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Halbschwanger an die Ostfront

Deutschland muss der NATO etwas anbieten gegen Russland – Waffen und Soldaten oder doch besser Vernunft?

Von René Heilig *

Aufmarsch mit Ankündigung. Angeblich werden die NATO-Außenminister ab Dienstag über weitere Truppenentsendungen an die Grenze zu Russland entscheiden. Ziehen Deutsche in den neuen Kalten Krieg?

Es ist kein leichter Job, den Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) derzeit gegenüber einigen NATO-Verbündeten leisten muss. Die behaupten nicht völlig zu unrecht, Deutschland verhindere eine deutliche Reaktion der NATO auf das russische Vorgehen in der sogenannten Krim-Krise. Und weil man sich diesen Vorwürfen beim Treffen der NATO-Außenminister in dieser Woche nicht zu sehr aussetzen will, prüft die deutsche Regierung jetzt eiligst »eine militärische Unterstützung osteuropäischer NATO-Mitglieder«.

So klang es am Sonntag aus dem Verteidigungsministerium. Man hält alles vage, denn auch dort spürt man den Druck, den »die Gemeinschaft« ausübt, um die Bundeswehr gen Osten in Marsch zu setzen. Zugleich ahnt man die Falle: Es geht um mehr als nur ein kurzfristiges bündnispolitisches Flaggezeigen wider befürchtete russische Expansionsgelüste.

Spätestens seitdem NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen vor gut einer Woche aus den USA heimkehrte, propagiert er eine Eiszeit. Da der Däne im September sein Amt an den früheren norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg weitergibt, setzt er ganz im Sinne Washingtons noch Pflöcke zur weiteren strategischen Osterweiterung des westlichen Militärbündnisses. Jeder europäische Staat, der in der Lage sei, die Grundsätze der Allianz zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebietes beizutragen, könne sich um eine Mitgliedschaft bewerben, lockt er und verkündet: Mit Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Georgien und Montenegro arbeite man schon an den notwendigen Reformen. So wie man es mit der Ukraine tat und weiter tun will? Das Ergebnis ist bekannt: Weniger Sicherheit, weniger Vertrauen vor allem zwischen Moskau und Westeuropa.

Nimmt man die beiden Koreas aus, so weiß niemand besser als die Deutschen, wie verheerend ein Kalter Kriegs sein kann. Daher telefoniert Kanzlerin Angela Merkel mehr als jeder andere westliche Regierungschef mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Auch die fürs Militär zuständige CDU-Parteifreundin Ursula von der Leyen legt jedes Wort auf die Goldwaage, damit niemand eine Grenzüberschreitung herausdeuten kann. Weder im politischen und schon gar nicht im territorialen Sinn.

Vor einer Woche hatte von der Leyen etwas »salopp« gesagt, es sei »für die Bündnispartner an den Außengrenzen wichtig, dass die NATO Präsenz zeigt«. Die Allgemeinheit der Aussage schlug fehl. In Washington, bei der NATO in Brüssel, in Warschau, Bukarest und in den baltischen Hauptstädten hörte man ein Versprechen heraus. Ergebnis: Das Taktische Luftwaffengeschwader 74 in Neuburg an der Donau sagte seine Teilnahme an der am heutigen Montag beginnenden Übung »Frisian Flag« ab und ist in Verlegebereitschaft. Mit bis zu sechs »Eurofightern« könnte man sich »an Trainingsflügen im Rahmen des Air Policing über den baltischen Staaten beteiligen«, hieß es gestern. Auf dem Flughafen Šiauliai in Litauen hat die US Air Force bereits seit einer Woche zehn F 15-Jets stationiert. Großbritannien, Frankreich und Dänemark wären gleichfalls bereit, Kampfflugzeuge zu schicken. Mit den in Polen zusätzlich stationierten hat man so ein Geschwader beisammen. In Russland wird man sehr genau beobachten, was man den deutschen »Eurofightern« anhängt. Bleibt es bei der leichten Bewaffnung, die beim üblichen Air Policing, also bei der normalen Luftraumüberwachung, verwendet wird, mindert das Einsatzängste. Dann bleibt die Truppenverstärkung vor allem ein Signal an die russischstämmige Bevölkerung in den baltischen Ländern, auf »NATO-Land« keine rückwärtsgewandte Anschlussgedanken Richtung Moskau zu hegen.

Die Bundeswehr könnte sich »an Flügen zur Luftraumüberwachung mit AWACS-Maschinen über Rumänien und Polen« beteiligen, heißt es im Berliner Verteidigungsministerium. Dass in den NATO-Radaraufklärern auch deutsche Soldaten sitzen, ist nichts Außergewöhnliches. Man verstärkt lediglich die Anzahl der Flüge.

