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Internationaler Währungsfonds bewilligt Ukraine eine zweite Kredittranche

Von Wolfgang Pomrehn *

So ein Bürgerkrieg ist nicht gerade billig, aber der Regierung in Kiew wird vorerst das Geld nicht ausgehen. 1,4 Milliarden US-Dollar (gut eine Milliarde Euro) sind auf dem Weg in die ukrainische Hauptstadt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat vergangene Woche die Auszahlung des Geldes beschlossen. Es handelt sich dabei um die zweite Tranche eines Kredites über 17 Milliarden US-Dollar (etwas mehr als 13 Milliarden Euro), der im Mai genehmigt worden war.

Die aktuelle Überweisung wird vor allem das Loch im Kiewer Haushalt stopfen. Rund 70 Prozent des Geldes sind dafür vorgesehen. Der Rest geht in den Schuldendienst. Ansonsten versprach die Regierung aber, die zirka 580 Millionen Euro unvorhergesehener Militärausgaben auf anderem Wege wieder hereinzuholen. Dafür sollen Subventionen gekürzt, staatliche Dienstleistungen verringert und auch bei sogenannten Transferzahlungen gespart werden. Unter letzteren werden Rente, Sozialhilfe, Arbeitslosenunterstützung und ähnliches verstanden.

Der IWF, in dem noch immer die USA und ihre Verbündeten über die Mehrheit der Stimmrechte verfügen, zahlt sicherlich gerne, aber ohne Auflagen gibt es natürlich nichts. Schon im Mai, bei der Bewilligung des ­Kredits, mußte die Führung in Kiew unter anderem versprechen, den Preis für Gas anzuheben, öffentliche Angestellte und Beamte auf die Straße zu setzen und eine bereits beschlossene Erhöhung des Mindestlohns um umgerechnet wenige Euro-Cent wieder zurückzunehmen. Die Steigerung hätte nicht einmal ein Drittel der gegenwärtigen Inflation ausgeglichen, aber ein Stundenlohn von 48 Cent ist für die IWF-Bürokraten offensichtlich schon Luxus. (Zum Vergleich: In dem noch immer als Billiglohnland verschrienen China liegt der von Provinz zu Provinz variierende Mindestlohn inzwischen bei umgerechnet 0,90 bist 1,70 Euro pro Stunde.)

Und damit soziale Grausamkeiten nicht nur angekündigt, sondern auch umgesetzt werden, prüft der Fonds vor der Freigabe jeder Tranche, ob die sogenannten Reformen auch umgesetzt werden. Das Ergebnis ist in einem länglichen Bericht nachzulesen, in dem die IWF-Ökonomen unter anderem zu dem Ergebnis kommen, daß die ukrainische Wirtschaft, die sich bereits 2013 in einer Rezession befand, in diesem Jahr noch stärker als erwartet schrumpfen wird. Um 6,5 Prozent werde die Wirtschaftskraft 2014 zurückgehen. Unabhängige Beobachter, die die britische Zeitung Guardian zitiert, halten das für zu optimistisch und rechnen eher mit einem Minus von 7,5 Prozent. 2012, vor der jüngsten Krise, hatte die Ukraine pro Einwohner ein jährliches Bruttonationaleinkommen von 3500, gerade halb so viel wie Rumänien oder Bulgarien, die zu den ärmsten EU-Mitgliedern zählen.

Von diesem Niveau aus geht es also weiter abwärts, aber der IWF ist optimistisch. Für 2015 rechnet er wieder mit einem leichten Wachstum. Allerdings bleibt fraglich, wie dieses erreicht werden soll. In einem sogenannten Letter of Intent, also in der üblicherweise verbindlichen Absichtserklärung, mußte die Führung anläßlich der Tranchefreigabe weitere Einschnitte zusagen, die auf einen fortgesetzten Abbau der Kaufkraft hinauslaufen und eine wirtschaftliche Erholung damit nicht gerade als wahrscheinlich erscheinen lassen. In dem von Präsident Petro Poroschenko, Premierminister Arsenii Yjazenjuk sowie Finanzminister Olexander Schlapak und der im Juni neu eingesetzte Zentralbankchefin Waleria Gontarewa unterzeichneten Dokument wird unter anderem die Entlassung von 27000 Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst noch in diesem Jahr sowie eine weitere Reduktion der Stellen im letzteren um drei Prozent angekündigt.

Wer nicht auf der Straße landet, muß damit rechnen, daß sein Gehalt in diesem Jahr nicht erhöht wird. Auch Renten und Sozialhilfe sollen eingefroren werden. Bei einer Teuerungsrate von 13 Prozent, die nach Meinung der vom Guardian zitierten Analysten bis zum Jahresende auf 20 Prozent anwachsen kann, bedeutet die IWF-Medizin also einen dramatischen Abbau der realen Einkommen. Und wenn man das ohnehin bereits sehr niedrige Lebensniveau bedenkt, laufen die geplanten Maßnahmen auf ein Verelendungsprogramm hinaus. Ob es da wohl einen Zusammenhang mit den jüngst von der Bundesregierung diskutierten Maßnahmen gegen sogenannte Armutszuwanderung gibt? Wie dem auch sei, die Ukrainer dürfen vorerst nicht auf Verbesserung ihrer Lage hoffen, zumindest nicht die staatlichen Angestellten: Ihre Gehälter werden auf Geheiß des IWF künftig an die Inflationsrate gebunden, das heißt, Reallohnzuwächse sind nicht vorgesehen. Unabhängige Gewerkschaften und Tarifverhandlungen offensichtlich auch nicht.

Die Inflation ist übrigens unter anderem Ergebnis eines erheblichen Kursverlustes der ukrainischen Währung, durch den Importe, nicht zuletzt die unersetzlichen Gaseinfuhren aus Rußland, verteuert werden. Auch die Bedienung der Auslandsschulden wird durch die Abwertung schwieriger. Da wäre es naheliegend, daß die Regierung versucht, den Devisenhandel stärker zu regulieren und den Kurs der Griwna zu stützen. Doch derlei ist nach Ansicht des IWF des Teufels. Die ukrainische Führung mußte »das ungehinderte Funktionieren des Devisenmarktes« zusagen und darüber hinaus in dem oben erwähnten Dokument versprechen, daß sie allen etwaigen Versuchen des Parlaments entgegentreten werde, der Zentralbank mehr Spielraum zur Kontrolle der Devisen- und Finanzmärkte zu geben. Wie auch die Entwicklung der südeuropäischen Krisenländer wird also die der ukrainischen Wirtschaft vorerst nur eine Richtung kennen: abwärts.

* Aus: junge Welt, Montag 8. September 2014


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