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"Die deutsche Botschaft in Kiew pflegt Kontakte zu Regierung und Opposition - darunter auch zur Partei 'Swoboda'"

Auf dem rechten Auge blind? Die Bundesregierung antwortet auf eine Kleine Anfrage der Linken


"Die Bundesregierung hat mitgeholfen, die ukrainischen Faschisten salonfähig zu machen, und drückt nun beide Augen zu, um die seit Monaten virulenten rechtsextremen Umtriebe in der Ukraine nicht erkennen zu müssen", kritisiert die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE Ulla Jelpke die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion über Rechtsextremisten in der Ukraine (BT-Drucksache 18/1105).

Im Folgenden dokumentieren wir die Einleitung zum Fragenkatalog der Kleinen Anfrage sowie die Stellungnahme der Abgeordneten Ulla Jelpke zu den Antworten der Bundesregierung.


Vorbemerkung der Fragesteller

In der Ukraine hat als Ergebnis monatelanger, von der Bundesregierung und anderen Staaten der Europäischen Union (EU) unterstützter Proteste eine neue Regierung die Macht übernommen. Dieser gehören zum ersten Mal in der Geschichte der unabhängigen Ukraine Mitglieder rechtsextremer Organisationen an. Hierzu zählen unter anderem die Minister für Verteidigung, Landwirtschaft und Umwelt, die der „Allukrainischen Allianz Swoboda“ angehören. Die Fragestellerinnen und Fragesteller sowie die Bundesregierung haben bereits im vorigen Jahr im Rahmen einer Kleinen Anfrage zahlreiche Belege für die rechtsextreme Ausrichtung dieser Partei angeführt (vgl. Bundestagsdrucksache 17/14603). So hetzte Parteichef Oleg Tjagnibok öffentlich gegen „Juden und andere Schädlinge“, die Swoboda-Fraktion knüpft freundschaftliche Kontakte zur NPD, die Partei veranstaltet in den von ihr dominierten galizischen Landesteilen Aufmärsche zu Ehren der Waffen-SS. Swoboda stellt sich in die Tradition der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) – faschistische Organisationen, die während des Zweiten Weltkrieges Zehntausende polnischer Zivilisten, jüdischer Flüchtlinge und ukrainischer Bürger umbrachten, die ihren Führungsanspruch infrage stellten.

Die Machtübernahme der bürgerlich-rechtsextremen Koalition in Kiew geht einher mit einem teilweisen Zusammenbruch der Sicherheitsorgane dort, in deren Folge es nach verschiedenen Medienberichten zu massiven Verfolgungen regierungskritischer, insbesondere antifaschistischer Kräfte kommt (https://linksunten.indymedia.org/de/node/107460).

Die Gewaltbereitschaft von Swoboda belegen unter anderem auch Berichte auf der Partei-Homepage, denen zufolge schon lange vor Ausbruch der Gewalttätigkeiten in Kiew Swoboda-Aktivisten in Galizien Amtsträger und Politiker der Partei der Regionen mittels „Hausbesuchen“ unter Druck gesetzt haben, um ihre Ämter aufzugeben. In Galizien wurde mit Billigung der Behörden eine „Nationalgarde“ gebildet (http://portal.lviv.ua/news/2014/01/27/142456.html), bereits im Januar 2014 wurden in den Distrikten Iwano-Frankiwsk und Ternopil (dessen Bürgermeister dem NPD-Blatt „Deutsche Stimme“ ein Interview gegeben hat) die Partei der Regionen und die Kommunistische Partei verboten (http://portal.lviv.ua/news/2014/01/26/134600.html).

Weitere rechtsextreme Organisationen („Rechter Sektor“, UNA/UNSO u. a.) haben während der Proteste in Kiew maßgeblich zur gewalttätigen Eskalation beigetragen.

Die Fragestellerinnen und Fragesteller halten es für plausibel, dass deutsche Rechtsextreme auf die Regierungsbeteiligung ukrainischer Faschisten reagieren. Nach einem Bericht der „Berliner Zeitung“ (9. März 2014) erwartet die NPD-Jugendorganisation zu ihrem „Europakongress“ in Leipzig auch Abgesandte des „Rechten Sektors“. Die Fragestellerinnen und Fragesteller befürchten zudem, dass auch in Deutschland lebende Swoboda-Anhänger ihre Aktivitäten verstärken könnten. Auch asylrelevante Auswirkungen der Entwicklung sind aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller nicht auszuschließen.

Aus der Pressemitteilung von Ulla Jelpke:

Die Bundesregierung gibt an, „keine Kenntnis“ von politischer Verfolgung von Antifaschisten, Aktivisten des LGBTI-Spektrums, von Borotba oder KPU-Mitgliedern zu haben.

Sie will auch nichts über drohende Straflosigkeit für solche Verbrechen wissen, genauso wenig wie über Tätigkeiten der rechtsextremen Swoboda-Partei in Deutschland.

Dabei würde zum Teil schon eine einfache Internetrecherche ausreichen, um zu erfahren, dass Swoboda zumindest in München aktiv ist, dass in der Westukraine die Polizei faktisch aufgelöst ist, selbsternannte Bürgerwehren durch Lwiw patrouillieren und Staatsanwälte, die dem Rechten Sektor nicht passen, körperlich angegriffen werden.

Anstatt ihre Erkenntnisse über diese Vorgänge zu vertiefen, trägt die Bundesregierung dazu bei, die Swoboda-Partei salonfähig zu machen. Ausdrücklich bestätigt sie, dass die deutsche Botschaft in Kiew „auch populistische oder nationalistische Parteien unterschiedlicher Ausrichtungen und Zielsetzung, so auch die jetzt an der Regierung beteiligte Partei ‚Swoboda‘“, zu Gesprächen einlädt. Das geschehe „in Wahrnehmung ihrer Aufgaben“. Ich kann allerdings nicht einsehen, warum es die Aufgabe einer deutschen Botschaft sein sollte, freundliche Kontakte zu einer Partei aufzubauen, die regelmäßig Paraden zu Ehren der Waffen-SS veranstaltet. Die Lehre aus der deutschen Geschichte wäre vielmehr, zur Ächtung einer solchen Partei beizutragen.

Aktivitäten deutscher Nazis hinsichtlich der Ukraine sind der Bundesregierung ebenfalls nicht bekannt. Allerdings verweist sie darauf, dass sich Ende März das Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus (GAR) mit möglichen Kontakten deutscher Rechtsextremisten nach Russland und in die Ukraine befasst habe. Ein abschließendes Fazit lasse sich noch nicht ziehen.

(Quelle: Pressemitteilung von Ulla Jelpke, MdB Die Linke, 14.04.2014)

Dokumentiert:

Erkenntnisse über Kontakte deutscher Rechtsextremisten in die Ukraine und Präsenz rechtsextremer ukrainischer Kräfte in Deutschland
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/904 – (09.04.2014)




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