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Im Geiste Banderas

Ukraine: Ehemaliger Abgeordneter und regierungskritischer Journalist erschossen. Faschisten jubeln. Verteidigungsratsvorsitzender denkt über Atombombe nach

Von Reinhard Lauterbach *

In Kiew sind ein regierungskritischer Journalist und ein ehemaliger Politiker der »Partei der Regionen« ermordet worden. Oles Busina, bis vor kurzem Chefredakteur der Zeitung Segodnja wurde nach Behördenangaben am Donnerstag vor seinem Haus erschossen. Bereits am Mittwoch abend hatten Unbekannte den früheren Abgeordneten Oleg Kalaschnikow im Treppenhaus vor seiner Wohnung im achten Stock eines Wohnblocks ebenfalls erschossen.

Kalaschnikow hatte während des Euromaidans die Gegendemonstrationen für Janukowitsch im Mariinskij-Park neben dem Parlamentsgebäude organisiert. Er hatte nach Angaben von Angehörigen in den letzten Wochen mehrfach Drohanrufe und beleidigende SMS erhalten. Der Tote ist nicht der erste ehemals prominente Politiker des Janukowitsch-Lagers, der in den vergangenen Wochen ums Leben kam. Allein seit Ende Februar haben sich drei frühere Abgeordnete der offiziellen Version der ukrainischen Ermittler zufolge das Leben genommen. Anhänger der Opposition sprechen dagegen von Morden und von »physischer Abrechnung« der neuen Machthaber mit ihren Gegnern. Petro Simonenko, Chef der vom Verbot bedrohten Kommunistischen Partei der Ukraine, sagte nach seinem Verhör beim Geheimdienst SBU vor einigen Tagen, die Ermittler hätten ihm gedroht, wenn er sich nicht still verhalte, werde er enden wie die drei Verstorbenen.

Im Fall des Mordes an Kalaschnikow ermitteln die ukrainischen Behörden nach eigenen Angaben in alle Richtungen: vom Eifersuchtsdrama über geschäftliche Auseinandersetzungen bis hin zu »anderen Versionen«. Der stellvertretende Innenminister Anton Geraschtschenko suggerierte eine Abrechnung in den eigenen Reihen: Kalaschnikow habe zu viel über die Finanzierung des »Antimaidan« gewusst. Im nationalistischen Milieu löste der Mord offene Freude aus. Boris Filatow, während der Amtszeit des Oligarchen Igor Kolomojskij als Gouverneur in Dnipropetrowsk dessen Stellvertreter, twitterte: »Noch ein Dreckskerl erledigt. Ich hoffe sehr, nicht wegen Schulden und nicht zur Verwischung von Spuren, sondern durch ein Attentat im Geiste Banderas.« Follower Filatows riefen zu weiteren Morden an »Separatisten« auf.

Diese hasserfüllte Sprache der ukrainischen Faschisten ist keine Ausnahmeerscheinung, sondern wird im politischen Diskurs der Ukraine zusehends hegemonial. So schrieb der ehemalige Justizminister Roman Zwarytsch in einem Zeitungsbeitrag, im Donbass gebe es keine Zivilbevölkerung, sondern nur Verräter, die streng bestraft werden müssten. Der größte Fehler Kiews sei, im Krieg um den Donbass auf eine politische Lösung zu setzen. Den Krieg gewinne man nur, wenn man den Feind vernichten wolle. Im Westen wenig wahrgenommen wurde auch eine Äußerung des Vorsitzenden des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Olexandr Turtschinow. Er hatte bei der Ankündigung neuer ukrainischer Wunderwaffen vor zwei Wochen auf Nachfrage nicht ausgeschlossen, dass die Ukraine auch eine »schmutzige Atombombe« bauen könnte. »Hauptsache, die Waffen sind wirksam«, befand Turtschinow, ob sauber oder schmutzig, sei eine technische Frage. Die ukrainischen Nationalisten hadern seit langem mit der Tatsache, dass die Ukraine nach dem Ende der Sowjetunion eingewilligt hatte, ihre aus sowjetischen Beständen übernommenen Atomwaffen zur Vernichtung abzugeben. Hätte Kiew diese Waffen noch gehabt, so ihr Argument, dann hätte sich Russland 2014 nicht getraut, die Krim zu übernehmen.

Die Wutphantasien der offiziellen Ukraine haben auch ihre humoristischen Seiten. In der mit US-Geld finanzierten Wochenzeitung Dzerkalo Tyzhnja kritisierte ein Kiewer Diplomat das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, weil es in seinen Berichten die Volksrepubliken nicht in Anführungszeichen setze und auch Kriegsverbrechen der ukrainischen Seite notiere – »entgegen den offiziellen Statements der Ukraine«. Die Ukraine müsse sich fragen, warum sie mit diesen UN noch zusammenarbeite.

* Aus: junge Welt, Freitag, 17. April 2015


Eigentum ist flüchtig

Neuregelung der Besitzverhältnisse zwischen Oligarchen: In der Ukraine wird ein Teil der Privatisierungen der zurückliegenden Jahre angefochten

Von Reinhard Lauterbach **


Rinat Achmetow, einst reichster Mann der Ukraine, hat derzeit viel Pech. Am 10. April musste seine Stahl- und Kohleholding Metinvest Konkurs anmelden, weil sie Anleihen über 133 Millionen US-Dollar nicht zurückzahlen konnte. Im Geschäftsbericht ist von einem Rückgang des Reingewinns um 59 Prozent infolge der Wirtschaftskrise und des Bürgerkriegs die Rede. Betroffen waren vor allem die gigantischen Stahlwerke in der frontnahen Stadt Mariupol und die Kokereien im aufständischen Teil des Donbass. Und fast gleichzeitig geht die ukrainische Generalstaatswaltschaft einem anderen Teil seines Imperiums an den Kragen. Sie will die Privatisierung des größten Komplexes von Kohlekraftwerken im Lande, »Dniprenergo«, anfechten. Der für die Industrieregionen Dnipropetrowsk) und Saporischja zuständige Versorger war 2012 aus öffentlichem Besitz an ein Unternehmen Achmetows verkauft worden – wie es jetzt heißt, weit unter dem Marktwert.

