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Waffen sollen schweigen

Vereinbarungen nach Minsker Verhandlungen sollen der Ukraine Frieden bringen. Kämpfe im Donbass ausgeweitet

Von Reinhard Lauterbach *

Im Donbass sollen ab Sonntag null Uhr die Waffen schweigen. Dies ist die konkreteste der Vereinbarungen, auf die sich Russland, die Ukraine, Deutschland und Frankreich in Minsk geeinigt haben. Nach siebzehnstündigen Verhandlungen, die sich die Nacht vom Mittwoch zu Donnerstag über hinzogen, kam gegen zehn Uhr am Donnerstag morgen die Mitteilung über die Einigung. Wie der russische Präsident Wladimir Putin weiter mitteilte, sollen ab Dienstag die schweren Waffen abgezogen und innerhalb von 19 Tagen alle Gefangenen freigelassen werden. Dies soll auch für die ukrainische Militärpilotin Nadeschda Sawtschenko gelten, die unter dem Vorwurf der Beihilfe zur Tötung zweier russischer Journalisten in Russland inhaftiert ist.

Die Vereinbarung verkündet mit der Unterschrift aller Beteiligten den Respekt für die territoriale Integrität der Ukraine. Doch bei der Interpretation beginnen die Widersprüche. Während Putin erklärte, die Hoheit der Ukraine über ihre Ostgrenze könne im Donbass erst wieder hergestellt werden, wenn eine Verfassungsreform beschlossen sei, sagte sein ukrainischer Gegenpart Petro Poroschenko, von einer Föderalisierung des Landes könne keine Rede sein. Laut Poroschenko hat Russland auch dem Abzug aller ausländischen Truppen aus der Ukraine zugestimmt – ein aus Moskauer Sicht billiges Zugeständnis, weil nach eigener Darstellung keine russischen Truppen in der Ukraine im Einsatz sind. Auch die Regelungen über den Abzug der schweren Waffen sind im Detail widersprüchlich: So sollen die Kiewer ihre Geschütze und Panzer von der gegenwärtigen Frontlinie zurückziehen, die Aufständischen die ihren von der Waffenstillstandslinie vom September 2014. Das würde die Pufferzone vertiefen, aber den Aufständischen erschweren, ihre Geländegewinne der letzten Wochen militärisch zu festigen. Die Unterzeichnung des Minsker Abkommens hatte sich um einige Zeit verzögert, weil die Vertreter der beiden international nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk sich zunächst weigerten, ihre Unterschrift zu leisten. Sie waren ohnehin nur am Katzentisch einer sogenannten Kontaktgruppe in Minsk anwesend. In einem zweiten Dokument erklärten die internationalen Garanten des Waffenstillstands, ihren jeweiligen Einfluss auf die Konfliktparteien auszunutzen, damit die Vereinbarung auch wirklich eingehalten wird.

An der Front des Bürgerkriegs führte die Unterzeichnung des Waffenstillstands in Minsk dazu, dass die Kämpfe wieder auflebten, um vor dem Stichtag am Wochenende die eigene Position zu stärken. Die ukrainische Seite begann mit Unterstützung zahlreicher Panzer einen Versuch, den Ring der Aufständischen um den Kessel von Debalzewe aufzubrechen. Ob dies erfolgreich war, war bis zum frühen Nachmittag nicht eindeutig zu klären. Der Kiewer Außenminister Pawlo Klimkin erklärte gegenüber der Zeit, seine Regierung bestehe weiter auf westlichen Waffenlieferungen. Sie seien erforderlich, um die »prorussischen Terroristen« erfolgreich zurückschlagen zu können. Erst wenn die Kosten des Krieges für Russland stiegen, gebe es eine Aussicht auf Stabilität, so Klimkin. Entsprechend zurückhaltend waren die deutschen Reaktionen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem Hoffnungsschimmer, Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, es sei keine Wende zum Frieden erzielt worden, sondern lediglich eine Chance, von der militärischen Eskalationsspirale in der Ukraine abzukommen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 13. Februar 2015


Probe auf den guten Willen

Die Feuerpause entscheidet über Minsker Gipfel zur Entschärfung des Ukraine-Konfliktes

Von Klaus Joachim Herrmann**


Mit 13 Punkten zur Konfliktlösung endete der Verhandlungsmarathon zur Ukrainekrise. Über den Wert entscheidet eine Waffenruhe.

Minsk II brachte mit seiner 13-Punkte-Vereinbarung vom Freitagmorgen dem ostukrainischen Konfliktgebiet für das Wochenende neue Hoffnung. In der Nacht zu Sonntag soll ab 23 Uhr MEZ Waffenruhe herrschen. Daran, wie dies gelingt, werden die Aussichten auf einen Friedensprozess gemessen werden. Der Ausgang ist ungewiss.