Und was ist mit dem NATO-Flottenverband in der Ostsee, den der »Spiegel« ausgemacht hat? Auch da schwimmt man halbschwanger an die Front, denn gemeint ist der Ständige Minenabwehrverband der NATO. Und falls die Deutschen wirklich das Flaggschiff stellen, wird es wohl nur ein Minenjäger mit 40 Mann Besatzung sein.

Wie auch immer: Auf Dauer wird solch Berliner Taktieren nicht ausreichen, um den Flug der NATO-Falken flach zu halten. Die Zeit ist reif für diplomatische Initiativen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 31. März 2014


NATO setzt auf Waffenschau

Ukraine-Konflikt: BRD erwägt »Militärhilfe« im Osten. Rußland drängt auf Verfassungsreform in Kiew **

Deeskalation sieht anders aus: Trotz wiederholter russischer Zusicherungen, keine weiteren Gebiete in der Ukraine übernehmen zu wollen, plant die NATO eine größere Militärpräsenz in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Auch die Bundesregierung sicherte »Beistand« zu. Sobald es eine politische Entscheidung gebe, »könnte die Bundeswehr sich an Flügen zur Luftraumüberwachung mit AWACS-Maschinen über Rumänien und Polen sowie an Trainingsflügen im Rahmen des Air Policing über den baltischen Staaten beteiligen«, sagte eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums am Sonntag in Berlin. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sprach mit Verweis auf russische Truppenverstärkungen an der ukrainischen Grenze von einer konkreten Bedrohungslage. Er plädierte zudem für eine Erweiterung des Militärpakts. Jeder europäische Staat, der in der Lage sei, die Grundsätze der Allianz zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebietes beizutragen, könne sich um eine Mitgliedschaft bewerben, sagte er dem Focus.

BRD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) mahnte, die NATO müsse »in dieser außerordentlich schwierigen Lage« mit kühlem Kopf handeln und sich in keine Spirale der militärischen Eskalation drängen lassen. »Gleichzeitig wissen unsere Partner, daß wir ohne Wenn und Aber zur Solidarität im Bündnis stehen – und das nicht nur bei gutem Wetter«, sagte er dem Spiegel.

Rußland forderte dagegen erneut eine grundlegende Verfassungsreform in der Ukraine. Kiew müsse den Weg freimachen für einen föderativen Staatsaufbau, in dem die russischsprachige Bevölkerung im Osten und im Süden angemessen vertreten sei, sagte Außenminister Sergej Lawrow dem russischen Staatsfernsehen am Sonntag. Zudem müsse in einer neuen Verfassung festgeschrieben werden, daß die Ukraine blockfrei sei – also nicht der NATO beitreten wolle. Lawrow wollte sich am Abend in Paris mit seinem US-Kollegen John Kerry treffen.

** Aus: junge welt, Montag, 31. März 2014


Neujustierung nach 8 minus 1

Roland Etzel zur Zukunft eines Dialogs über die Ukraine ***

Kerry will sie, Steinmeier und nun auch der künftige NATO-Generalsekretär Stoltenberg aus Norwegen: die Wiederaufnahme des Gesprächsfadens mit Russland. Jedenfalls sagen sie das. Nachdem die beiden Erstgenannten erst vor wenigen Tagen noch Teilnehmer eines selbstverfügten G8-minus-1-Gipfels waren, wäre dies eine Neujustierung des gemeinsamen westlichen Standpunktes zu Russland; wenn es denn einen gibt.

Wie immer man zur russischen Krim-Angliederung steht: Das geplante Treffen von US-Außenminister Kerry mit Kollege Lawrow ebenso wie das Telefongespräch Obamas mit Putin signalisiert, dass die hiesige Politik sich doch noch über andere Äußerungen definieren möchte als Heulen und Zähneklappern beziehungsweise militärisches Muskelspiel. Es wäre auch ein Signal zur rechten Zeit angesichts des offenbar nicht geringen Abenteurerpotenzials der Führer einiger östlicher Paktmitglieder.

Putin hat Versicherungen abgegeben. Letzteren kann man im Westen glauben oder auch nicht. Wenn man aber Dialog haben will, dann gibt es keinen Grund, nicht darüber zu reden. Dies schlösse die öffentliche Erklärung ein, dass man auch Russland in Sachen Ukraine so etwas wie legitime Interessen zubilligt. Die beleidigte Behauptung »Niemand hatte die Absicht, die Ukraine in die NATO zu holen« reicht jedenfalls nicht.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 31. März 2014 (Kommentar)


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