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Kiew greift nach Europas Gashahn

Sanktionen gegen Russland beschlossen / Putin für Ende des »blutigen Chaos« / Hilfe stoppt an Grenze

Von Klaus Joachim Herrmann *

Mit seinem Sanktionsgesetz gegen Russland macht Kiew nun Europa Sorgen. Denn es gilt auch für den Transit von Waren.

Als »Rahmen«, der dem Staat die Sicherung seiner Interessen gestatte, lobte Premier Arseni Jazenjuk das im Parlament in Kiew am Donnerstag verabschiedete Gesetz über Sanktionen. Die Ukraine verstehe es, sich zu verteidigen, sagte er. Das Gesetz enthält eine Liste von 65 Firmen und 172 Einzelpersonen aus Russland und anderen Staaten. Vom Sicherheitsrat ließen sich nun ebenso Sanktionen verhängen wie von den EU-Staaten oder den USA, hieß es.

Der slowakische Regierungschef Robert Fico kritisierte sofort die ukrainische Führung. Er sei »außerordentlich beunruhigt« über das Sanktionspaket gegen Russland, das zum Stopp russischer Gaslieferungen nach Westeuropa durch die Ukraine führen könnte. Entfernt wurden aus dem Gesetzentwurf nach scharfer Kritik westeuropäischer Organisationen Passagen, die schwere Eingriffe in die Freiheit in- und ausländischer Medien bedeutet hätten. Die sollen Gerichten nun überlassen bleiben.

Die Ukraine sei »in einem blutigen Chaos« versunken, klagte Russlands Präsident Wladimir Putin auf der Krim. »Im Südosten spielt sich eine große humanitäre Katastrophe ab«, sagte er bei einem Treffen mit Duma-Abgeordneten und Regierungsmitgliedern in Jalta. »Russland wird alles in seiner Macht stehende tun, um die Kämpfe so schnell wie möglich zu beenden«, und wolle keine Konfrontation mit der restlichen Welt, versicherte er.

Das Zentrum der ostukrainischen Millionenstadt Donezk lag unter Beschuss. Hier trat überraschend »Verteidigungsminister« Igor Strelkow, militärischer Chef der prorussischen Separatisten zurück. Wie die Verwaltung mitteilte, seien in der Region in den vergangenen Tagen 74 Zivilisten getötet und 116 weitere verletzt worden. In Lugansk, das eingeschlossen wurde, starben laut den Behörden bei Artillerieangriffen mindestens 22 Einwohner.

Der russische Hilfskonvoi stoppte am frühen Abend wohl an der Grenze zum Gebiet Lugansk. Der Fortgang der Mission blieb unklar und umstritten. Bei einer Verletzung der Regeln werde die Kolonne »mit allen Kräften« aufgehalten, drohte Kiews Innenminister Arsen Awakow. Wie der Vizechef des Präsidialamtes Waleri Tschaly anmerkte, würde es viele der angekündigten Güter in der Ukraine selbst geben.

»Wir wünschen, dass sich alle einigen können«, hieß es in Berlin beim Deutschen Roten Kreuz (DRK). Das sei aber nicht selbst in die aktuellen Vorgänge eingebunden, stellte Pressesprecher Dieter Schütz klar. Nach einer Hilfslieferung im März werde eine weitere im Oktober vorbereitet. Kiew entsandte erstmalig selbst Hilfe in das Gebiet seiner »Anti-Terror-Operation«. Noch am Mittwoch hatte das Gesundheitsministerium eine humanitäre Notlage geleugnet.

Kiew will offenbar alle Flüchtlinge aus dem Konfliktgebiet erfassen. So werden alle Posten der ukrainischen Streitkräfte an der Grenze des Kriegsgebietes laut Innenministerium mit Videokameras ausgestattet. Fahrzeuge und deren Passagiere werden aufgezeichnet.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 15. August 2014


Nervenkrieg um Hilfe

Kiew verweigert russischem Konvoi die Einreise. Verbot der KPU vertagt **

Das Verbot der Kommunistischen Partei der Ukraine ist zunächst vertagt. Das Kreisverwaltungsgericht Kiew, vor dem die von der Regierung angestrebte Illegalisierung der Partei verhandelt wird, unterbrach am Donnerstag den Prozeß und vertagte ihn auf unbestimmte Zeit. Grund dafür sei, so die Richterin nach Angaben des Internetportals golos. a, daß beide beteiligten Seiten neue Materialien präsentiert hätten, mit denen sich das Gericht bekannt machen müsse. Zu den von der Staatsanwaltschaft gegen die Kommunisten vorgelegten »Beweise« sollen Berichten zufolge unter anderem Parlamentsreden von Parteichef Petro Simonenko gehören.

Unterdessen ging am Donnerstag der Nervenkrieg um den russischen Hilfskonvoi für die Zivilbevölkerung im Osten der Ukraine weiter. Die Kiewer Machthaber zeigten sich entschlossen, eine Einreise der 280 Lastwagen, die am Mittwoch in Moskau gestartet waren, nicht zuzulassen. Premierminister Arseni Jazenjuk behauptete, seine Regierung liefere alle lebenswichtigen Waren in die »befreiten Regionen« und man sei in der Lage, die Bürger weiter zu versorgen. Die Russen sollten »am besten leere Lkw«, schicken, »um ihre Terroristen zurückzuholen«.

