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Timoschenko will "Russen platt machen"

Abgehörtes Telefongespräch im Internet verbreitet / Kiew wechselte Verteidigungsminister aus

Von Klaus Joachim Herrmann *

Personen im Kiewer Fokus: Julia Timoschenko hetzt, der Verteidigungsminister wechselt und ein Rechtsextremist stirbt.

Mit ihrer Forderung nach »Erschießung der russischen Hunde« telefonierte sich Julia Timoschenko, Chefin der Vaterlandspartei und selbst ernannte ukrainische Präsidentschaftskandidatin, in die Schlagzeilen. »Ich bin selbst bereit, eine Kalaschnikow in die Hand zu nehmen und dem Dreckskerl in den Kopf zu schießen«, sagte Timoschenko über Russlands Präsidenten Wladimir Putin in einem am Dienstag verbreiteten Telefonat. »Man muss die Kalaschnikow nehmen und alle Russen platt machen.«

Diese und weitere Unflätigkeiten waren einem abgehörten und im Internet veröffentlichten Telefonat mit Nestor Schufritsch von der Partei der Regionen zu entnehmen. »Ich werde die ganze Welt erheben, sobald ich es kann, damit – verdammt – von Russland nicht einmal ein verbranntes Stück Erde übrig bleibt.« Das Gespräch selbst wurde von Timoschenko per Twitter in weiten Teilen als echt bestätigt. Die Passage, dass gegen die acht Millionen Russen in der Ukraine die Atombombe eingesetzt werden solle, bezeichnete sie als »Montage«.

Nach der Absage des G8-Gipfels in Sotschi durch die sieben führenden Industrienationen G7 am Montagabend betonte ein Kreml-Sprecher, Russland wolle weiter mit dem Westen zusammenarbeiten. Aus dem G8- soll ein G7-Gipfel in Brüssel werden. Die USA und EU wollen am heutigen Mittwoch in Brüssel näher zusammenrücken. Dieser Gipfel soll nur 75 Minuten dauern.

Im Zeichen einer Personalentscheidung stand die Krise im Parlament in Kiew. Die Werchowna Rada bestätigte General Michail Kowal als neuen Verteidigungsminister. Sein Vorgänger Igor Tenjuch benötigte zwei Anläufe zum Verlassen des Amtes. Sein Rücktritt fand erst keine Mehrheit, wurde dann aber doch angenommen. Übergangspräsident Alexander Turtschinow von der Vaterlandspartei reichte einen Misstrauensantrag gegen sich selbst ein, scheiterte damit aber.

Seinen westukrainischen Regionalchef Olexander Musitschko verlor der extremistische »Rechte Sektor« bei einem Schusswechsel in der Stadt Rowno. Als er festgenommen werden sollte, hätten sein Leibwächter und er auf die Beamten das Feuer eröffnet, erläuterte der stellvertretende ukrainische Innenminister Wolodimir Jewdokimow. Kurz nach dem Schusswechsel sei er seinen Verletzungen erlegen.

Der Rechtsextremist war von Russland zur Fahndung ausgeschrieben, weil er in Tschetschenien 20 russische Militärangehörige getötet haben soll. Gegen den Staatsanwalt von Rowno war er unlängst in rüder Weise gewalttätig geworden.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat am selben Tag Foltervorwürfe gegen prorussische Milizen auf der Halbinsel Krim erhoben. Ukrainische Aktivisten seien von moskautreuen Einheiten verschleppt und misshandelt worden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. März 2013


»Dem Bastard in die Stirn schießen«

Abrechnung in der Ukraine: Timoschenko-Tirade gegen Putin macht Furore. Polizei besetzt Zentrale der Nationalgarde und erschießt Führer des faschistischen »Rechten Sektors«

Von Reinhard Lauterbach **


In der Ukraine und international sorgt ein mitgeschnittenes Telefongespräch zwischen Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko und einem Politiker der Partei der Regionen für Furore. Darin sagte sie unter dem Eindruck des Anschlusses der Krim an Rußland, sie würde dem »Bastard Putin« am liebsten persönlich eine Kugel in den Kopf jagen. Sie werde alle ihre Mittel aufbieten, um von Rußland »nicht einmal verbrannte Erde« zu hinterlassen. Timoschenko bestätigte das Telefongespräch im wesentlichen und dementierte nur, daß sie sich für einen Atomwaffeneinsatz gegen die acht Millionen russischen Bewohner der Ukraine ausgesprochen habe.

In Kiew geht die Putschistenregierung derweil gegen Teile der eigenen Basis vor. Am Dienstag besetzten schwerbewaffnete Polizisten die Zentrale der erst vor wenigen Tagen gegründeten Nationalgarde. Sie war ein Auffangbecken für viele bewaffnete Aktivisten des »Rechten Sektors« und der »Selbstverteidigung« des Maidan geworden. Diese hatten nach dem Machtwechsel in der Ukraine zunächst Polizeifunktionen übernommen, allerdings offenbar auch auf eigene Rechnung erpreßt, geraubt und politische Gegner terrorisiert. Auf Widerstand stieß der Schlag gegen die Nationalgarde offenbar nicht, da die meisten »Nationalgardisten« derzeit auf Truppenübungsplätzen ausgebildet werden. Die EU hatte die Entmachtung der nichtstaatlichen Milizen zu einer Bedingung für Finanzhilfe an Kiew gemacht.

In diesen Kontext gehört offenbar auch das Vorgehen der Polizei gegen den militanten »Rechten Sektor«. In mehreren Städten wurden Anführer der faschistischen Gruppe verhaftet, in Rivne in der Westukraine wurde der regionale Führer der Gruppe, Oleksander Muzytschko, erschossen. Regierungssprecher erklärten, er habe sich seiner Festnahme widersetzt. Augenzeugen des Vorfalls vor einem Restaurant in Rivne berichteten dagegen, die Polizisten hätten Muzytschko erst zu Boden geworfen und gefesselt, bevor er mit zwei gezielten Schüssen ermordet worden sei. Der Getötete war Anführer der ultrarechten Szene im Bezirk Rivne und bis in bürgerliche Kreise berüchtigt für seine gewaltsamen Auftritte. So zerrte er einen ihm mißliebigen Staatsanwalt an der Krawatte durch den Gerichtssaal und brüstete sich, niemand könne ihm etwas anhaben. Früher hatte sich Muzytschko als antirussischer Freiwilliger im Tschetschenienkrieg betätigt und sich gerühmt, mindestens 20 Soldaten getötet und zuvor gefoltert zu haben. Rußland hatte deshalb einen internationalen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt. Nach offizieller Darstellung in Kiew war Muzytschko wegen des Verdachts von Raubüberfällen und organisierter Kriminalität zur Fahndung ausgeschrieben. Das wirft ein Licht darauf, aus welchen Milieus sich die Stoßtruppen des »Euromaidan« rekrutierten.

Im Kiewer Parlament beschäftigten sich die Abgeordneten derweil mit Personalrochaden. Nachdem Verteidigungsminister Igor Teniuch am Dienstag zurückgetreten war, wurde er durch den Befehlshaber der Grenztruppen, General Michail Kowal, ersetzt. Dem bisherigen Minister war vorgeworfen worden, den auf der Krim stationierten ukrainischen Soldaten nicht den Befehl zur bewaffneten Gegenwehr gegeben zu haben. Teniuch wies diesen Vorwurf zurück und hatte schon Anfang der Woche seine Untergebenen kritisiert, weil sie nicht auf die russischen Truppen geschossen hätten.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 26. März 2013


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