Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Alles für den Umsturz

Orangen, Tulpen und Kornblumen: Die Designer-"Revolutionen" der US-Regierung und ihrer Verbündeten

Von Knut Mellenthin *

Der »Euromaidan« in der Ukraine ist der jüngste Vorgang in einer langen Kette sorgfältig inszenierter, reichlich subventionierter Umstürze in Osteuropa und im Bereich der früheren Sowjetunion. Gemeinsam ist ihnen bisher allen, daß sie weder zur dauerhaften Installierung völlig zuverlässiger Marionettenregierungen noch zur Herstellung stabiler Verhältnisse und schon ganz und gar nicht zu dem versprochenen wirtschaftlichen Aufschwung geführt haben. Keine der »Revolutionen« verdiente diese Bezeichnung, die ihr von westlichen Medien verliehen wurde.

Am Anfang der Kette stand der Sturz der Regierung Jugoslawiens – damals nur noch bestehend aus Serbien und Montenegro – am 5. Oktober 2000. Der Schlußakt wochenlanger Proteste wurde als Erstürmung und Verwüstung des Parlaments durch ein paar tausend »friedlicher Demonstranten« vollzogen. In Ermangelung einer Selbstbezeichnung der Protestbewegung wurde im Westen der notdürftige Titel »Bulldozerrevolution« geprägt. Namensgeber war ein Fahrer, der sein Gerät eingesetzt hatte, um eine Absperrung vor dem regierungstreuen Fernsehsender RTS zu beseitigen.

Das Muster dieses Staatsstreichs gegen den langjährigen Präsidenten Slobodan Milosevic wurde später noch mehrfach in anderen Ländern wiederholt: Wahlen wurden als gefälscht angegriffen, bevor sie überhaupt stattgefunden hatten. Noch während der Stimmauszählung wurden Phantasiemeldungen über den angeblichen Sieg des Oppositionskandidaten verbreitet. Anschließend begannen nach der Bekanntgabe des amtlichen Ergebnisses anhaltende Demonstrationen. In Wirklichkeit war vernünftigerweise nicht zu bezweifeln, daß Milosevic, mit welchen Mitteln auch immer, jahrelang der mit Abstand populärste Politiker im serbischen Landesteil gewesen war. Zur Zeit des Umsturzes im Oktober 2000 hatte er allerdings schon weitgehend abgewirtschaftet, was sich auch im Ausbleiben von relevantem Widerstand gegen die »Revolution« ausdrückte. Diese Situation ist sicher nicht unabhängig von dem vorausgegangenen Luftkrieg der NATO gegen Jugoslawien (März bis Juni 1999) zu sehen.

Auf ähnliche Weise wie in Belgrad wurde drei Jahre später am 23. November 2003 das georgische Parlament in Tbilissi von einigen tausend gut organisierten »Demonstranten« gestürmt. An ihre Spitze hatte sich der damals 35jährige Berufspolitiker Michail Saakaschwili gesetzt, der trotz seiner Jugend schon eine beachtliche Karriere im Establishment der Kaukasusrepublik hinter sich hatte. Als Name des Putsches setzte sich die Bezeichnung »Rosenrevolution« durch. Der Staatsapparat und die Partei des gestürzten Präsidenten Eduard Schewardnadse lösten sich im Handumdrehen auf oder gingen zu den Siegern über. Im Januar 2004 ließ Saakaschwili sich mit rekordverdächtigen 96 Prozent zum Präsidenten wählen. Der um ihn versammelte herrschende Klüngel war ähnlich verbrecherisch und korrupt wie früher die durch die »Revolution« entmachteten Kreise. Saakaschwili wurde am 1. Oktober 2012 abgewählt. Er lebt zur Zeit in den USA und hofft, irgendwann als Führer einer neuen vom Westen gesponserten »Revolution« nach Tbilissi zurückzukehren.

Zwischen November 2004 und Januar 2005 fand in der Ukraine die »orange Revolution« statt. Sie brachte das Duo Julia Timoschenko und Wiktor Juschtschenko an die Regierung. Beide änderten an den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen des Landes, insbesondere an der Herrschaft der »Oligarchen« und der immer katastrophaleren Wirtschaftslage, kaum etwas. Sie zerstritten sich aber innerhalb kurzer Zeit so, daß Timoschenko wieder Oppositionspolitikerin wurde. Während Juschtschenko sich selbst derart stark in Mißkredit brachte, daß er bei der Präsidentenwahl im Januar 2010 nur 5,45 Prozent der Stimmen bekam, landete Timoschenko wegen erwiesener Bestechung und schwerer Wirtschaftsverbrechen im Gefängnis, aus dem sie vor kurzem durch den »Euromaidan« befreit wurde.

Wenig erfolgreich war von Anfang an der vom Westen geförderte Umsturz in Kirgisien am 4. April 2005. Er ersetzte im wesentlichen nur eine korrupte Gruppe durch eine andere, bekam von US-amerikanischen Werbeagenturen aber trotzdem den Namen »Tulpenrevolution« aufgedrückt, den in Kirgisien selbst vermutlich kaum jemand kannte. Beflügelt durch den kurzlebigen, aber dafür recht handgreiflichen Aufruhr in Kirgisien kamen im Mai 2005 auch im benachbarten Usbekistan ein paar ergebnislose Protestkundgebungen zustande, die die US-Regierung, damals repräsentiert durch George W. Bush, für ihre zusammenphantasierte »demokratische« Weltrevolution zu vereinnahmen versuchte.