Die Kolonne bewegte sich weiter auf russischem Territorium entlang der Grenze zur Ukraine. Bis zum Abend (Ortszeit) war unklar, wann und wo sie auf das Gebiet des Nachbarlandes wechseln würde. Doch Moskaus humanitäre Aktion setzte Kiew bereits unter Druck. Die dem Regime nahestehende Nachrichtenagentur Ukrinform berichtete, daß die Regierung 19 eigene Lastwagen auf den Weg geschickt habe, um den Einwohnern des von den Regierungstruppen belagerten Lugansk dringend benötigte Lebensmittel zu schicken. Dort erklärte das Oberhaupt der international nicht anerkannten Lugansker Volksrepublik, Waleri Bolotow, seinen Rücktritt. Aufgrund einer Verletzung sei er nicht mehr in der Lage, sich voll für den Kampf gegen die Kiewer Truppen einzusetzen. Sein Nachfolger wurde der für Verteidigung verantwortliche Igor Plotnizki.

Zugleich machen die ukrainische Armee und die an ihrer Seite kämpfenden Milizen des »Rechten Sektors« der Bevölkerung des Donbass das Leben zur Hölle. Die Millionenstadt Donezk wurde wieder heftig beschossen, mindestens ein Einwohner wurde getötet. Medienberichten zufolge waren pfeifende Geräusche herannahender Granaten und kurz darauf laute Explosionen zu hören. Verängstigte Menschen versuchten, Schutzräume zu erreichen. Bereits zu Wochenbeginn hatte das Militär erklärt, es bereite sich auf die letzte Phase der Einnahme der Industriemetropole vor.

Das Parlament in Kiew verabschiedete am Donnerstag in zweiter Lesung Sanktionen gegen Rußland. Unklar war zunächst, ob davon auch die Energieunternehmen Gasprom und Transneft betroffen sind. Dies könnte einen Stopp russischer Öl- und Gaslieferungen nach Westeuropa zur Folge haben. Die EU hatte die Ukraine als wichtiges Transitland vor einem solchen Schritt gewarnt.

** Aus: junge Welt, Freitag, 15. August 2014


Putin setzt auf "Ruhe und Effizienz"

Beim Auftritt des russischen Staatschefs auf der Krim bleiben Sensationen aus

Von Irina Wolkowa, Moskau **


In Stunden größter politischer Aufregung fiel Russlands Präsident bei seinem Auftritt auf der Krim mit Besonnenheit auf. Keine Sensation, aber vielleicht doch überraschend.

Russland Außenpolitik werde friedliebend bleiben, versicherte Russlands Präsident Wladimir Putin am Donnerstag auf der Krim. »Wir werden nicht wie gewisse andere Leute mit einer geschwungenen Rasierklinge um die Welt reiten«, sagte der Kremlchef in Anspielung auf die Entwicklungen in der Ukraine. Auf der im März Russland beigetretenen Halbinsel hatte der Nationale Sicherheitsrat getagt. Anschließend traf sich Putin mit den Fraktionschefs der Duma. Diese hatten angesichts der Entwicklungen in der Ukraine und der gegen Russland verhängten Sanktionen des Westens härtere außenpolitische Bandagen verlangt.

Putin indes versprach lediglich, Russland werde alles tun, um das Blutvergießen in der Ukraine zu beenden. Dabei hatten russische Medien sich von dem erst am Vortag angekündigten Krim-Besuch eine Sensation versprochen. Der Präsident, so wurde dessen Pressesprecher von der staatsnahen Nachrichtenagentur RIA/Nowosti zitiert, werde in Jalta »eine sehr bedeutsame Ansprache« halten. Allein darauf hatten die Moskauer Börsen zu Beginn des Handelstages mit einem Zuwachs von mehr als einem Prozent reagiert.

Doch als der Berg dann kreißte, schien er nur ein ein Mäuslein zu gebären. Sogar das Staatsfernsehen verzichtete auf eine Live-Übertragung. Szenen-Applaus gab es offenbar auch nicht. Denn Putin arbeitete sich vor allem an der Innenpolitik ab. Der »weitere Aufbau des Landes« müsse »mit Ruhe und Effizienz« vorangetrieben werden.

Moskau werde sich nicht vom Rest der Welt isolieren und auch nicht die Beziehungen zu seinen Partnern abbrechen, erklärte Putin. Es werde aber gleichzeitig nicht gestatten, sich Russland gegenüber herablassend zu verhalten. Moskau behalte sich das Recht vor, internationale Abkommen und die Zuständigkeit des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte auszusetzen, drohte der Kremlchef. Das vergangene Woche verhängte Embargo für Lebensmittel aus der EU sei indes keine bloße Retourkutsche für westliche Sanktionen. Mit dem einjährigen Einfuhrstopp solle vor allem die einheimische Agrarindustrie gestärkt und der Binnenmarkt für Staaten geöffnet werden, die mit Russland kooperieren wollen.

Zuvor hatte der für Rüstung zuständige Vizepremier Dmitri Rogosin auf der Internationalen Waffenmesse Oboronexpo in Schukowski bei Moskau erklärt, Russland wolle keinen neuen Eisernen Vorhang fallen lassen. Selbstisolation wäre »für den Technologiebereich eine Katastrophe«. Zugleich kritisierte er die gegen Russland wegen des Ukraine-Konfliktes verhängten Sanktionen als »politisch motivierten unfreundlichen Akt«.

Darunter fallen auch Rüstungsgüter. Das russische Verteidigungsministerium arbeite an einer Klage gegen die deutsche Waffenschmiede Rheinmetall, informierte Rogosin. Sie sollte Lasersimulatoren für das Gefechtsausbildungszentrum in Mulino an der Wolga liefern, trat wegen des EU-Embargos jedoch vom Vertrag zurück. Der Vizepremier geht indes davon aus, dass »notfalls« auch die Vereinigte Gerätebaugesellschaft, die zur russischen Staatsholding Rostech gehört, solche Laser herstellen kann.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 15. August 2014


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