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Gipfel, Krieg und Wahlkampf

Nach Minsker Treffen noch kein Frieden in der Ukraine / Jazenjuk verließ Timoschenko-Partei

Von Klaus Joachim Herrmann *

Ein schneller Frieden war beim Minsker Gipfel von Moskau und Kiew nicht zu machen. Nun kommt zum Krieg auch noch Wahlkampf.

Gerade hatte ihn Julia Timoschenko zum Aushängeschild der Wahlkampagne ihrer Vaterlandspartei gemacht, da warf ihr Übergangspremier Arseni Jazenjuk Mittwoch das Parteibuch in den elektronischen Briefkasten. Über Innenminister Arsen Awakow kam die Mitteilung zu Facebook, dass neben ihm auch er selbst, Parlamentschef Alexander Turtschinow und der frühere Sicherheitsratschef Andrej Parubij die Vaterlandspartei verlassen hätten. Die Aufständischen im Osten wiesen die Wahl als »Provokation« zurück und verweigern eine Abstimmung in ihrem Gebiet. Der Partei »Solidarnost« war ihr Name derweil nicht mehr gut genug und sie benannte sich nach dem Staatschef um: »Block Petro Poroschenko«.

Den Wahlkampf hat der ukrainische Präsident offenbar weit wirksamer in Gang gesetzt als einen Friedensprozess. Der war vom Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in der Nacht zu Mittwoch in Minsk erhofft worden. Ein Händedruck, ein gut zweistündiges Gespräch und öffentliche Äußerungen schienen das zuzulassen.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hörte beim Ferngespräch aus Kiew »positive Signale« über das Treffen mit Putin. Von beiden Seiten forderte sie, endlich zu einem Waffenstillstand und zu einer zuverlässigen Kontrolle der Grenze zu kommen. Jazenjuk setzt auch auf Gespräche. Er will zu Russland, der EU und der Ukraine noch die USA einladen. Das wäre angesichts deren bisherigen Engagements nur folgerichtig.

»Es gibt keinen, der hier auf der Erfolgsstraße ist, und vielleicht ist das kein so schlechter Hintergrund dafür, dass es in Richtung Waffenstillstand geht«, meinte der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, in einem Hörfunkinterview. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk schränkte er aber ein: »Wir haben schon mehrfach solche Vereinbarungen gehabt. Jedes Mal danach ist leider das, was vereinbart worden ist, nicht eingehalten worden. Diesmal richten sich alle Hoffnungen darauf, dass es anders ist.«

Das dürfte sich auch international ganz besonders auf ein Ende des Blutvergießens beziehen. Die Vorbereitung einer Waffenruhe solle so schnell wie möglich beginnen, sagte Poroschenko nach dem Vier-Augen-Gespräch mit Putin. Bislang allerdings war vor einen Waffenstillstand immer wieder das Ultimatum gesetzt, dass die Aufständischen zuvor die weiße Flagge hissen und ihre Waffen ohnehin abgeben.

Putin seinerseits drängte erneut auf eine Feuerpause zwischen ukrainischem Militär und Separatisten. »Es gibt noch sehr viele offene Fragen zwischen uns. An einer Lösung sind wir, die Ukraine und unsere europäischen Partner interessiert«, versicherte der Präsident. Eine Waffenruhe in der Konfliktregion könne Russland jedoch nicht beschließen. Ansprechpartner für Kiew seien die Aufständischen, Moskau könne aber Vertrauen schaffen.

Das wäre auch Sache der Kontaktgruppe für die Ukraine-Krise. Sie soll, so gab als Gastgeber Präsident Alexander Lukaschenko bekannt, nun regelmäßig in Minsk tagen. Nicht ganz uneigennützig, denn mit dem Gesprächsforum zwischen der ukrainischen Regierung und den Aufständischen unter Vermittlung Russlands und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) könnte auch Belarus wieder Schritte zurück in die europäische politische Arena tun. Eine Delegation aus Brüssel mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton war nun schon da, wenngleich Brüssel Lukaschenko seinen autoritären Führungsstil vorwirft und das Land mit internationalen Sanktionen belegt ist. An diesem Tag jedenfalls stand Lukaschenko zwischen Putin und Poroschenko – Minsk ist Mittler zwischen Moskau und Kiew.

Da ist noch Geschick zu zeigen, Profil zu schärfen und steht viel Arbeit bevor. Denn, so die neuesten Meldungen, die ukrainische Artillerie beschießt Ilowaisk, Tschernigorsker Milizionäre vernichteten einen Kleinbus mit »Terroristen«, 129 Soldaten ergaben sich der Volkswehr, Kroatien will 14 Kampfhubschrauber schicken. Die Zeitung »Nowaja Gaseta« will mit Fotos von frischen Gräbern belegen, dass russische Fallschirmjäger bei Geheimeinsätzen in der Ukraine ums Leben gekommen seien.

