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Krim driftet weiter Richtung Russland

Moskau kündigt Vorschläge an / Merkel und von der Leyen drohen mit neuen Sanktionen nach Referendum

Von Klaus Joachim Herrmann *

Im Konflikt um die Schwarzmeer-Halbinsel halten alle Parteien Kurs: Moskau und Krim auf Anschluss an Russland, der Westen auf Bestrafung.

Mit eigenen Vorschlägen will nun Russland die Krise um die Ukraine »auf Basis internationalen Rechts« bewältigen helfen, kündigte Außenminister Sergej Lawrow am Montag bei einem im Fernsehen übertragenen Treffen mit Präsident Wladimir Putin an. Die Vorschläge wurden noch nicht vorgestellt, sollen aber »die Interessen von ausnahmslos allen Ukrainern« berücksichtigen.

Derweil geht die Hafenstadt Sewastopol auf der Krim offiziell zur russischen Sprache in rechtlichen und amtlichen Angelegenheiten über. Auch damit driftet die ukrainische Halbinsel weiter klar Richtung Russland. Die Führung der Krim rechnet für das Referendum am 16. März mit mehr als 80 Prozent für den Beitritt zu Russland, so Parlamentschef Wladimir Konstantinow.

Die Ost-West-Beziehungen nehmen weiter Schaden. Als Nadelstich ließ sich deuten, dass die EU-Kommission ihre Entscheidung über die Gewährung der Nutzungsrechte für die Gasleitung OPAL an den Gaskonzern Gazprom, angeblich wegen »technischer Fragen«, aussetzte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hoffe immer noch auf die Bildung einer internationalen Krim-Kontaktgruppe, versicherte Regierungssprecher Steffen Seibert. Über bereits beschlossene Maßnahmen gegen Moskau hinaus könnten »weitere tiefer gehende Sanktionen« verhängt werden, hieß es. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wiederholte als mögliche Foren von Gesprächen den NATO-Russland-Rat und die OSZE. Wenn das nicht funktioniere, gehe es um Sanktionen. Die dürften bereits einen Tag nach dem Referendum beschlossen werden.

Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte Sonntagabend den Ukraine-Kurs der EU und die »Alternative Assoziierung mit der EU oder Zollabkommen mit Russland« kritisiert. Die EU hätte damit den »Anfangsfehler« begangen, der zum Konflikt zwischen Russland und der Ukraine führte. Auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) äußerte Zweifel an der damaligen Verhandlungsstrategie der EU.

US-Präsident Barack Obama sprach mit seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping über den Konflikt. Die Staatschefs hätten gemeinsames Interesse an einer Verringerung der Spannungen und einer friedlichen Lösung betont, teilte das Weiße Haus mit.

Von den ukrainischen Spitzenpolitikern befinden sich Premier Arseni Jazenjuk in Washington und Julia Timoschenko wegen ihres Rückenleidens weiter in der Berliner Charité. Über eine Operation ist noch nicht entschieden.

Der ukrainische Präsidentschaftskandidat Vitali Klitschko wurde in der Stadt Charkow von prorussischen Aktivisten mit Eiern, Steinen und Feuerwerkskörpern angegriffen. Der gestürzte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch, der sich im russischen Rostow am Don aufhält, kündigte für den heutigen Dienstag eine Erklärung an.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. März 2014


Obama und die »Beschwichtigungspolitik«

Konservative in den USA drängen den Präsidenten zu hartem Kurs gegen Russland

Von Max Böhnel, New York **


Die Republikaner in den USA werfen Barack Obama eine außenpolitische Strategie unter dem Motto »Frieden durch Schwäche« vor.

Der ukrainische Übergangspremier Arseni Jazenjuk wird am Mittwoch im Weißen Haus empfangen und Donnerstag vor dem UN-Sicherheitsrat sprechen. Der offizielle Empfang auf Einladung Washingtons erfolgt wenige Tage vor dem Krim-Referendum. Mit dem Besuch solle die starke Unterstützung der USA für das ukrainische Volk unterstrichen werden, heißt es. Im Mittelpunkt der Gespräche würden die Suche nach einer friedlichen Lösung des Konflikts, »die die ukrainische Souveränität und territoriale Integrität respektiert«, sowie die internationale wirtschaftliche Unterstützung stehen. Zugleich wird in den USA über das weitere Vorgehen gegen Moskau diskutiert. Am weitesten lehnte sich bisher die ehemalige First Lady und Außenministerin Hillary Clinton aus dem Fenster.

»Das ist, was Hitler damals in den 30er Jahren gemacht hat«, sagte die demokratische Präsidentschaftskandidatin in spe über die Krim-Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin vergangene Woche. Nein, sie vergleiche Putin nicht mit Hitler, erläuterte sie auf Nachfrage, sie wolle nur auf die »Parallelen« zur Nazipolitik »in Polen, der Tschechoslowakei und anderen Teilen Europas« hinweisen. Hitler-Vergleiche, ausgesprochen von hochrangigen USA-Politikern, dienen in der Regel der Einstimmung auf einen Kriegsgang. Jüngste Beispiele sind Irak und Jugoslawien. Clintons Sätze, die selbst von bellizistischen Hardlinern kopfschüttelnd aufgenommen wurden, bleiben bisher die Ausnahme.

Gleichwohl sieht sich USA-Präsident Barack Obama von Seiten der Republikaner dem Vorwurf des »Appeasement« (Beschwichtigungspolitik) gegenüber Putin ausgesetzt. Dieser Tage ereiferten sich die Konservativen auf ihrer Jahresversammlung »Conservative Political Action Conference«. Der Gouverneur von Louisiana, Bobby Jindal, der sich Hoffnungen auf die Präsidentschaftskandidatur für die Wahlen 2016 macht, bezeichnete Obama mit Blick auf die Ukraine-Krise als »den schlechtesten Präsidenten, den ich erlebt habe«. Der ehemalige Botschafter bei der UNO John Bolton unterstellte Obama eine außenpolitische Strategie »Frieden durch Schwäche«. Der Präsident sei »die größte Gefahr für die nationale Sicherheit« und stehe für »Gleichgültigkeit, Multilateralismus, Niedergang, Defätismus«. Doch außer Obama-Bashing hatten die Ultrakonservativen nichts zu bieten.

Die Krim-Krise war auch in den sonntäglichen Fernseh-Talkrunden das Hauptthema. Der ehemalige Pentagonchef und Vizepräsident Dick Cheney schlug in der Sendung »Face the Nation« des Senders CBS »indirekte Militäraktionen« vor. Statt Truppen auf die Krim zu schicken, schlage er neuerlich die Errichtung eines Raketenabwehrschirms in Polen und in der Tschechischen Republik vor, sagte Cheney. Das unter seiner und Bushs Regie erdachte Programm sei »von Obama zum Appeasement von Putin abgeschafft worden«.

Sein Parteikollege, der ehemalige Pentagonchef Robert Gates, schlug dagegen auf »Fox News Sunday« realistische Töne an. Washington habe keine militärische Option. Die Krim werde dem Zugriff des Westens entgehen. Gates appellierte gleichzeitig an die Republikaner, ihre Kritik an Obamas Regierung zu entschärfen. Sie treffe keine Schuld. Schließlich seien russische Panzer auch in Georgien aufgefahren, als George Bush Präsident war. Der sei dafür nicht als Schwächling bezeichnet worden.

Verschärfte Sanktionen und die langsame Isolierung Russlands würden sich langfristig zeigen, versprach der stellvertretende Sicherheitsberater Obamas Tony Blinken bei CNN. Russland bezahle bereits jetzt einen Preis, der sich noch erhöhen werde – »mit dem Niedergang der russischen Börse, des Rubels und mit zunehmend verunsicherten Investoren«.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. März 2014


Krim-Behörden versprechen faire Abstimmung

Auffälliges Bemühen um misstrauische Krimtataren: Minderheitenrechte sollen gewahrt werden

Von Irina Wolkowa, Moskau ***


Während die neue Regierung in Kiew nach Mitteln und Wegen sucht, die Abspaltung der Krim von der Ukraine zu verhindern, bereiten die dortigen Behörden eine Sezession zielstrebig vor.

Die Regierung der Krim hat den etwa 250 000 Krimtataren – gut 12 Prozent der Gesamtbevölkerung – Mitspracherecht auf allen Ebenen zugesagt. Sie sollen, wie Parlamentsvizepräsident Sergej Zekow bei Radio »Echo Moskwy« sagte, einen stellvertretenden Parlamentschef stellen und einen weiteren Vertreter ins Präsidium der Volksvertretung entsenden dürfen. Außerdem sollen sie mehrere Ministerposten und andere hohe Ämter in der Regierung übernehmen. »Wir sind bereit, alles zu tun, damit die Tataren das Gefühl haben, voll in die Gesellschaft der Krim integriert zu sein«, sagte Zekow. Es werde auf der Halbinsel auch in Zukunft drei Amtssprachen geben: Russisch, Tatarisch und Ukrainisch. Krim-Regierungschef Sergej Aksjonow hatte sich zunächst für Zweisprachigkeit – ohne Ukrainisch – erklärt.

Zuvor hatte die neue ukrainische Regierung, die vom Krim-Parlament nicht anerkannt wird und ihrerseits die Auflösung des Obersten Rats in Simferopol betreibt, die Abschaltung russischer Fernsehkanäle wegen »Volksverhetzung« verfügt und den Status des Russischen als regionale Amtssprache in Frage gestellt. Das hatte im Osten und Süden der Ukraine mit starkem Anteil russischsprachiger Bevölkerung zu Massenprotesten geführt. Drei Regionen erwägen daher, der Krim-Republik beizutreten, wenn die sich bei dem für Sonntag geplanten Referendum für einen Beitritt zur Russischen Föderation entscheidet.

Der Volksentscheid werde umgerechnet knapp zwei Millionen Dollar kosten, erklärte Regierungschef Aksjonow. Da Kiew bereits die Konten der Krim-Behörden blockiert hat, dürfte der Löwenanteil davon aus Russland kommen. Die finanziellen Hilfen russischer Regionen seien bereits angelaufen, teilte Wladimir Konstantinow mit, der Parlamentschef der Krim. In der vergangenen Woche hatte der Präsident der an der Wolga gelegenen Republik Tatarstan die Halbinsel besucht und mit deren Regierung die Vertiefung der Kooperation auf wirtschaftlichem und humanitärem Gebiet vereinbart. Damit sollen auch die Krimtataren bewogen werden, für den Anschluss an Russland zu stimmen. Die Volksgruppe hat ein historisch belastetes Verhältnis zu Moskau. Wegen Verdachts auf Kollaboration mit der Wehrmacht hatte Stalin sie im Zweiten Weltkrieg kollektiv nach Sibirien deportieren lassen.

Vizepremier Rustam Temirgalijew, selbst ethnischer Tatar, versprach für Sonntag jedenfalls eine faire, freie Abstimmung mit größtmöglicher Transparenz. Er kann sich sogar OSZE-Wahlbeobachter vorstellen, sofern die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ihnen ein entsprechendes Mandat erteilt.

OSZE-Beobachter, die sich in den vergangenen Tagen ein Bild von der Situation auf der Krim machen wollten, waren von Bewaffneten an der Einreise gehindert worden. Im Westen wird vermutet, dass es sich bei den Blockierern um russische Soldaten handelte. Moskau und die Krim-Regierung bestreiten das und machen lokale Heimwehren dafür verantwortlich. Einen bewaffneten Zwischenfall erklärte Krim-Vizepremier Temirgalijew damit, dass es sich bei den vermeintlichen OSZE-Vertretern in Wahrheit um NATO-Militärbeobachter gehandelt habe. »Die brauchen wir nicht«, sagte der Politiker wörtlich bei »Echo Moskwy«.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. März 2014


"Der Westen ist das Problem"

Wachsende Kritik an Ukraine-Politik von EU und USA. Rußland will Vorschläge machen ****

Rußland will mit eigenen Vorschlägen zu einer Beilegung der Krise in der Ukraine beitragen. Diese sollten helfen, den Konflikt »auf Basis internationalen Rechts« zu lösen, kündigte Außenminister Sergej Lawrow am Montag bei einem im Fernsehen übertragenen Treffen mit Präsident Wladimir Putin an. Sie sollten zudem »die Interessen von ausnahmslos allen Ukrainern« berücksichtigen.

Bei einem Telefongespräch mit dem britischen Premierminister David Cameron betonte Putin am Sonntag allerdings auch, er erkenne die Entscheidungen der Regierung und des Parlaments auf der Krim an. Das Regionalparlament hatte nach dem Staatsstreich in Kiew den neuen Machthabern die Gefolgschaft verweigert und Rußland um die Aufnahme in die Russische Föderation gebeten. Am kommenden Sonntag soll dazu ein Referendum stattfinden.

Unterdessen wächst international die Kritik an der Haltung von EU und USA in dem Konflikt. »Nicht Rußland, der Westen ist das Problem«, kritisierte der Bundesausschuß Friedensratschlag in einer am Montag verbreiteten Stellungnahme und warnte: »Aus Einmischung kann Krieg werden«. Die entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Heike Hänsel, lehnte die von der Bundesregierung angekündigte Aufstockung der Hilfen für Kiew ab: »Die neue De-facto-Regierung der Ukraine wird von den reichsten Oligarchen der Ukraine unterstützt und besteht unter anderem aus nationalchauvinistischen und antisemitischen Kräften bis hin zur Nazi-Partei Swoboda.« Die finanzielle Zusammenarbeit müsse ausgesetzt werden, »solange Nazis an der Regierung beteiligt sind«. Der Vorsitzende der französischen Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, kritisierte die westliche Politik als »verantwortungslos und provokatorisch«. Paris solle als Vermittler auftreten, forderte er: »Es hat keinen Sinn, noch mehr Öl ins Feuer der Ukraine oder der Krim zu gießen.«

**** Aus: junge Welt, Dienstag, 11. März 2014


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