkung ihrer Militärpräsenz in Osteuropa, indem 150 Mann im polnischen Swidwin stationiert wurden. Die USA wollen auch ihre Militärpräsenz in den drei Balten-Republiken Estland, Lettand und Litauen umgehend verstärken. Pentagonsprecher John Kirby kündigte die Entsendung von 450 Soldaten in die drei Ex-Sowjetrepubliken für die kommenden Tage an. Kirby erläuterte, die Truppenstationierungen seien durch "bilaterale" Vereinbarungen mit den betreffenden Regierungen zustande gekommen - und keine NATO-Entscheidung. Allerdings hätten die NATO-Staaten der Truppenentsendung auch nicht widersprochen.

Bundeskanzlerin Merkel droht Russland mit weiteren Sanktionen. Die zweite Stufe umfasst Reisebeschränkungen und Kontosperrungen. Ihr polnischer Kollege Tusk sagte: "Was in der Ukraine passiert, ist vielleicht eine permanente Krise. Deswegen müssen wir eine neue Dimension europäischer Solidarität zeigen."

Der ukrainische Übergangspremier Arsenij Jazenjuk richtet bei der Agentur "Reuters" drastische Worte an die Weltöffentlichkeit: "Russland will den dritten Weltkrieg starten." Es sei Moskaus Ziel, die Ukraine "militärisch und politisch" zu besetzen. Die Versuche des Kremls, einen Konflikt herbeizurufen, werde einen militärischen Konflikt in Europa bewirken.

Agenturen 26.04.2014




Panzer rückten in Donbass vor

Auch der "Rechte Sektor" macht mobil

Von Klaus Joachim Herrmann *


Der Angriff des ukrainischen Militärs auf die von prorussischen Kräften verteidigten Kontrollpunkte an Zugängen zur ostukrainischen Stadt Slawjansk im Donezker Gebiet hatte am Donnerstagvormittag begonnen. Eine Barrikade war von deren Verteidigern in Brand gesetzt worden. Drei von acht Befestigungspunkten wurden gestürmt, einer später erneut besetzt. Auf die Stadt rückten nach Berichten örtlicher Medien zwei Panzerkolonnen der ukrainischen Armee vor.

Zivilisten wurden vom Bürgermeister aufgefordert, das Rathaus zu verlassen. Bürger der Stadt sollten in ihren Häusern bleiben. Schulen wurden auch in umgebenden Orten geschlossen. Das Rathaus von Mariupol ging nach zwei Monaten Besetzung wieder an regierungstreue Kräfte. Es war nach örtlichen Medienberichten unter Kontrolle von rund 100 Angehörigen der Nationalgarde.

In rund zehn weiteren Städten der südöstlichen Ukraine waren zu diesem Zeitpunkt Verwaltungsgebäude, Milizstationen und örtliche Geheimdienstfilialen weiterhin in der Hand von prorussischen Kräften. Sie fordern einen föderalen Staat mit weitgehenden Autonomierechten für das russisch geprägte Gebiet.

Die ukrainische Armee habe derzeit 11 000 Mann »gegen die friedliche Bevölkerung« im Einsatz, erklärte Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu laut RIA/Novosti. Die Kräfte seien ungleich verteilt. »Wenn diese Kriegsmaschine heute nicht gestoppt wird, dann wird dies zu einer großen Zahl Toter und Verletzer führen«, sagte der Minister.

In Artjomowsk hätten ukrainische Soldaten eine Offensive von etwa 100 Angreifern auf eines der größten Waffenlager der Ukraine abgewehrt, teilte Übergangspräsident Alexander Turtschinow in Kiew mit. Die Angreifer hätten »große Verluste« erlitten.

Die »Vollendung der nationalen Revolution« und jede Unterstützung seiner Anhänger im »Kampf gegen die Okkupanten« verkündete Dmitri Jarosch, Parteivorsitzender und Präsidentschaftskandidat des rechtsextremistischen »Rechten Sektors«. Dieser dürfe zwar keine eigenen militärischen Einheiten unterhalten, könne aber mit seinen Anhängern solche »Bataillone der territorialen Verteidigung« wie »Dnjepr« stärken.

Über die Aufstellung eines Spezialbataillon »Donbass« hatte Jarosch am Vortag informiert. »Zahlreiche Bürger der Region«, gab die Agentur UNIAN dessen Äußerungen auf einer Pressekonferenz wieder, hätten die Bitte geäußert, der »Rechte Sektor« solle »kommen und Ordnung schaffen«. Die Truppe soll rund 800 Mann stark und nach nur drei Tagen am Freitag formiert sein.