Gänzlich als Flop endete der Versuch, die belorussische Präsidentenwahl am 19. März 2006 zum Sturz des – O-Ton Westmedien und US-Regierung – »letzten Diktators Europas«, Alexander Lukaschenko, auszunutzen. Obwohl sich westliche Werbeagenturen für das geplante große Ereignis schon den wunderschönen Namen »Kornblumenrevolution« ausgedacht und der Opposition die Farbe Blau verordnet hatten, wollte eine Protestbewegung gar nicht erst zustande kommen. Lukaschenko, der im August 60 wird, ist immer noch Präsident, der Westen hat sich einigermaßen mit seiner erstaunlich zähen Existenz arrangiert, und vom »letzten Diktator« spricht anscheinend niemand mehr.

* Aus: junge Welt, Montag, 3. März 2914


Brennpunkte

Georgien und Moldawien: Noch mehr Zündstoff

Von Knut Mellenthin **


Nach der Ukraine könnten Georgien und Moldawien die nächsten Brennpunkte werden, wo westliche Politiker gefährliche Konflikte mit der Moskauer Regierung provozieren. Beide Staaten erheben Ansprüche auf de facto souveräne Territorien, die von Rußland nicht nur politisch, sondern auch militärisch unterstützt werden. Im Fall Georgiens sind das Abchasien und Südossetien, deren staatliche Unabhängigkeit von Moskau im September 2008 anerkannt wurde. Zuvor hatten im August 2008 russische Streitkräfte interveniert, um Südossetien bei der Abwehr eines georgischen Überfalls zu helfen. Russische Truppen sind auch in Pridnestrowje (deutsch: Transnistrien) stationiert, das 1991 bis 1992 seine Unabhängigkeit von Moldawien erkämpfte. Allerdings ist dieser De-facto-Staat nicht von Rußland anerkannt.

Georgien und Moldawien haben im November 2013 während eines Gipfeltreffens in der litauischen Hauptstadt Vilnius Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen. Der Ratifizierungsprozeß läuft allerdings noch. In diesem Zusammenhang gibt es vor dem Hintergrund der ukrainischen Ereignisse verstärkte diplomatische Aktivitäten. Der georgische Regierungschef Irakli Garibaschwili besuchte in der letzten Februarwoche Washington. Sein moldawischer Kollege Iurie Leanca wird am heutigen Montag dort erwartet. Außerdem werden während des laufenden Monats voraussichtlich hochrangige Vertreter der EU nach Georgien und Moldawien reisen.

Außenminister John Kerry versprach Garibaschwili während dessen Besuch, daß die USA die »strategische Partnerschaft« der NATO mit Georgien noch mehr als bisher fördern wollen. Die Regierung in Tiflis hofft darauf, beim nächsten NATO-Gipfel im September einen weiteren Schritt zur vollen Integration in die westliche Militärallianz tun zu können, indem für Georgien ein sogenannter Membership Action Plan (MAP) unterzeichnet wird. Die ­Obama-Administration hat dafür schon ihre Unterstützung signalisiert. Aus amerikanischer Sicht hat sich Georgien besonders dadurch ausgezeichnet, daß es das stärkste Kontingent eines nicht zur NATO gehörenden Landes in Afghanistan stellt und auch schon seine Bereitschaft erklärt hat, dort in den nächsten Jahren »militärisch präsent« zu bleiben.

Sowohl Georgien als auch Moldawien werden von den USA und der EU in ihren territorialen Ansprüchen unterstützt. Regelmäßig werden Resolutionen verabschiedet, die die Stationierung russischer Truppen in Abchasien, Südossetien und Prid­nestrowje als unrechtmäßig verurteilen und deren Abzug fordern. Solange diese Streitigkeiten nicht beigelegt sind, ist jedoch mit der Aufnahme der beiden Staaten in die EU und in die NATO nicht zu rechnen.

Besonders groß ist aktuell die Gefahr einer Zuspitzung des Konflikts zwischen Moldawien und Prid­nestrowje. Das rund 3 500 Quadratkilometer große Land hat keine gemeinsame Grenze mit Rußland, sondern liegt – 200 Kilometer lang, aber im Durchschnitt nur 15 bis 20 Kilometer breit – eingeklemmt zwischen Moldawien und der Ukraine. Unter seinen ungefähr 550000 Einwohnern sind nach amtlicher Zählung 31,9 Prozent Moldawier, 30,3 Prozent Russen und 28,9 Prozent Ukrainer. Bisher haben die Aktivitäten der rechtsextremen ukrainischen Nationalisten noch nicht auf Pridnestrowje übergegriffen. Die EU hat in den letzten Jahren versucht, der moldawischen Regierung ein Föderalisierungskonzept schmackhaft zu machen, das vielleicht auch für den kleinen De-facto-Staat akzeptabel sein und ihm einen Anschluß an Moldawien ermöglichen könnte. Rußland scheint dieses Verfahren bisher grundsätzlich zu unterstützen. Ob das so bleibt, wird jedoch sehr von der weiteren Entwicklung in der Ukraine abhängen.

** Aus: junge Welt, Montag, 3. März 2914


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