Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Panzergefechte in der Ostukraine

Spezialisten können vorläufig nicht an die Absturzstelle der malaysischen Boeing *

Die Bemühungen um Zugang zur Absturzstelle vom Flug MH17 in der Ostukraine haben einen schweren Rückschlag erlitten.

Zwar erreichten die Niederlande und Malaysia Absprachen mit den prorussischen Separatisten, Experten an die Unglücksstelle in der Ostukraine zu lassen. Doch am Sonntag brachen dort heftige Panzergefechte aus. Die ukrainische Armee versuchte nach Angaben aus Kiew, die Absturzstelle der malaysischen Boeing 777-200 bei Grabowo von den Aufständischen zu erobern. Beim mutmaßlichen Abschuss der Zivilmaschine waren am 17. Juli 298 Menschen ums Leben gekommen. Malaysia Airlines fordert eine Überarbeitung der Richtlinien zur Flugroutensicherheit.

»Wegen Kämpfen in dem Gebiet ist die Lage vorläufig zu instabil, um sicher an der Absturzstelle zu arbeiten«, teilte die niederländische Regierung in Den Haag mit. Zehn Tage nach dem Absturz der Boeing der Malaysia Airlines über der Ostukraine sollten 30 forensische Experten erstmals in das Gebiet fahren, um dort mögliche weitere Opfer zu bergen. Verhandlungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit den Aufständischen hätten dies ermöglicht, hatte es zuvor geheißen.

Das Team soll sich nun in der Stadt Donezk befinden – zusammen mit Vertretern von OSZE, Australiens und Malaysias. Die Regierung in Den Haag beriet am Sonntagnachmittag über den Einsatz einer bewaffneten Polizeieinheit, die die Bergung der Opfer und die Untersuchung der Absturzursache absichern soll. Die bislang geborgenen Toten waren in einer Luftbrücke bis Samstag nach Eindhoven ausgeflogen worden. Ein erstes Opfer, ein Mann aus den Niederlanden, konnte gerichtsmedizinisch identifiziert werden.

Aus der Stadt Tores nahe der Absturzstelle wurden am Sonntag Granateneinschläge gemeldet. »Die Leute suchen Zuflucht in den Kellern«, schrieb der Fotojournalist Pierre Crom auf Twitter. Die ukrainische Armee wie die Separatisten setzten Panzer ein.

Die ukrainischen Truppen wollten »das Absturzgebiet der Boeing 777 von Terroristen befreien, um internationalen Experten Sicherheit zu garantieren und die Möglichkeit für ihre Untersuchungen«. Das sagte der Sprecher des Sicherheitsrates, Andrej Lyssenko, in Kiew nach Angaben der Agentur Interfax. In den Tagen vorher hatte Präsident Petro Poroschenko eine Waffenruhe im Umkreis von 40 Kilometern um die Unglücksstelle zugesagt.

Nach Angaben des niederländischen Justizministeriums hatten Vertreter der OSZE mit den Rebellen über Sicherheit für die Experten verhandelt. Zudem erreichte der malaysische Ministerpräsident Najib Razak nach eigenen Angaben mit Separatistenführer Alexander Borodai eine Übereinkunft, wonach internationale Polizeikräfte Zugang zur Unglücksstelle bekommen sollen.

Überall im Konfliktgebiet verschärften sich am Wochenende die Kämpfe. Mindestens 13 Menschen starben. Am Rand der Millionenstadt Donezk versuchte die ukrainische Armee mit Artilleriefeuer, die Separatisten zurückzudrängen. Auch die Großstadt Lugansk wurde beschossen. Heftige Gefechte gab es auch entlang der ostukrainischen Grenze zu Russland. Kiew will die Grenze unter Kontrolle bringen, um die Rebellen von ihrem vermuteten Nachschub aus Russland abzuschneiden.

* Aus: neues deutschland. Montag, 28. Juli 2014


Antikriegsaktion in Mykolajiw

Angehörige fordern Soldaten zur Desertion auf. Kiew plant Rückeroberung von MH17-Absturzstelle

Von Reinhard Lauterbach **


In der südukrainischen Stadt Mykolajiw am Unterlauf des Dnipro hat es am Wochenende die größte bisher bekanntgewordene Antikriegsdemonstration gegeben. Etwa 100 Frauen und Mütter von Angehörigen der dort stationierten 79. Luftlandebrigade besetzten zum zweiten Mal eine Brücke und forderten, die Soldaten zurückzuholen. Die Einheit ist im Süden des Donbass eingekesselt. Soldaten riefen während der Aktion an und berichteten von hohen Verlusten und Munitionsmangel. Einige überlegten, mit weißen Fahnen auf russisches Gebiet überzutreten. »Haut ab«, war die Antwort der versammelten Frauen, »uns sind lebende Verräter lieber als tote Patrioten«. Die Polizei griff nicht ein. Ähnliche Blockaden gibt es offenbar auch in anderen Städten der Ukraine.

Im Westen des Donbass starteten ukrainische Truppen einen Angriff auf die Stadt Gorlowka und den Straßenknotenpunkt Debalzewo östlich von Donezk. Dadurch soll die Verbindung zwischen Donezk und Lugansk unterbrochen werden. Durch Artilleriebeschuß kamen in Gorlowka nach Angaben örtlicher Medien bis zu 30 Menschen ums Leben. Aus der vor kurzem von der Nationalgarde zurückeroberten Stadt Lisitschansk berichtete der örtliche Kommandeur per Facebook von einer feindseligen Haltung der Bevölkerung. Auf die Nationalistenparole »Ruhm der Ukraine« sei die Reaktion anstelle des erwünschten »Den Helden Ruhm« nur eisiges Schweigen gewesen. Nach Kiewer Angaben vom Sonntag versuchen ukrainische Truppen, die Absturzstelle der malaysischen Boeing zu erobern, um »internationalen Experten sicheren Zugang« zu verschaffen. Zuvor hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko eine Waffenruhe um die Stelle bei Grabowo zugesagt.

In Washington wird derweil überlegt, der ukrainischen Armee US-Satellitenbilder über die Positionen der schweren Waffen der Aufständischen zu überlassen. Wie die New York Times am Sonntag berichtete, stammt ein entsprechender Plan aus dem Pentagon.

** Aus: junge Welt. Montag, 28. Juli 2014


Zurück zur Ukraine-Seite

Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage