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"In Kiew stiegen US-Soldaten aus dem Bus"

Sie wurden angeblich von der ukrainischen Regierung gerufen, um »logistische Fragen« vorzubereiten. Gespräch mit Wilfried Handwerk


Wilfried Handwerk ist Geschäftsführer der »DUB Deutsch-Ukrainische-Bulgarische Investmanagement und Handelsgesellschaft mbH« und als freier Berater für die Ukraine tätig.


Sie sind am Sonntag aus Kiew zurückgehrt – wie ist die Stimmung auf dem Maidan, nachdem die Krim-Bevölkerung die Abspaltung von der Ukraine beschlossen hat?

Ich habe dort nur noch Anhänger der offen nationalistischen Bewegung angetroffen. Sie ist geprägt von der Westukraine und gewinnt weiter an Einfluß. Vorherrschend darin sind die zwei großen faschistischen Gruppen, die Swoboda-Partei und der sogenannte Rechte Sektor. Sie bereiten sich zur Zeit offen darauf vor, mit Waffengewalt die Krim anzugreifen. Sie haben bewaffnete Verbände für den Partisanenkrieg gebildet, die in den nächsten zwei Tagen in Marsch gesetzt werden sollen. Mittlerweile gibt es einen offenen Aufruf an junge Männer, sich der »freien Armee« anzuschließen. Die regulären Streitkräfte befinden sich in Auflösung.

Die antirussische Propaganda nimmt in erschreckendem Maße zu, Rußlands Präsident Wladimir Putin wird mit Adolf Hitler gleichgesetzt. Und es werden immer mehr revanchistische Ansprüche gestellt. Ich wurde z.B. gefragt, warum wir Deutschen es uns gefallen lassen, daß die Russen immer noch in Kaliningrad sind, dem früheren Königsberg. Oder: Die Ukraine könnte doch ein deutsches Bundesland werden, warum setzt ihr nicht die Bundeswehr in Marsch?

Frappierend ist, wie wenig Ahnung diese Rechten von der Geschichte haben. Meine Antwort war: Es wäre dann konsequent, wenn Polen diejenigen ukrainischen Gebiete beansprucht, die früher mal polnisch waren. Darauf hieß es dann: Das ist uns egal, Hauptsache wir kommen zum Westen.

Haben Sie auch andere Meinungen angetroffen?

Immer mehr Leute sind überzeugt, daß die Krim ein für allemal verloren ist, daß die Ukraine vor der Spaltung steht. Sie fürchten, die Lage könne eskalieren – durch militärische oder halbmilitärische Einsätze gegen die Krim oder dadurch, daß man der Halbinsel das Trinkwasser abdreht oder ihr den Strom abstellt. Und immer mehr Menschen wird klar, daß sich das, was am Sonntag auf der Krim geschehen ist, in anderen ost­ukrainischen Gebieten schnell wiederholen kann, in Donezk etwa oder in Charkiw.

Wie steht es um die persönliche Sicherheit der Menschen? Muß man in Kiew Angst haben, auf die Straße zu gehen?

Es ist sehr gefährlich geworden. Als ich ankam, war gerade eine Bank von etwa 40 Jugendlichen überfallen worden, alle zwischen 14 und 16 Jahren alt. Sechs von ihnen waren mit Kalaschnikows bewaffnet. Wie sind die Kinder an die Waffen gekommen?

Auf Schritt und Tritt merkt man, daß die Stimmung immer aggressiver wird. Man merkt es bei der Fahrt mit der U-Bahn: Keiner traut dem anderen mehr über den Weg.

Im Vorgespräch sagten Sie, Sie hätten in Kiew US-Soldaten gesehen …

Ich hatte mich im Hotel Bratislava eingemietet. Aus einem Bus, der vor dem Portal hielt, stiegen Donnerstag abend US-Soldaten aus, in Uniform und mit Rangabzeichen. Die haben sich nach dem Einchecken sofort Zivilsachen angezogen, nach dem Frühstück am nächsten Morgen wurden sie abgeholt. Wohin sie fuhren, weiß ich nicht. Nach ihrer Rückkehr kam ich abends mit einem von ihnen ins Gespräch, er konnte russisch. Sie seien auf Einladung der ukrainischen Regierung hier, sagte er. Sie seien gekommen, um »logistische Fragen« zu klären. Ich fragte nach, wie ich das verstehen müsse. Er entgegnete, der russische Bär müsse umzingelt werden, sie würden an der Ostgrenze eingesetzt.

