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Ideologischer Kehraus

Kiewer Parlament erklärt Faschisten zu Freiheitskämpfer

Von Reinhard Lauterbach *

Das ukrainische Parlament hat am Donnerstag »Kommunismus und Faschismus« für verbrecherisch erklärt und die Propaganda für sie verboten. Mit 254 von 425 Stimmen verabschiedete die Werchowna Rada eine Erklärung, in der sie die öffentliche Befürwortung solcher Regimes und die Benutzung ihrer Symbolik für illegal erklärt.

Die Initiatoren des Resolutionsentwurfs erklärten, es gehe nicht darum, bestimmte Ideologien zu verbieten, denn dies sei in demokratischen Staaten unzulässig. Es gehe darum, »totalitäre Regimes« zu verhindern. Die Annahme des Textes werde Gefahren für die Souveränität der Ukraine und die nationale Sicherheit beseitigen und Geist und Moral der ukrainischen Nation stärken.

Dass das eben erst ausgesprochene Verbot des Faschismus nicht ernstgemeint ist, zeigten die ukrainischen Abgeordneten mit einem zweiten geschichtspolitischen Beschluss. Mit 271 Stimmen erklärten sie das gesamte Spektrum faschistischer Organisationen der ukrainischen Geschichte – darunter die OUN Stepan Banderas und ihren militärischen Arm, die UPA – zu Freiheitskämpfern. Demzufolge muss man schon mit Hitlerbildern herumlaufen, um in Kiew eventuell Schwierigkeiten zu bekommen.

Vor dem Parlamentsgebäude hatten am Vormittag einige hundert Anhänger des »Rechten Sektors« dafür demonstriert, die »kommunistische Ideologie« zu verbieten. Sie dürfen mit dem Ergebnis zufrieden sein; denn mit dem gestrigen Parlamentsbeschluss kann jede Fahne mit Hammer und Sichel als verbotenes Symbol des »Totalitarismus« verfolgt werden.

Die Resolution mit ihren uferlosen und unbestimmten Begriffen ist offenkundig eine Lex KPU. Die Kommunisten hatten angekündigt, zum 1. und 9. Mai Demonstrationen zu veranstalten. Diese stehen jetzt mit mindestens einem Bein in der Illegalität, egal, wie friedlich sie organisiert sind.

In einem dritten Beschluss entschieden die Abgeordneten, den Begriff »Großer Vaterländischer Krieg« abzuschaffen und statt dessen am 9. Mai des »Sieges über den Nazismus im Zweiten Weltkrieg« zu gedenken. Auch hier gilt die Hauptstoßrichtung der sowjetischen Symbolik, die bisher aus Anlass der Veteranenehrung gezeigt wurde. Das Gesetz aus dem Jahr 2000, das diese Fragen regelte, wurde außer Kraft gesetzt. Auch an dieser Stelle wird also ein zentrales Element der politischen Identität der ukrainischen Linken illegalisiert.

* Aus: junge Welt, Freitag, 10. April 2015


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