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Sturm auf Debalzewe

Kiew bestätigt Einnahme des Ortes durch Aufständische. In Donezk schweigen die Kanonen. Ukraine bestellt Waffen in den USA

Von Reinhard Lauterbach *

Truppen der international nicht anerkannten Volksrepublik Donezk sind nach eigenen Angaben am Dienstag in Teile der umkämpften Kleinstadt Debalzewe im Donbass eingedrungen. Die Kämpfer hätten den Bahnhof und das naheliegende Polizeihauptquartier erobert. In dem Ort fänden heftige Straßenkämpfe statt.

Das ukrainische Militär bestätigte die Meldungen des Gegners mit mehrstündiger Verspätung und räumte die Einnahme der Stadt durch die Aufständischen ein. Bestritten wurde jedoch, dass sich zahlreiche Soldaten der Regierungstruppen freiwillig den Aufständischen ergäben. Sie gingen zwar in Gefangenschaft, jedoch in Kampfsituationen. Nach Kiewer Angaben wurden mindestens zwei Versorgungskolonnen, die Lebensmittel und Munition nach Debalzewe bringen sollten, von den Aufständischen zerschlagen.

Wegen der anhaltenden Kämpfe verweigerte die »Volksrepublik Donezk« einer Beobachtergruppe der OSZE den Zugang zu Debalzewe. In Kiew blockierten einige dutzend Frauen und Mütter von ukrainischen Soldaten die Straße vor dem Verteidigungsministerium und forderten, ihre Angehörigen aus dem Kessel von Debalzewe herauszuholen.

An den meisten anderen Frontabschnitten blieb es dagegen ruhig. Aus Donezk berichtete die Stadtverwaltung, erstmals seit Tagen habe es seit 24 Stunden keinen Artilleriebeschuss gegeben. Der Präsident der »Volksrepublik Lugansk«, Igor Plotnitzki, erklärte, in seinem Territorium habe die Volkswehr mit dem Abzug ihrer schweren Waffen von der Front bereits begonnen. Die russische Onlinezeitung lenta.ru zitierte einen ukrainischen Militär mit der Aussage, das Ausbleiben von Beschuss auf die eigenen Stellungen gebe die Chance zum Rückzug der eigenen Artillerie.

Ruhig blieb es am Dienstag auch am Frontabschnitt östlich von Mariupol. Dort hatten Anwohner am Montag über Plünderungen durch Angehörige des faschistischen Bataillons »Asow« berichtet.

Die ukrainische Regierung hat nach Angaben des Staatspräsident Petro Poroschenko gehörenden Senders 5 Kanal bei den USA offiziell die Lieferung von Waffen beantragt. Die Gespräche würden »aktiv geführt«, erklärte Präsidentenberater Jurij Birjukow dem Sender. Die USA hätten zu diesem Zweck Finanzierungshilfen in Höhe von 350 Millionen US-Dollar zugesagt und eine weitere Milliarde in Aussicht gestellt.

Die USA sind möglicherweise nicht das einzige Land, bei dem sich die Ukraine schon jetzt mit Waffen versorgt. Die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza zeigte vor einigen Tagen das Bild einer ukrainischen Panzerkolonne bei Debalzewe, deren vorderstes Fahrzeug ein deutsches Exportkennzeichen aus dem Sommer 2014 trägt. Das nach Angaben der Zeitung von der internationalen Nachrichtenagentur Reuters bezogene Foto zeigt einen Schützenpanzer des sowjetischen Typs »BMP-2«. Im Internet werden solche Fahrzeuge – offenbar aus alten NVA-Beständen – zu Preisen ab etwa 30.000 Euro angeboten. Die Soldaten auf den Panzern trugen die gelben Armbinden, mit denen das Faschistenbataillon »Asow« seine Kämpfer zusätzlich zur Uniform kennzeichnet.

Der Kommandeur eines anderen ukrainischen Freiwilligenbataillons, Jurij Bereza, hat vor einigen Tagen die Armee zu Angriffen auf russisches Territorium aufgefordert. Die Streitkräfte müssten so stark werden, dass sie bis zum Moskauer Gartenring – einer innenstadtnahen Verkehrsader – vorstoßen könnten, sagte Bereza, der auch Parlamentsabgeordneter der »Volksfront« von Ministerpräsident Arseni Jazenjuk ist, im ukrainischen Fernsehen. Dass man sie dafür als Faschisten bezeichnen werde, müssten die Ukrainer hinnehmen, so der Rat an seine Landsleute. Bereza gehört zu den Kommandeuren, die mit den USA im Herbst über ein Guerillatraining ihrer Truppen verhandelt haben.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Februar 2015


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