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Lugansk ohne Strom

Ukraine: Lage in Großstädten des Donbass immer schlimmer. Proteste gegen Mobilmachung

Von Reinhard Lauterbach *

Die humanitäre Lage in den Großstädten des ostukrainischen Donbass wird immer schlimmer. In der 400000-Einwohner-Stadt Lugansk ist nach der Zerstörung mehrerer Trafostationen die Energieversorgung zusammengebrochen. Wegen des Stromausfalls gibt es auch kein fließendes Wasser mehr. Nach Agenturberichten werden in der Stadt die Lebensmittel knapp. Die meisten Läden hätten nur noch zwei Stunden täglich geöffnet, weil die Beschäftigten aus der Stadt geflohen seien. Auch im westlicher gelegenen Donezk ist die Lage der Aufständischen offenbar kritisch. Die Behörden der »Volksrepublik Donezk« riefen für die Stadt den Belagerungszustand aus und erklärten, alle strategischen Ressourcen seien beschlagnahmt.

Auf militärischer Ebene versuchen die Kiewer Truppen weiter, Donezk einzukesseln und die Verbindung nach Lugansk abzuschneiden. Einen ersten Erfolg hatte dieser Vorstoß, als vor etwa einer Woche der Straßen- und Bahnknotenpunkt Debalzewo eingenommen wurde. Aktuell ist die Straße von Donezk nach Südosten Hauptziel der Angriffe der Kiew unterstehenden Einheiten. Umkämpft sind die Bergbaustädte Schachtjorsk und Tores, das nach dem französischen Kommunistenführer Maurice Thorez benannt ist. Die Aufständischen versuchen, diese Straße offenzuhalten. Beim Beschuß einer ukrainischen Militärkolonne kamen in der Nacht zum Freitag bei Schachtjorsk 21 Soldaten einer Fallschirmjägereinheit ums Leben, etliche gerieten in Gefangenschaft. Soldaten der Aufständischen hinderten Einwohner daran, die Kriegsgefangenen zu verprügeln. Unklar ist die Lage am äußersten Südrand des Aufstandsgebietes. Kiew meldete, die zeitweilige Einkesselung mehrerer tausend Soldaten sei inzwischen von Regierungstruppen durchbrochen worden. Die Aufständischen widersprechen dem. Unbestritten ist, daß die Kiewer Einheiten vor einigen Tagen den strategisch wichtigen Berg Saur-Mogila zurückerobert haben, von dem aus die Rebellen die Regierungstruppen beschossen hatten.

Die ukrainische Armee erleidet bei ihrer Operation im Donbass hohe Verluste. Das läßt sich indirekt aus einem Bericht des US-Analysedienstes Stratfor entnehmen. Dieser meldete vor einigen Tagen, daß die ukrainische Luftwaffe durch Abschüsse schon die Hälfte ihrer Jagdbomber vom Typ SU-25 verloren habe. Anstelle der gefährdeten Flugzeuge werden deshalb auf Befehl aus Kiew inzwischen offenbar ballistische Kurzstreckenraketen vom Typ »Totschka« mit Sprengladungen von 120 Kilogramm verwendet. Die auf Lastwagen montierten Raketenwerfer sind eigentlich zur Bekämpfung von Bunkern vorgesehen, werden aber Berichten zufolge auch zum Beschuß von Donezk eingesetzt. Am Freitag morgen wurden mindestens vier mächtige Einzelexplosionen am westlichen Stadtrand gemeldet.

Im Bezirk Odessa gab es erneut Proteste gegen das Vorgehen des Kiewer Regimes im Donbass. Frauen forderten »Oligarchen und Beamte« auf, »Beispiele des Patriotismus« zu geben und zuerst ihre eigenen Kinder an die Front zu schicken. Auch die Vertretung der ungarischen Minderheit in der Ukraine wandte sich gegen das in der vergangenen Woche erlassene Gesetz zur allgemeinen Mobilmachung und verlangte, zusätzliche Soldaten nur auf freiwilliger Basis zu verpflichten.

* Aus: junge Welt, Samstag, 2. August 2014


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