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"Provozierende Mitteilungen"

Russland dementiert Truppenbewegungen in der Ostukraine / Bald NATO-Manöver an den Grenzen der Krisenregion? *

Neue Irritationen in der Ostukraine: Während Kiew russische Truppenbewegungen meldete, weist Moskau dies strikt zurück.

Meldungen über starke Truppenbewegungen an der russisch-ukrainischen Grenze haben am Freitag Befürchtungen über ein erneutes Aufflammen der Kämpfe in der Ostukraine geschürt. Dutzende Panzer und Militärfahrzeuge drangen nach Darstellung Kiews von Russland aus in die Ukraine ein. Mit fünf Toten und 31 Verletzten war es laut der ukrainischen Armee zudem einer der blutigsten Tage seit Inkrafttreten der Waffenruhe Anfang September. Dem ukrainischen Armeesprecher Andrej Lyssenko zufolge drang eine Kolonne von 32 Panzern von Russland aus in die Ukraine ein. Sie habe zusammen mit 30 Lastwagen voller Kämpfer, 16 Haubitzen sowie weiterem Militärgerät die Grenze zu der von prorussischen Separatisten kontrollierten Region Lugansk überquert. Die Kolonne bewegte sich demnach auf die Stadt Krasny Lutsch zu.

An dem von den Rebellen kontrollierten Grenzübergang Iswarine in derselben Region sei zudem eine weitere Kolonne mit Lastwagen und drei mobilen Radarstationen eingedrungen. Eine unabhängige Bestätigung für die Vorwürfe gab es nicht.

Russland wies die Vorwürfe zu Truppenbewegungen als »Provokation« zurück. Solche Behauptungen würden in Kiew auf Grundlage irgendwelcher Gerüchte im Internet ohne jeden Beweis aufgestellt, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau der Agentur Interfax am Freitag. Er warnte davor, den aufgeheizten Konflikt im »Südosten« der Ukraine durch »provozierende Mitteilungen« zu befeuern. Russland wirft auch der NATO vor, die Lage durch unbewiesene Behauptungen zu verschärfen.

Kremlchef Wladimir Putin hatte sich zuletzt besorgt gezeigt über den »Bürgerkrieg« in der Ostukraine. Die Situation sei am Donnerstag auch Thema bei einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates gewesen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Ungeachtet einer vereinbarten Waffenruhe werde von ukrainischer Seite weiter geschossen.

In Donezk waren auch am Freitag Schüsse zu hören, allerdings mit weitaus geringerer Intensität. Die Stadt lag in dichtem Nebel. Rund 150 Menschen nahmen an der Beerdigung zweier Jugendlicher teil, die am Mittwoch auf dem Fußballplatz einer Schule in Donezk von einem Geschoss getötet worden waren.

Die im September ausgehandelte Waffenruhe wird zwar weitgehend eingehalten, an Brennpunkten in der Ostukraine gibt es jedoch regelmäßig Kämpfe. In den abtrünnigen Regionen Lugansk und Donezk haben sich die Spannungen durch die von den Separatisten organisierten Wahlen von Sonntag weiter verschärft.

Die NATO erwägt in den Grenzregionen zu Russland und zur Ukraine Manöver mit Zehntausenden Soldaten abzuhalten. »Wir haben bisher Großmanöver von 25 000 bis 40 000 Mann nur in den westlichen NATO-Ländern durchgeführt. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir das in Zukunft auch in Osteuropa und im Baltikum machen«, sagte der deutsche NATO-General Hans-Lothar Domröse der Tageszeitung »Die Welt«. Die Bundesregierung erklärte auf Anfrage, sie wisse nichts von konkreten Plänen für ein derartiges Manöver.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 8. November 2014


Falsches Spiel in der Ukraine

Klaus Joachim Herrmann über den Wert und Unwert von Verhandlungen **

Niemand wüsste wohl Abkommen, Vereinbarungen und Protokolle in der ukrainischen Krise zu nennen, die redlich nach Geist und Buchstaben eingehalten worden wären. Nach dem auch von der Bundesrepublik garantierten Kiewer Kompromiss wurde der reguläre Präsident in die Flucht geschlagen. Im Waffenstillstand fallen Schüsse. Beim Truppenabzug bleiben die Truppen, Panzerkolonnen werden bei der Grenzverletzung gesichtet. Wahr oder nicht, falsches Spiel überall.

Der ukrainische Parlamentspräsident Alexander Turtschinow frohlockt derweil, dass es ein Gesetz über den Sonderstatus der östlichen Regionen und eine Amnestie für die Aufständischen nie gegeben habe. Die Erklärung über dessen Aufhebung gründe sich darauf, dass es »nicht einen einzigen Tag« in Kraft gewesen sei. Die »Terroristen« und russischen Militärs hätten es nicht umsetzen wollen und er als Parlamentspräsident habe es weder unterzeichnet noch dem Präsidenten zugeleitet.

Das Gesetz wurde vom Präsidenten eingebracht und vom Parlament verabschiedet. Es war Kernstück des Minsker Protokolls. Das sollte Frieden bringen. Zu lässig heißt es jetzt nicht nur bei Turtschinow, dass es nur eine Möglichkeit gibt: »Befreiung der okkupierten Gebiete.« Die aber sind besetzt und werden verteidigt, also wieder Krieg.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 8. November 2014 (Kommentar)


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