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Donezk auf Posten gegen Rechte

Aktivisten und Anwohner in der Ostukraine haben Kontrollpunkte eingerichtet

Von Ulrich Heyden, Donezk *

Zivilisten haben an Straßen im ostukrainischen Gebiet Donezk Kontrollpunkte errichtet. Sie wollen warnen, wenn Militärkolonnen oder Anhänger des Rechten Sektors im Anmarsch sind.

An der Fernstraße, die von Donezk nach Lugansk führt, flattern Fahnen der prorussischen Aktivisten im Wind. Die Aktivisten – Männer und Frauen im Alter von etwa 40 Jahren und 18-jährige Schüler – haben unweit des Ortes Jasinowataja einen Posten zur Kontrolle des Verkehrs aufgebaut. Das Zelt der Aktivisten und die Eisentonne, in der gegen die Kälte Holzscheite glühen, steht nur 100 Meter hinter dem Kontrollposten der Verkehrspolizei. »Wir wollen rechtzeitig wissen, wenn ukrainische Militärfahrzeuge oder Leute vom Rechten Sektor kommen«, meint Andrej (Name geändert), ein 35 Jahre alter Bauarbeiter. Er nimmt seit Tagen an der selbst organisierten Verkehrswache teil.

Die Regierung in Kiew sei durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen, achte die Interessen der russischsprachigen Bevölkerung im Süden und Osten der Ukraine nicht. Außerdem säßen in der neuen Regierung in Kiew lauter Faschisten. »Niemals« werde ein Anhänger der Banderowzy – wie die Nazikollaborateure aus der Westukraine in der Ostukraine genannt werden – »einen Fuß auf das Gebiet Donezk setzen«, meint Andrej. »Schon unsere Väter und Großväter haben gegen die Banderowzy gekämpft.«

Die Polizei behindere die Wache nicht, erzählt Andrej. »Die Polizisten stehen auf unserer Seite, denn sie wissen, dass sie in Kiew vom Rechten Sektor verfolgt wurden.«

Die selbst organisierte Wache am Ort Jasinowataja wird von Dmitri (Name geändert) geleitet. Der 32-jährige Unternehmer hat ganz persönliche Gründe, die Verkehrskontrolle zu unterstützen. Seit dem Umsturz in Kiew sind seine Geschäfte – Dmitri leitet eine Reparaturfirma mit 270 Mitarbeitern – zurückgegangen. Die Mitarbeiter reparieren Öfen in Stahlhütten. Außerdem beschäftigt er Industriealpinisten, die baufällige Schornsteine und nicht mehr genutzte Industriebauten zum Abbau vorbereiten.

Doch seit die Protestbewegung in Kiew das politische System gestürzt hat, ist der Export der Großbetriebe im Gebiet Donezk, die Stahl, Gasherde und Maschinen nach Russland liefern, stark zurückgegangen. Und damit gibt es auch für Dmitris Firma weniger Aufträge. Ein Modernisierungsauftrag, den sein Unternehmen letztes Jahr für die Holding ISD abwickelte – sie gehört dem neuen Gouverneur von Donezk, Sergej Taruta –, sei immer noch nicht bezahlt worden.

Bisher ist an dem Kontrollposten noch kein Auto angehalten worden. Was sie machen werden, wenn Militärfahrzeuge und Autos mit Anhängern des Rechten Sektors auftauchen, wollen die Männer an der Fernstraße Richtung Lugansk nicht verraten. Dmitri macht geheimnisvolle Andeutungen. Man habe in der Region ein elektronisches Überwachungsnetz aufgebaut. Das schlage sofort Alarm, sobald sich eine ukrainische Armee-Einheit nähert.

Derartige Kontrollen gibt es auch an anderen Orten im Gebiet Donezk. So blockieren seit Mitte März Hunderte von Anwohnern den Salzschacht Wolodarski in der Nähe des Ortes Artjomowsk. Dort befindet sich schon seit Sowjetzeiten eines der größten Armeelager für Schusswaffen. Den Anwohnern war aufgefallen, dass Lastwagen große Mengen dieser Waffen abtransportierten. Weil die Bewohner der Gegend fürchteten, dass mit den Waffen nicht nur die neue ukrainische Nationalgarde, sondern auch der Rechte Sektor ausgerüstet wird, blockierten sie die Ausfahrtswege, worauf das ukrainische Verteidigungsministerium den Abtransport der Waffen aus dem Salzstock einstellte.

Ein weiterer Zwischenfall im Gebiet Donezk ereignete sich in Wolnawacha. Mitte März stoppten dort Anwohner eine Kolonne ukrainischer Schützenpanzer, die an die russische Grenze fahren wollten. Frauen versuchten die Soldaten aufzuhalten. Sie fragten: »Wollt ihr auf slawische Brüder schießen?« Doch sie konnten die Transporte nicht von der Weiterfahrt abhalten. Nach einem kurzem, erregten Wortwechsel fuhr die Kolonne weiter.

»Glauben sie mir, die Leute stehen hier nicht für den Separatismus«, meint Dmitri. Er leitet die Wache an der Fernstraße Richtung Lugansk. »Nur zehn Prozent derer, die protestieren, sind wirklich radikal und rufen: ›Hurra, ich will zur russischen Trikolore!«‹ Zur Zeit wollten die Donezker »keine Abtrennung und keinen Anschluss an Russland«. Sein persönliches Ziel sei, dass seine drei Kinder in einem stabilen Land und »nicht von einem Maidan zum nächsten leben«, erklärt der Unternehmer.

Die Hauptsorge der Menschen bestehe heute darin, dass die Regierung massive Einsparungen im Sozialbereich plant. Bis zum 1. Mai will Kiew den Gaspreis verdoppeln. Außerdem sollen die Subventionen für einkommensschwache Familien gestrichen werden. Wer, wie die meisten Menschen in der Ostukraine, nur ein Einkommen von 1000 Griwna, also rund 66 Euro, im Monat hat – Bergarbeiter verdienen 5000 Griwna –, hatte bisher statt 500 nur 300 Griwna Wohnnebenkosten zu zahlen. Doch diese Vergünstigungen soll es nach den Plänen der Regierung bald nicht mehr geben.

Mit ihrer Politik heize die Kiewer Regierung Hass zwischen Ukrainern und Russen an, meint Dmitri. »Dafür müsste man sie strafrechtlich verfolgen.« Die Menschen im Osten der Ukraine wollten nicht unter einer Macht leben, »die Faschisten fördert«. Wenn die Regierung in Kiew eine richtige Politik machen würde, »dann hätten wir die Krim nicht verloren«.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 2. April 2014


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