USA rüsten Kiew auf
In Washington wird über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine »nachgedacht« – im Umfang von drei Milliarden US-Dollar. Parallel kommen Ausbilder
Von Reinhard Lauterbach *
Angesichts der jüngsten Niederlagen der ukrainischen Armee planen die USA offenbar weitere Waffenlieferungen an Kiew. Wie die New York Times am Montag berichtete, wurde Präsident Barack Obama ein Papier mit entsprechenden Vorschlägen vorgelegt; Obama habe aber noch keine Entscheidung getroffen. Zu den Befürwortern zählen demnach der NATO-Oberbefehlshaber General Philip Breedlove, der US-Stabschef James Dempsey und Außenminister John Kerry. Letzterer wird am Donnerstag in Kiew erwartet und soll die Planungen offensichtlich vorantreiben.
Nach Informationen der New York Times sollen die neuen Lieferungen über jene »nicht tödlichen« Waffen hinausgehen, die schon seit dem letzten Herbst in die Ukraine geschickt werden. Jetzt sollen auch »defensive« Systeme wie Panzerabwehrraketen, gepanzerte Fahrzeuge vom Typ »Humvee« und Aufklärungsdrohnen zur Verfügung gestellt werden. Für die Lieferungen ist ein Budget von drei Milliarden US-Dollar vorgesehen. Parallel dazu kündigte der US-Botschafter in Kiew, Geoffrey Pyatt, an, dass ab März amerikanische Ausbilder die ukrainische Armee trainieren würden. Für einzelne der faschistischen Freiwilligenbataillone ist dies schon seit dem Herbst der Fall. Außerdem sind Angehörige von US-Militärfirmen auf Seiten der Ukraine im Einsatz; ihre Zahl wird auf etwa 500 geschätzt.
Ziel der neuen Waffenlieferungen ist es laut New York Times, sowohl die wirtschaftlichen Kosten als auch die menschlichen Verluste für Russlands Unterstützung der Aufständischen in den ostukrainischen »Volksrepubliken« zu erhöhen. Die Unterscheidung von »tödlich« und »nicht tödlich«, »offensiv« und »defensiv« erledigt sich damit von selbst. Washington reagiert mit diesen Eskalationsschritten darauf, dass die westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Russland auch nach Einschätzung ihrer Befürworter nicht die gewünschte Wirkung gehabt haben, Moskau zum Nachgeben zu zwingen.
Im Donbass hält der Artilleriebeschuss auf Donezk und andere Städte der »Volksrepubliken«, aber auch auf das von ukrainischen Truppen gehaltene Städtchen Debalzewo an. Hier sollen nach ukrainischen Angaben am Wochenende mindestens zwölf Zivilisten getötet worden sein. Die Bevölkerung des Orts, der vor dem Krieg 10.000 Einwohner hatte, versucht, sich auf eigene Faust aus dem Kampfgebiet zu retten; etwa die Hälfte der Menschen soll nach Angaben des von Kiew eingesetzten Gouverneurs des Gebiets Donezk auf das Gebiet der »Volksrepublik Donezk« übergetreten sein. Über die Vorgänge in Donezk berichteten die Aufständischen, dass die ukrainischen Truppen immer häufiger Mehrfachraketenwerfer vom Typ »Grad« gegen die Wohnviertel einsetzten. