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Willkommen im Club der "Freien"!

An die heldenhaften Freiheitskämpfer des Maidan!

Von Sabine Keim *

Herzliche Gratulation für dieses Paradebeispiel eines gelungenen Freiheitskampfes, wie ihn sich die westliche Zuschauerschaft nicht besser erträumen könnte! Hätte doch der Westen, allen voran die Amerikaner, vor lauter Islamistenhatz und Terrorbekämpfung in den letzten Jahren fast vergessen, wo der wahre Feind sitzt: Höchste Zeit also für eine Neubelebung des West-Ost-Konflikts, dem Sie dankenswerterweise Frischkost zugeführt haben. Herzliche Gratulation!

Der wahre Feind, das war und soll doch hoffentlich auf ewig bleiben: der böse Russe natürlich, und mit ihm alles, was prorussisch ist!

Wie konnte der Bösewicht Janukowitsch sich auf die Seite des Russen schlagen und dessen Angebot von 15 Milliarden Euro für die darniederliegende Wirtschaft der Ukraine annehmen wollen? Und damit das schon zugesagte Assoziierungsabkommen mit der EU (und damit den Anschluss an die EU) auf die lange Bank schieben wollen?

Hatten Sie, so frage ich Sie, nicht unlängst von der konservativen Konrad-Adenauer-Stiftung und anderen mit amerikanischem Geld aufgebauten NGO's in der Ukraine beigebracht bekommen (nein, Sie haben es natürlich nur „einstudiert“), was „Freiheit“, „Demokratie“ und „westliche Werte“ bedeuten? Und hatten es gutgläubig adaptiert? Sollten Sie sich etwa für nichts und wieder nichts dies alles einverleibt haben?

Jetzt, nach dem „Fehltritt“ von Janukowitsch, sahen Sie Ihre Stunde gekommen, es ihrem Volk zu zeigen, was sie gelernt hatten und was gut und was böse ist. Eins, das muss ich Ihnen attestieren, hatten Sie in Ihren „Crashkursen“ in Sachen Demokratie seltsamerweise sehr schnell kapiert: Je skuprelloser und halsschreierischer Sie gegen die Russen und alles Prorussische geifern, desto zuverlässiger werden Sie aus dem Westen unterstützt und desto üppiger sprudeln dessen Geldquellen. Kein Wunder, ist es doch eine sehr einfache Formel (Westen gut, Russen böse), die sich neben vielen anderen ganz gewöhnlichen z.B. auch mühelos in ein von Boxschlägen schon arg malträtiertes Gehirn einbrennt.

Geboten haben Sie uns ein schaurig-schönes Szenario von bunten Fahnen auf dem Maidan, von von Künstlern bemalten Stellwänden, von glampfenden und fiedelnden Musikanten und Suppe kochenden Frauen und Mütterchen, ganz in Anlehnung an eine Friedensdemo des Westens, was mit Wohlgefallen, da bekannt, aufgenommen wurde. Auf der anderen Seite Ihre maßlose Gewalt und Provokation, die bei Demonstrationen im Westen übrigens niemals geduldet worden wäre, aber Ihnen, da es ja schließlich gegen einen „prorussischen Despoten“ ging, ohne weiteres durchgelassen wurde: brennende Reifen und Barrikaden (teilweise, so schien es mir, ging der halbe Maidan-Platz in Flammen auf), kriegerische Demonstranten in Kampfmontur mit Helmen, vermummt und gar mit Gewehren bewaffnet, die ungeniert Molotowcocktails in die Reihen der Polizisten feuerten, Ministerien und Regierungsgebäude stürmten und vieles mehr, unterstützt von paramilitärischen Verbänden faschistischer Organisationen. Dessen ungeachtet hält der Westen unbeirrt an Ihnen, den „Guten“, und „auf der richtigen Seite stehenden“ Oppositionellen fest, und Sie wissen auch ganz genau, dass Sie diese Rückendeckung und die uneingeschränkte Solidarität des Westens haben und sich schier alles erlauben dürfen, z.B. gerne auch an der Gewaltspirale schrauben, wie Sie es mehrfach schon getan haben und bis heute tun. Ich bin wirklich ganz platt und erschaudere in Ehrfurcht angesichts ihres „Mutes“ und Ihrer „Unerschrockenheit“. Und danke Ihnen ganz kleinlaut für dieses erneute Lehrstück in Sachen Demokratie und Menschenrechte.