Das gesamte Vorgehen des »Rechten Sektors« sei mit den ukrainischen Sicherheitsbehörden und dem Innenministerium abgesprochen, betonte Jarosch. Der »Stab« der Partei sei vergangene Woche nach Dnjepropetrowsk verlegt worden. Dies ist bislang noch eine der eher ruhigen Regionen des umkämpften Südostens der Ukraine.

* Aus: neues deutschland, Freitag 25. April 2014


Sturm auf Slowjansk

Ukrainisches Militär greift mit Panzern und Hubschraubern an. Kiew warnt Zivilisten vor Unterstützung der Aufständischen. Putin: Ernstes Verbrechen

Von Reinhard Lauterbach **


Mit Panzern und Hubschraubern haben ukrainische Sondereinheiten am Donnerstag mit dem Sturm auf die von Aufständischen kontrollierte Stadt Slowjansk im Gebiet Donezk begonnen. Dabei wurden nach Darstellung der Kiewer Machthaber fünf »Terroristen vernichtet«. Auf eigener Seite habe es einen Verletzten gegeben.

Der Angriff begann offenbar aus nördlicher Richtung entlang der Straße nach Charkiw. Drei Straßenblockaden der Aufständischen am Stadtrand von Slowjansk wurden zerstört. Die Einheiten der »Freiwilligenarmee des Donbass« zogen sich ins Stadtzentrum zurück und verschanzten sich in den besetzten öffentlichen Gebäuden. Zivilisten, die im Rathaus der 120000-Einwohner-Stadt arbeiteten oder Behördengänge erledigten, wurden aufgefordert, zu ihrer eigenen Sicherheit nach Hause zu gehen. Die Sprecherin der ukrainischen Sicherheitsbehörden drohte indirekt damit, daß das Militär auch vor Schüssen auf Zivilisten nicht zurückschrecken werde. Man wolle zivile Opfer nach Möglichkeit vermeiden, so die Sprecherin. Bedingung sei aber, daß sich die Zivilbevölkerung nicht vor die Aufständischen stelle. Maskierte Männer, die sich selbst als Angehörige des »Rechten Sektors« bezeichneten, drangen mit Waffengewalt in ein Wohnhaus in Slowjansk ein. Dabei wurde Medienberichten zufolge eine Frau verletzt.

Gegen Mittag stoppten die Kiewer Truppen ihren Angriff und zogen sich wieder aus Slowjansk zurück. Die Aufständischen hätten anschließend ihre vorherigen Positionen wieder eingenommen, berichtete die Agentur Reuters. Die einstweilige Einstellung der Kämpfe bestätigte auch der örtliche Korrespondent der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Die ukrainische Armee versuche offenbar, die Stadt einzuschließen. Von Kiewer Seite hieß es, die Situation in Slowjansk sei »außer Kontrolle«. Für alles, was dort geschehe, trügen die Aufständischen die Verantwortung.

Die ukrainische »Antiterroroperation« ist auf zynische Weise konsequent. Nach der indirekten Interventionsdrohung des russischen Außenministers Sergej Lawrow vom Mittwoch bedeutet der Angriff auf Slowjansk am folgenden Tag die Herausforderung an Moskau, entweder Farbe zu bekennen, den Worten Taten folgen zu lassen und unabsehbare Konsequenzen zu riskieren – oder stillzuhalten und in der Eskalationslogik der letzten Tage das Gesicht zu verlieren. Der Abbruch des Angriffs nach wenigen Stunden und ersten Erfolgen weist darauf hin, daß das Kiewer Vorgehen dieser Provokationslogik gehorcht. Die Machthaber sind seit Tagen bemüht, den Konflikt maximal zu internationalisieren, und rufen die USA – bislang ohne Erfolg –zu stärkerem militärischen Engagement auf. Ihnen käme eine russische Intervention auf paradoxe Weise politisch durchaus gelegen, weil sie ihr Regime politisch aufwerten und es den USA politisch erschweren würde, sich mit Rußland auf irgendeinen Kompromiß zu einigen.

Die ersten russischen Reaktionen zielten umgekehrt darauf, genau dieses Dilemma zu vermeiden. Präsident Wladimir Putin sprach von einem »ernsten Verbrechen« der Kiewer Machthaber gegen das eigene Volk. Das Vorgehen der Machthaber werde Konsequenzen für diejenigen haben, die solche Entscheidungen treffen. Die militärische Antwort Moskaus beschränkte sich einstweilen auf neue Manöver mit Panzern und Artillerie im Grenzgebiet zur Ukraine.

** Aus: junge Welt, Freitag 25. April 2014


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