Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sanktion mit Folgen

Präsident der Ukraine verbietet Rüstungskooperation mit Rußland

Von Reinhard Lauterbach *

Ein Erlaß des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko könnte die erste antirussische Sanktion mit ernsthaften Folgen sein. Poroschenko ordnete nämlich an, daß alle ukrainischen Unternehmen ab sofort jede Zulieferung für das russische Militär einzustellen hätten. Damit wurde eine vorher gültige Regelung aufgehoben, die den Export sogenannter »Dual-use«-Güter – die also sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können – noch erlaubt hatte.

Ein Beispiel für diese letzte Kategorie sind die Hubschraubermotoren des Werks »Motor-Sitsch« aus Zaporizzhja (Saporoshje) am Dnipro (Dnjepr). Sie stecken buchstäblich in jedem Hubschrauber, der zwischen Kaliningrad und Wladiwostok aufsteigt – ob zur Bergrettung oder eben beim Militär. Ähnliches gilt für große Militär-Transportflugzeuge wie die Modelle An-70 und An-124 (Ruslan), die exklusiv beim Kiewer Flugzeugbauer Antonow hergestellt werden. Weitere Beispiele sind die Raketen, mit denen die russischen Jagdflugzeuge der Serien Su und MiG bewaffnet sind, Feuerleitelektronik und anderes Innenleben russischer Waffen bis hin zu Dichtungsringen für Weltraumraketen. Nach Angaben der russischen Zeitschrift Sowerschenno sekretno (Streng geheim), die sich auf Enthüllungen spezialisiert hat, ist bzw. war Rußland sogar für die Modernisierung seiner Marine auf Werften an der ukrainischen Schwarzmeerküste angewiesen.

Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, denn seit dem Zerfall der Sowjetunion ist es in der russischen Militärpolitik ein Gemeinplatz, daß die einst im ganzen Land verteilte Rüstungsindustrie aus Sicherheitsgründen in Rußland konzentriert werden solle. In den über 20 Jahren, die seitdem verstrichen sind, ist aber nach dem, was man lesen kann, als einziges der Weltraumbahnhof Plessezk in der Nähe von Archangelsk als Ersatz der bisherigen Startrampe Baikonur in Kasachstan wirklich fertiggestellt worden. Viele andere Projekte zur Importsubstitution sind, wenn sie je angefangen wurden, offenbar auf halbem Wege steckengeblieben. So soll nach Angaben der russischen Zeitschrift ein Betrieb, der Ersatz für die ukrainischen Hubschraubermotoren liefern sollte, im Jahr 2013 ganze 53 Stück davon produziert haben – der Bedarf wird angesichts des umfangreichen Modernisierungsprogramms für die russischen Streitkräfte mit 2020 bis 3000 beziffert.

Ein Grund dafür ist der sogenannte »Ressourcenfluch«: Wenn man durch Rohstoffexporte viel Geld zur Verfügung hat, ist es einfacher und geht schneller, sich Fehlendes zuzukaufen, als eine eigene Produktion in Gang zu setzen. Das schlägt sich auf die ganze russische Industrie nieder, so eben auch auf die Rüstungsproduktion. Und alle jährlichen Aufrufe Wladimir Putins, nun aber endlich die Industrie zu modernisieren, haben daran wenig geändert. Der zweite Grund dürfte ein unmittelbar politischer gewesen sein. Rußland hat es offenbar gegenüber der Ukraine mit der Importsubstitution nicht sehr eilig gehabt, weil man darauf setzte, durch die Sicherung von Tausenden Arbeitsplätzen in der ukrainischen Industrie politisches Wohlverhalten kaufen zu können. Das hat bis Ende 2013 auch funktioniert. Wie Sovershenno sekretno weiter schreibt, bestand ein Großteil des 15-Milliarden-Kreditpakets, das sich Expräsident Janukowitsch im Dezember in Moskau abholte, aus Zusagen für Investitionen in eine Reihe konkreter Unternehmen des ukrainischen Maschinenbaus, die für das russische Militär als Zulieferer interessant waren.

Seit dem April versucht Rußland nun offenbar, Spezialisten aus dieser Branche abzuwerben, denn dem Boykott entsprechen dort dezimierte Absatzchancen. Die Hoffnung freilich, daß Poroschenko – der selbst eine Marinewerft in Mykolajiw (Nikolajew) sein eigen nennt – werde die Sanktionen womöglich im eigenen wirtschaftlichen Interesse auch wieder aufweichen, könnte allerdings trügen. Wie die polnische Gazeta Wyborcza dieser Tage meldete, war schon im Mai eine Delegation der US-Weltraumindustrie in Kiew, um Kooperationsmöglichkeiten mit ukrainischen Raketenbauern zu sondieren.

* Aus: junge Welt, Montag, 30. Juni 2014


Zurück zur Ukraine-Seite

Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Russland-Seite

Zur Russland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage