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Rechte Pilgerstätte

Faschisten marschieren durch die ukrainische Hauptstadt und »bewachen« das Parlament. Auf dem Maidan gibt es Bandera-Bilder und Kurse im Mollibau

Von Peter Wolter, Kiew *

Seit der Ermordung ihres Führers Olexander Muzytschko treten in der Ukraine die Faschisten des »Rechten Sektors« noch offener und aggressiver auf. Trupps kahlgeschorener junger Leute marschierten am Wochenende im Kampfanzug durch das Zentrum der Hauptstadt. Überall hängen Plakate, die für die Bildung einer »Nationalgarde« werben – versehen mit dem Porträt eines jungen Mannes, das stark an die Darstellung von HJ-Jungen in der deutschen Nazipropaganda erinnert. Am Donnerstag abend hatten Kämpfer des »Rechten Sektors« erst einige Fenster des Parlamentsgebäudes eingeworfen, bevor sie es für kurze Zeit besetzten. Uniformierte Faschisten, die jeden Ausländer feindlich mustern, »bewachen« seitdem das Gebäude. An der Fassade hängen »Steckbriefe« kommunistischer Abgeordneter, die nicht im Sinne der Nationalisten abgestimmt hatten.

Die Faschisten haben das Sagen auf dem Maidan, der immer noch mit Bergen von Autoreifen, Pflastersteinen und Müll verbarrikadiert ist. Von staatlicher Autorität gibt es keine Spur, das Erdgeschoß des direkt am Platz liegenden Landwirtschaftsministeriums hat der »Rechte Sektor«, der nach eigenen Angaben etwa 10000 Aktive zählt, als Hauptquartier gewählt. Ein politisches Konzept läßt sich bei ihnen nicht erkennen – ihr politisches Profil läßt sich kurz so zusammenfassen: Ukraine über alles, Russen raus oder totschlagen, Ausländer brauchen wir nicht. Demokratie erst recht nicht.

Ein dem »Rechten Sektor« nahestehender Aktivist verkündete im Gespräch mit der jW, Abgeordnete brauche man auch nicht mehr. Der »Rechte Sektor« wisse schon, was richtig für die Menschheit sei, wirtschaftliche Verbindungen brauche man auch nicht: Ausländer raus! Der Mann muß es wissen, er war selbst mal Ausländer: An der Humboldt-Universität in Berlin hat er Volkswirtschaft studiert und mit dem Diplom abgeschlossen. Seine Erkenntnis: Wir brauchen keine Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Ländern.

Mit Kreuz und Bandera

Auf dem Maidan findet man Dutzende Stände uniformierter Faschisten. Da gibt es Leute, die Fotos des von den Nazis hofierten Faschistenführers Stepan Bandera wie Heiligenbilder verteilen, andere stellen Waffen aus und erläutern auf Schautafeln, wie Brandflaschen gefüllt werden. Wiederum andere haben sich aus aufgeschichteten Autoreifen eine Nische gebaut, in der sie auf Sofas sitzen und die Wodkaflasche kreisen lassen. Viele haben einen glasigen Blick und stehen unsicher auf den Beinen. Ein junger Mann im Kampfanzug posiert mit einem Richtblock und einem Henkerbeil, das mit der EU-Flagge beklebt ist – ein beliebtes Motiv für manche Ukrainer, die sich gerne Arm in Arm mit diesem Killer fotografieren lassen wollen.

Mittlerweile ist der Maidan auch zu einer Touristenattraktion geworden. Rechte aus allen Teilen des Landes pilgern dorthin, als gäbe es Wunderheilungen. Dutzende fliegender Händler bieten Aufkleber, mit Parolen bedruckte Schals und Handtücher, Sonnenbrillen oder Fußmatten mit dem Porträt des aus dem Lande geputschten Präsidenten Wiktor Janukowitsch an. Neben einer Rednertribüne in der Mitte des Platzes steht ein riesiges Kruzifix aus Holz, vor dem sich Passanten mit andächtigem Blick bekreuzigen. Vor einem etwa drei mal fünf Meter großen Bandera-Plakat bleiben junge Männer stehen und posieren stolz vor der Kamera ihrer Freundin. Wenn, was immer wieder geschieht, über große Lautsprecher die ukrainische Nationalhymne abgespielt wird, stehen viele Passanten stramm und setzen einen andächtigen Blick auf. Auch die Männer im Kampfanzug nehmen Haltung an und legen die rechte Hand aufs Herz. Wie beim US-Militär, wobei manche allerdings schwarzrotgoldene Aufnäher auf ihren Kampfanzügen tragen.

Daß es Krieg geben kann, schreckt die Faschisten nicht – eher im Gegenteil. Die abenteuerlichsten Stories machen die Runde: Die Russen hätten 830000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine stationiert, der Angriff solle an diesem Montag im Oblast Tschernikow beginnen. Der grenzt aber vor allem an Belarus – dieses Detail ist den Fascho-Strategen auf dem Maidan allerdings egal. Klar ist nur: Sie wollen sofort dort hin und sofort auf die Russen schießen. Vielleicht sind diese haßerfüllten Killertypen bis dahin nüchtern.

Es wäre geschmeichelt, wollte man sie als Lumpenproletariat bezeichnen. Es sind vor allem junge Leute, einige tragen Schußwaffen, andere handliche Eisenrohre, Messer oder Säbel. Daß die Ukraine keine Atomwaffen mehr hat, bedauern fast alle Gesprächspartner. Und sie sind sich einig, daß Rußland schon immer der Feind war – und der Oberfeind Wladimir Putin heißt. Der russische Präsident wird mitunter flugs mit Hitler gleichgesetzt – was nicht ganz logisch ist, denn der wird von manchen auf dem Unabhängigkeitsplatz durchaus verehrt.

Strippenzieher

Ein Tischler, der sich als Wiktor vorstellt, hat nur Verachtung für diese nationalen Kämpfer übrig. »Die sollten besser arbeiten gehen«, sagt er zur jW. »Das haben sie aber nicht nötig, sie werden seit Wochen von irgendwoher mit Geld versorgt. Die sitzen hier rum, während im Hintergrund ganz andere Leute die Strippen ziehen.«

Kaum jemand hat die Traute, sich diesem Wahnsinn zu widersetzen. David Milman zum Beispiel, Rabbi der zentralen Synagoge. Ihn beeindruckt es nicht weiter, daß der kürzlich getötete Faschistenführer Muzytschko den »Judenschweinen« den Tod angedroht hatte. Übergriffe auf Juden? Habe es eigentlich immer wieder mal gegeben, es sei so wie immer. Nein, so gibt er zu verstehen, die Leute vom »Rechten Sektor« seien eigentlich ganz nett. Immerhin sei einer von ihnen zur Synagoge gekommen und habe angeboten, zu intervenieren, falls diese angegriffen würde.

Land in Auflösung

Hohe Beamte, mit denen jW sprach, versuchen, den Spuk zu relativieren. Früher waren sie stramme Kommunisten, später stellvertretende Minister, heute sitzen sie händeringend in ihren Büros und verstehen die Welt nicht mehr. Gegen die Russen seien sie ganz und gar nicht, wohl aber gegen deren Präsidenten Putin. Allerdings brächten sie es wohl nicht übers Herz, auf Russen zu schießen, versichern sie. Eigentlich werde die faschistische Gefahr übertrieben, geben sie zu bedenken, der »Rechte Sektor« sei doch letztlich eine Gründung des russischen Geheimdienstes. Knallharter Beweis: Der Moskauer TV-Nachrichtensender Russia Today hatte einen der ersten Berichte über die Besetzung des Parlaments am Donnerstag gebracht.

Das Land befindet sich in Auflösung: Die Regierung ist durch einen Putsch an die Macht gekommen, die Landeswährung Griwna verfällt zunehmend, viele Banken haben den Betrieb eingestellt. Vor den wenigen noch funktionierenden Geldautomaten gibt es lange Schlangen. Geschäftsleute aus dem Westen, mit denen jW sprach, sind ratlos, was sie in diesem Land noch anfangen können. Industrie gibt es kaum noch, wichtige Fernstraßen sind mit Schlaglöchern übersät.

Die Streitkräfte befinden sich in Auflösung – gut die Hälfte der ukrainischen Soldaten auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim steht jetzt in Diensten Rußlands, das auch gleich die gesamte Kriegsflotte der Ukraine übernommen hat. Im Westen des Landes wurden mehrere Depots der ukrainischen Streitkräfte geplündert. Die erbeuteten Waffen sind wahrscheinlich in den Händen faschistischer Gruppen gelandet, die offen damit prahlen, den Partisanenkrieg gegen Rußland vorzubereiten. Und ein Oberstleutnant der Grenztruppen, der ungenannt bleiben will, berichtet gegenüber junge Welt, daß im Westen der Ukraine über Nacht ein ganzes Panzerregiment verschwunden sei: Die etwa 50 hochmodernen Panzer des Typs T-80 wurden nach seinen Angaben umgespritzt und in ein arabisches Land verkauft, inklusive Instandsetzungsdienst, Nachrichtenzug, Ersatzteillager. Irgendein Oligarch, so sagt er, habe sich damit eine goldene Nase verdient, der Regierung gegenüber sei das als »Schrottgeschäft« deklariert worden.

* Aus: junge welt, Montag, 31. März 2014


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