Dass die Scharfschützen auf dem Maidan mit annähernd 100 Toten sowohl auf Seiten der Demonstranten wie auch auf der Seite der Polizei womöglich auf Ihr Kerbholz gehen, verwundert bei allem, was bis dato geschah, nicht mehr wirklich. Dass Sie dies kurzerhand Janukowitsch in die Schuhe schoben und ihn als Massenmörder mit internationalem Haftbefehl suchen ließen – ein strategisch wunderbarer Schachzug- ich gratuliere – fehlte doch dem Westen noch der endgültige Beweis, dass es sich bei Herrn Janukowitsch um einen blutrünstigen Diktator und Schlächter handelt.

Sehr schnell haben Sie also – ich gratuliere erneut – auch gelernt, zu provozieren, zu lügen, zu tricksen, zu betrügen... wenn es nur gegen den bösen Russen geht, so sind ja schließlich alle Mittel erlaubt.

Nachdem ich Ihnen schon attestiert habe, dass Sie die Lektionen des Westens ganz spielerisch gelernt haben, ja noch eins drauf gesetzt haben, möchte ich Sie ermuntern: Weiter so! Haben Sie keine Skrupel! Aber ich glaube, das brauche ich Ihnen gar nicht zu sagen.

Nachdem das Blutbad mit den fast 100 Toten auf dem Maidan angerichtet war, konnten Sie getrost die Regierung Janukowitschs (den Sie dafür verantwortlich machten), zum Teufel jagen und sich an die Macht putschen. Wen kümmern in so einer „Umbruchsituation“ schon Recht und Gesetz? Dass Sie dieses massiv verletzten, lassen wir „Westler“ doch mit einem Augenzwinkern durchgehen! Gesetze einhalten, das ist doch nichts für uns, das soll, verdammt nochmal, der Russe tun, oder?

Eine Ihrer ersten Amtshandlungen in der sogenannten „Übergangsregierung“, die sofort vom Westen hofiert wurde, war, wie wäre es auch anders zu erwarten gewesen, das Russisch als Sprache in der Ukraine zu verbieten. Sehr verehrte Freiheitskämpfer – ich gratuliere sehr zu diesem zweiten großen Schachzug!

Dass praktisch die Hälfte Ihres Landes noch mehr oder weniger prorussisch ist und auch Russisch spricht und Ihre grandiose Machtergreifung und Ihren Pakt mit den Faschisten mit etwas anderen Augen sieht, sollte Sie nun wirklich nicht bekümmern müssen und tut es ja auch nicht, wie wir alle wissen. Als Freiheitskämpfer müssen Sie vor allem eines wissen: Sie sind etwas ganz Besonderes, sozusagen die intellektuelle Speerspitze der Freiheit! Sie werden doch wohl mit nur einer lächerlichen Hälfte Ihres Landes fertig werden?! Das sind doch nur überwiegend redliche Arbeiter in den Industriegebieten des Landes, und außerdem von der russischen Propaganda vernebelt! Und was haben Sie denn, bitteschön, als künftige Elite des Landes mit einfachen Arbeitern am Hut?