»Logistik« steht im Militärjargon für »Nachschub«, bereiten die USA damit ein Eingreifen vor? Ist diese Militärhilfe in Kiew bekannt?

Ich habe mit offiziellen Stellen gesprochen, u.a. mit Beamten des Landwirtschaftsministeriums, in dem ich zu tun hatte. Sie wollten das nicht wahrhaben, die US-Soldaten habe doch keiner gerufen, hieß es. Bemerkenswert ist übrigens, daß die – ich sage mal: intelligenteren – Leute der neuen Regierung, die sich selbst an die Macht gebracht hat, immer weniger über den Weg trauen. Auch von den regulären Streitkräften erwartet niemand mehr etwas. In der West­ukraine sind z. B. aus Militärdepots massenweise Waffen verschwunden, angeblich waren auch Boden-Luft-Raketen dabei.

Ein Bekannter fragte mich, ob ich Visa für seine Enkel besorgen könne, es sei besser, sie außer Landes zu bringen. Die Lage ist verdammt gefährlich, es können noch schlimme Sachen passieren.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, Dienstag, 18. März 2014


Raus aus der Ukraine

Krim: Bei Referendum stimmen offiziell 97 Prozent für Anschluß an Rußland

Von Reinhard Lauterbach **


Die Volksabstimmung auf der Krim über die Zukunft der Halbinsel hat am Sonntag das erwartete Ergebnis erbracht. Nach offiziellen Angaben stimmten knapp 97 Prozent der Teilnehmer für den Beitritt der Krim zur Russischen Föderation. Die Beteiligung wurde mit mehr als 80 Prozent angegeben. Das würde bedeuten, daß neben den etwa 60 Prozent ethnischen Russen auch ein erheblicher Teil mindestens der ethnischen Ukrainer für den Wechsel ins benachbarte Land gestimmt hätte. Ihr Bevölkerungsanteil wird mit gut 20 Prozent angegeben. Dagegen hielten die Krimtataren, mit zwölf bis 15 Prozent drittgrößte Nationalität der Insel, offenbar überwiegend an dem Boykott fest, den ihre Führung ausgerufen hatte. In den Siedlungsschwerpunkten der Tataren, etwa der Stadt Bachtschissaraj, war es nach Medienberichten am Sonntag nicht einmal möglich, Wahllokale mit Wahlvorständen zu besetzen.

Eine hohe Beteiligung der ethnischen Russen an dem Referendum ist plausibel, ebenso, daß sie überwiegend für den Beitritt zu Rußland gestimmt haben. Bei den Ukrainern sieht die Sache anders aus. Es gibt unter ihnen zwar viele national gemischte Familien, aber es ist eine kühne Hypothese, daß ein rechnerischer Anteil von etwa 50 Prozent der als Ukrainer registrierten Bevölkerung in einer unter Zeitdruck und emotionalen Bedingungen vorgenommenen Abstimmung für den Beitritt zu Rußland gestimmt haben soll. Eine ukrainische Wahlbeobachtungsorganisation beklagte, daß noch in den Stimmlokalen Wähler auf die Listen gesetzt worden seien. Sie verschwieg freilich, daß zuvor die ukrainischen Behörden der Krim den Zugang zum aktuellen Wählerregister gesperrt hatten, weshalb diese hilfsweise auf die Listen der Parlamentswahl von 2012 zurückgreifen mußte. Unabhängige Beobachtungen von dritter Seite liegen nicht vor, weil die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die entsprechende Einladung aus formalen Gründen abgelehnt hatte. So bleiben hinsichtlich der Höhe des Abstimmungsergebnisses Fragen offen, die auf der westlichen Seite in den nächsten Tagen und Wochen bis zum Überdruß wiederholt werden dürften. Das dürfte auch die Absicht gewesen sein, als die OSZE die Einladung zur Wahlbeobachtung zurückwies. Die Legitimation der Abstimmung wird so entgegen den vor Ort geschaffenen vollendeten Tatsachen in der Schwebe gehalten.