Umfassende Entwarnung heißt das aber noch lange nicht. Die Vereinbarung von Minsk sei nur »ein Hoffnungsschimmer«, sagte Merkel. Nun müssten den Worten aber »Taten folgen«. Dabei offenbaren die Teilnehmer ihre eigenen Deutungen und folgen unbeirrt eigenen Linien. So lässt die EU verschärfte Sanktionen gegen russische Personen und Institutionen, also Maßnahmen, die wegen der Verhandlungen eine Woche ausgesetzt worden waren, trotz des Kompromisses Montag in Kraft treten. Die Staats- und Regierungschefs hätten den tödlichen Raketenangriff auf die Stadt Mariupol als damaligen Anlass der Verschärfung »entkoppelt von dem, was wir heute beschlossen haben«, begründete Merkel. Neue Strafen hält sich die Gemeinschaft offen.

Die vereinbarte Amnestie soll laut dem ukrainischen Außenminister Pawlo Klimkin nicht für die Anführer der Separatisten im Donbass gelten. Die russische Regierung wiederum hat eine Freilassung der seit Juni in Moskau inhaftierten ukrainischen Luftwaffen-Pilotin Nadja Sawtschenko ausgeschlossen. Bei den Verhandlungen habe die ukrainische Regierung das Thema »natürlich« aufgebracht, bestätigte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Russlands Präsident habe jedoch klar gemacht, dass gegen Sawtschenko ermittelt werde und ein Gericht »über ihre Schuld oder Unschuld entscheiden« müsse.

Eine Überwachung der Waffenruhe durch die OSZE mit Satelliten, Radargeräten und Drohnen reicht nicht. Sie braucht auch guten Willen.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 14. Februar 2015


Im Osten nichts Neues

Zu den Minsker Vereinbarungen

Von Reinhard Lauterbach ***


Am Tag, an dem morgens in Minsk ein Waffenstillstand vereinbart wurde, starten die ukrainischen Truppen bei Debalzewe eine Gegenoffensive gegen die Aufständischen. Das mag Moralisten empören, aber es ist nicht überraschend. Jede Seite wird bestrebt sein, vor dem Stichtag, zu dem die Waffen – wenigstens einstweilen – ruhen sollen, eine bestmögliche Ausgangsposition zu erkämpfen. Denn eines ist auch klar: Keines der politischen Probleme, die dem Konflikt im Donbass und dem in der Ukraine zugrundeliegen, wurde durch das Minsker Treffen auch nur ansatzweise gelöst.

Dazu sind die Interpretationen der Einigung durch die beteiligten Seiten zu widersprüchlich. Während Wladimir Putin erklärt, vor einer Übergabe der Grenze zwischen dem Donbass und Russland an die Ukraine müsse eine innerukrainische Verfassungsreform für mehr Föderalisierung verabschiedet sein, sagt Petro Poroschenko das Gegenteil: keinerlei Föderalisierung. Das mag kurzfristig auf die jeweilige interne Öffentlichkeit berechnet sein, der Zugeständnisse der eigenen Seite schlecht zu verkaufen sind. Das einzige, was in diesem Zusammenhang einen bescheidenen Anlass zum Optimismus bietet, ist die lange Übergangsfrist: Erst zum Ende dieses Jahres soll die Ukraine die Grenze wieder kontrollieren können. Das ließe, wenn es sich erhärtet, noch einige Monate Zeit für Verhandlungen – aber natürlich auch, die Sache doch noch auszuschießen, wenn die Verhandlungen scheitern sollten.

Das wiederum ist nicht auszuschließen, und zumindest die Ukraine scheint auf diese Option zu setzen. Dass ihr Außenminister Pawlo Klimkin ausgerechnet an dem Tag, an dem Angela Merkel als Vermittlerin eines Waffenstillstands auftritt, in der deutschen Wochenzeitung Zeit auf westlichen Waffenlieferungen besteht und dies damit begründet, die »prorussischen Terroristen« müssten wirksamer bekämpft und der »Preis« für Russland erhöht werden, lässt für die Zukunft wenig Gutes erwarten. Es ist politisch eine Ohrfeige für Merkels Versuch, den Konflikt wieder an den Verhandlungstisch zurückzubringen und Russland im diplomatischen Boot zu halten. Klimkin signalisiert: Wir halten uns alle Optionen offen, eure Deeskalationsbemühungen interessieren uns nur, insofern sie uns stärken. Eine Kühnheit, die sich der Mann nicht ohne Rückhalt bei der Partei des Krieges in Washington geleistet hätte. Dazu passt die Meldung aus Washington, dass exakt an dem Tag, an dem Kiew erklärt, seinen Hasardeurskurs fortzusetzen, der von den USA dominierte Internationale Währungsfonds der Ukraine die nächsten 17 Milliarden US-Dollar Überbrückungshilfe zugesichert hat. Das schiebt den Staatsbankrott der Ukraine vielleicht um einige Monate hinaus. Der Krieg kann weitergehen, ohne mangels Masse eingestellt werden zu müssen. Und genau dazu brauchen die USA die Ukraine.

*** Aus: junge Welt, Freitag, 13. Februar 2015 (Kommentar)


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