Das Argument der Juristen ist nicht unplausibel, denn es spricht das offene Geheimnis der postsowjetischen Privatisierungen aus: Volksvermögen wanderte für wenig Geld in die Hände politisch gut vernetzter Unternehmer. Achmetow war das seinerzeit, als der Präsident noch Wiktor Janukowitsch hieß. Genau weil aber der Missbrauchsvorwurf so plausibel ist und man mit diesem Argument sämtliche Karten im ukrainischen Spiel neu verteilen könnte, ist es höchst wahrscheinlich, dass politische Gründe vorliegen, diese Untersuchungen gerade bei einem Unternehmen dieses Oligarchen anzusetzen.

Denn Achmetow versuchte lange, im Konflikt zwischen Kiew und dem Donbass zu vermitteln. Er hatte in den ersten Wochen des Aufstandes die von ihm kontrollierte Polizei in der Region stillhalten und erst dann die Rebellion eindämmen lassen, als sie Mariupol zu ergreifen drohte. Wie kürzlich der zeitweilige Ministerpräsident der Volksrepublik Donezk, Alexander Borodaj, in einem Interview mit der prowestlichen Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta freimütig einräumte, habe er im Sommer dafür gesorgt, dass die Streitkräfte der »Neurussen« Mariupol nicht einnahmen. Es sei darum gegangen, Achmetow die Möglichkeit zu belassen, seine Stahlprodukte über den dortigen Hafen in den Westen zu exportieren – denn aus den Erlösen seien insgeheim Millionen US-Dollar in die Volksrepubliken geflossen. Nach außen aber erklärte Achmetow seine Loyalität gegenüber Kiew und lehnte es ab, seine Firmen offiziell Steuern an die Volksrepubliken zahlen zu lassen. Dieses Doppelspiel will Kiew nun offenbar nicht mehr dulden.

Ökonomisch sinnvoll ist die Reprivatisierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum, denn auch wenn Achmetow 2012 die Kraftwerke weit unter dem damaligen Wert gekauft haben sollte, dürfte dieser Wert – Unternehmen werden allgemein an ihrer Ertragskraft gemessen, nicht am investierten Kapital – inzwischen angesichts der Krise stark gesunken sein. Hoffnungen der Regierung, in der zweiten Privatisierungsrunde mehr Geld zu erlösen, sind damit sehr zweifelhaft. Doch dass das in Kiew angestrengte Verfahren gerade einem Unternehmen in Dnipropetrowsk gilt, hat noch einen zweiten Aspekt. Es ist von Seiten der Regierung von Präsident Petro Poroschenko auch ein Vorschlag zum Guten an den Ende März mit viel öffentlichem Tamtam als Gouverneur der Region entlassenen Oligarchen Igor Kolomojskij. Ein Teil des Deals war, dass Kolomojskij wirtschaftlich in Ruhe gelassen werde, wenn er sich nicht mehr auf Kosten des Staates bereichert. Ihm jetzt die Chance zu bieten, an der Reprivatisierung der regionalen Kraftwerke teilzunehmen, hat aus dieser Perspektive den Charakter einer Entschädigung zu Lasten eines Dritten, nämlich Achmetows. Nebenbei sagen ukrainische Medien auch Poroschenko selbst geschäftliche Interessen in der Sache nach. Der Präsident hat sein eigenes Firmenimperium, anders als vor der Wahl versprochen, nicht verkauft, sondern lediglich bei einem Treuhänder geparkt. Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk setzt dagegen offenbar eher auf einen historischen Kompromiss unter Oligarchen und versucht den Reprivatisierungseifer Poroschenkos zu bremsen.

Fälle wie die geschilderten sind nur die Spitze des Eisbergs. Der Berliner Tagesspiegel schilderte unlängst den Fall eines mittelständischen Unternehmers aus dem westukrainischen Lwiw, der sich angesichts von Drohungen mit den neuen Machthabern verbundener Schutzgelderpresser nach Deutschland abgesetzt hatte. Die Leute hätten ihm gesagt, wenn er nicht zahle, würde er im Internet als Sympathisant der »Separatisten« hingestellt und wäre geschäftlich erledigt. In der Bevölkerung führen solche Manöver zu wachsender Enttäuschung. Eine aktuelle Meinungsumfrage sieht vor allem Jazenjuks Volksfront als großen Verlierer. Von den 22 Prozent, die sie im Oktober bei der Parlamentswahl erhielt, sind danach nur noch vier Prozent übriggeblieben. Und Semjon Semjontschenko, der vom Kommandeur eines von Kolomojskij gesponsorten Freiwilligenbataillons dank seiner Facebook-Präsenz zum Parlamentsabgeordneten aufgestiegen ist, zog neulich öffentlich über die neuen Machthaber her: Im Vergleich zu den Veruntreuungen, die derzeit stattfänden, sei der gestürzte Präsident Janukowitsch geradezu ein Muster an Ehrlichkeit gewesen. Sprach da ein enttäuschter »Zivilgesellschaftler« oder der Bauchredner des geschassten Oligarchen?

** Aus: junge Welt, Freitag, 17. April 2015


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