Parlament und Regierung der Krim haben unterdessen keine Zeit verloren, Vorbereitungen für den Anschluß an Rußland zu treffen. Der offizielle Name der Krim wurde noch am Montag per Unabhängigkeitserklärung von »Autonome Republik Krim« in »Republik Krim« geändert. Schon am 30. März will die Krim die Moskauer Zeit einführen und damit die Uhren um eine weitere Stunde vorstellen. Kurzfristig soll der russische Rubel eingeführt werden, allerdings soll die ukrainische Hryvnja bis 2016 als Parallelwährung akzeptiert werden. Wie das in der Praxis funktionieren soll, ohne Spekulationen auszulösen, wurde nicht mitgeteilt. Beschlossen wurde ebenfalls, daß das gesamte ukrainische Staatseigentum, daß sich am Montag auf dem Territorium der Krim befunden hat, nun Eigentum der neuen Republik sei.

Die Machthaber in Kiew stehen ihrerseits vor einem politisch-wirtschaftlichen Dilemma. Stellen sie jetzt die Gehalts- und Rentenzahlungen an die Bewohner der Krim ein, erkennen sie die Abspaltung der Insel und ihren Wechsel zu Rußland de facto an. Werden sie aber weiter überwiesen, subventioniert Kiew die Krim ökonomisch.

In Moskau hatten am Wochenende mehrere zehntausend Menschen gegen die Krim-Politik von Präsident Wladimir Putin demonstriert. Die Teilnehmerzahl wurde von der Polizei mit 3000 angegeben, russische Medien sprachen von 20000 und westliche von 50000 Putin-Gegnern. Es sei die größte regierungskritische Demonstration seit Jahren gewesen. Die Teilnehmer liefen mit ukrainischen Fahnen durch Moskau und riefen Parolen wie »Ruhm dem Maidan« und »Rußland und die Ukraine ohne Putin«. Unstrittig ist, daß eine Pro-Putin-Demonstration in Moskau am selben Tag deutlich weniger Teilnehmer aufzuweisen hatte.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 18. März 2014


Dokumentiert: Was Wahlbeobachter sagen:

Presseerklaerung zum Krimreferendum *

Am 16.03.2014 fand in der Autonomen Republik Krim ein Referendum über die Frage statt, ob die Krim weiter im Bestand der Ukraine verbleibt oder sich der Russischen Foederation anschliesst. Aus der Bundesrepublik nahm eine vierkoepfige Delegation als Wahlbeobachter auf Einladung des Europäischen Zentrums fuer Geopolitische Analyse (EZFGA) teil. Die Teilnehmer waren:

Torsten Koplin, Hikmat al Sabty (beide Abgeordnete im Landtag Mecklenburg-Vorpommern), Piotr Luczak (Vorsitzender des EZfGA) und Monika Merk (EZfGA). Die Beobachtertaetigkeit führte die Delegation in der Kuestenstadt Jalta durch. Nach dem Besuch von 12 Wahllokalen und der zuständigen Wahlleiterin ist für Jalta und Umgebung festzustellen:
  1. Der Zugang zu den Wahllokalen war für die Delegation grundsätzlich unangemeldet möglich. In einem Wahllokal jedoch wurde der Delegation erst nach Intervention der Zugang gewährt. In einem anderen wurde der Delegation das Recht, an der Stimmenauszaehlung teilzunehmen, verwährt.
  2. Die Urnen waren versiegelt und durchsichtig.
  3. Die Wahlkabinen waren durch einen Vorhang für Außenstehende nicht einsehbar.
  4. Die Wählerinnen und Wähler wurden anhand eienes gültigen Passes in der Wählerliste abgehakt und durch die Unterschrift des jeweiligen Wahlhelfers bestätigt, wonach die Ausgabe des Wahlscheines erfolgte.
  5. Alle die Organisation des Referendums betreffenden Fragen wurden den Delegationsmitgliedern seitens der Wahllokaleitung befriedigend beantwortet.
  6. Die in vielen deutschen Massenmedien verbreiteten Meldungen über eine Militarisierung des öffentlichen Lebens koennen nicht bestaetigt werden. Auf dem Gebiet der Stadt und Region Jalta waren zu keiner Zeit bewaffnete Militaers zu sehen.
Resumee
Das Referendum entsprach dem internationalen Standards, d.h. die Durchführung war allgemein, gleich, geheim und frei.

Simferopol, 17.03.2014
Piotr Luczak
Europaeisches Zentrum fuer Geopolitische Analyse
Vorsitzender

Website des EZfGA; http://geopolitik-studien.de/




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