In 24 Stunden wurden fast 250 Rebellen getötet, bilanzierte der Sicherheitsrat in Kiew. Den Separatisten zufolge wurden mehr als 80 Soldaten getötet oder verletzt.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 28. August 2014

Poroschenkos Friedensplan für den Osten

Sicherheit bis Wiederaufbau

Der Friedensplan des Präsidenten der Ukraine zur Regulierung der Situation in den östlichen Regionen umfasst 15 Punkte:
  1. Sicherheitsgarantien für alle Teilnehmer an Verhandlungen.
  2. Befreiung von strafrechtlicher Verfolgung derjenigen, die die Waffen niederlegen und keine schweren Verbrechen begangen haben.
  3. Freilassung von Gefangenen.
  4. Schaffung einer Pufferzone von zehn Kilometern an der russisch-ukrainischen Grenze. Abzug illegal bewaffneter Formierungen.
  5. Garantierter Korridor für den Abzug russischer und ukrainischer Söldner.
  6. Entwaffnung.
  7. Schaffung von Einheiten innerhalb der Struktur des Innenministeriums für die Absicherung gemeinsamer Patrouillen.
  8. Freigabe illegal besetzter administrativer Gebäude in den Donezker und Lugansker Gebieten.
  9. Wiederherstellung der Tätigkeit der örtlichen Machtorgane.
  10. Wiederaufnahme der zentralen Fernseh- und Radioübertragung in den Donezker und Lugansker Gebieten.
  11. Dezentralisierung der Macht (durch die Wahl von Komitees, Schutz der russischen Sprache, Projekt einer Verfassungsänderung).
  12. Absprache der Gouverneure mit den Vertretern des Donbass vor Wahlen (Einigung auf eine Kandidatur, bei Uneinigkeit trifft der Präsident die Entscheidung).
  13. Vorgezogene Kommunal- und Parlamentswahlen.
  14. Programm für die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region.
  15. Wiederaufbau von Industrieobjekten und sozialer Infrastruktur.
(nd, 28.08.2014)



Stühlerücken in Kiew

Prominente Politiker trennen sich von Timoschenko

Von Reinhard Lauterbach **


Vor den für Ende Oktober geplanten Parlamentswahlen in der Ukraine hat Präsident Petro Poroschenko zumindest einen innenpolitischen Erfolg erzielt. Eine Reihe prominenter Politiker der von Julia Timoschenko geleiteten »Vaterlandspartei« (Batkywschtschyna) verließen die Partei am Mittwoch. Zu den Abtrünnigen zählen Übergangspremier Arseni Jazenjuk, Innenminister Arsen Awakow und Parlamentspräsident Olexander Turtschinow.

Awakow veröffentlichte im Namen der Aussteiger auf seinem Facebook-Konto eine Erklärung. Darin begründete er den Schritt mit der Notwendigkeit, in Zeiten des Krieges die Einheit der Maidan-Kräfte zu wahren. In den letzten Wochen hatten verschiedene ukrainische Medien den Verdacht geäußert, daß Timoschenko die Unruhen auf dem inzwischen abgeräumten Euromaidan finanziert habe, um die Regierung Jazenjuk zu diskreditieren. Unabhängig davon, ob dies stimmt, machen die Umfragedaten deutlich, daß Timoschenko bei den ukrainischen Wählerinnen und Wählern keinen großen Kredit mehr genießt. Ihr werden für die Wahlen nur um die zehn Prozent vorausgesagt.

Während sich mit den Parteiaustritten von Jazenjuk, Awakow und Co. die Chancen Poroschenkos erhöhen, die oligarchische Koalition um seine eigene Person zu konsolidieren, droht der Kiewer Regierung Ungemach von anderer Seite. Etliche der rechten Söldnerführer, die im Donbass Freiwilligenbataillone leiten, haben offensichtlich die Geduld mit ihr verloren. Der bekannteste – und wohl auch politischste – von ihnen ist Semjon Semjontschenko, der das im Moment vor Ilowajsk eingeschlossene Bataillon »Donbass« führt. Er wirft der Regierung inzwischen ziemlich offen Verrat an den Kämpfern vor und hat zu Demonstrationen gegen sie in Kiew aufgerufen. Auch andere Anführer faschistischer Milizen drohen offen damit, nach dem Ende des Krieges mit ihren Waffen nach Kiew zu marschieren und dort »Ordnung« zu schaffen. Es ist an dehttp://www.jungewelt.de/2014/08-28/036.phpr Basis des Euromaidan kein großes Geheimnis, daß die »Revolution« sich bisher auf den Austausch einiger Personen und oligarchischer Gruppierungen beschränkt hat. In den letzten Tagen kursiert in diesen Kreisen der Verdacht, Poroschenko und seine Leute schickten die Freiwilligen bewußt in den Krieg, um sie zu dezimieren und ihre eigene Haut zu retten.

Insofern stellt sich die Frage, ob Poroschenko an einem schnellen Ende des Krieges im Donbass gelegen sein kann. Von einem raschen militärischen Sieg ist die Ukraine im Moment weit entfernt; jeder Kompromiß wird von den enttäuschten Nationalisten gegen ihn verwendet werden. Ein Treffen Poroschenkos mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Dienstag in Minsk brachte keinen Durchbruch. Putin wies jede Verantwortung für die Kämpfe im Südosten der Ukraine zurück und forderte Poroschenko auf, sich mit den Aufständischen direkt zu verständigen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 28. August 2014

Das Buch zum Thema:

"Ein Spiel mit dem Feuer"
Im Papyrossa-Verlag ist Ende August 2014 ein Ukraine-Buch erschienen
Mit Beiträgen von Erhard Crome, Daniela Dahn, Kai Ehlers, Willi Gerns, Ulli Gellermann, Lühr Henken, Arno Klönne, Jörg Kronauer, Reinhard Lauterbach, Norman Paech, Ulrich Schneider, Eckart Spoo, Peter Strutynski, Jürgen Wagner, Susann Witt-Stahl
Informationen zum Buch (Inhalt und Einführung)




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