Lassen Sie die nur kräftig für sich arbeiten und das marode Land neu aufbauen, der Westen wird Ihnen das nötige Geld, „Know-how“ und ein Heer an Psychologen und Spezialisten schicken, die wissen, wie man das am geschicktesten macht. Und vor allem, aber entschuligen Sie, das haben Sie ja schon gemacht, verbieten Sie nicht nur Russisch, sondern auch alle russischen Sender in der Ukraine. Einschränkung der Pressefreiheit ist zwar im Westen sonst verpönt, aber in Ihrem Falle wird das wohl jeder als Notwehr einsehen. Also, ich bin sicher, diese Verräter der Freiheit im Westen und Süden Ihres Landes werden Sie schon rumkriegen, obwohl Sie ja auch einen rechten Bürgerkrieg im Land jederzeit in Kauf genommen hätten. Ach, übrigens, dazu noch ein paar Tipps:

Veranstalten Sie doch unter den echten „Hardlinern“ in Ihren russophoben Reihen ein schönes „Brainstorming“ - da werden Sie mal sehen, was da alles an Einfällen kommt, wie man dieser „freiheitsfeindlichen Minderheit“ im Osten und Süden Herr wird. Und Sie wissen doch hoffentlich schon, wie das geht beim „Brainstorming“: Ungeniert den ganzen Hass (auf die Russen) rauslassen, alles ist erlaubt, und schließlich – was können Sie denn schon verlieren mit den Amerikanern und der überwiegenden Mehrheit der Europäer im Rücken? Nur zu! Je dreister und unverschämter, desto besser!

Selbstverständlich, aber das versteht sich nun wirklich von selbst, werden Sie verhindern, dass auch nur ein Zollbreit ukrainischen Bodens an die Russen fällt. Sie haben ja längst gesagt, dass Sie eine Abstimmung der Bevölkerung der Krim, lieber zu den Russen gehören zu wollen, als von vornherein illegal und völkerrechtswidrig und was sonst noch alles ablehnen werden. Ihr Hilfeschrei an die NATO wurde schon mit dem Flug von zwölf F-16-Kampfjets nach Polen, von Kampfbombern ins Baltikum und mit dem Verlegen eines amerikanischen Kampfschiffes ins schwarze Meer und mit weiteren militärischen Drohgebärden beantwortet.

Ich hoffe sehr, Sie wissen das zu schätzen und werden bei Ihrer zukünftigen Regierungszusammenarbeit die „freiheitlichen Werte“ des Westens umso diensteifriger verteidigen helfen.

Dass die russische Seite ein bisschen nach der Devise gehandelt hat: „Was Euch recht ist, kann uns nur billig sein“ und Ihnen als Reaktion auf Ihre Provokationen einen Spiegel vorhält (nur mit umgekehrten Vorzeichen), haben Sie wohl noch nicht einmal bemerkt! Wie könnten Sie auch, da Sie inzwischen ja schon so „frei“, emanzipiert von allem Russischen und „demokratisch“ sind!

Nochmals willkommen im Club der „Freien“ - Sie haben Ihre Rolle bisher schon meisterlich gespielt, und als Dank für Ihre zweifellosen Verdienste, den Ost-West-Konflikt wieder kräftig angefeuert zu haben, möchte ich Ihnen am liebsten schon jetzt ein Wärterplätzchen ganz in der Nähe der Amerikaner reservieren, noch vor den Briten, deren Premierminister Tony Blair sich seinerzeit für seine Vasallentreue gegenüber den Amerikanern den nicht so ganz ruhmreichen Titel als „Bush's poodle“ erworben hatte: nein, Sie hätten das Zeug dazu, wenn Sie so weitermachen, zu einem richtigen Bullenbeißer der Amerikaner und des gesamten Westens zu avancieren, jederzeit bereit, dem bösen Russen aufzulauern, zuzubeißen oder einfach nur frech ans Bein zu pinkeln. Ich gratuliere, zum letzten Mal, schon mal vorab für diese mögliche neue Rolle in der freien westlichen Wertegemeinschaft. Sie werden sicherlich einen Heidenspaß dabei haben und große Zufriedenheit verspüren, sich fortan immer auf der richtigen Seite wähnen zu dürfen.

* Sabine Keim, Freiburg, Verwaltungsangestellte und Friedensaktivistin


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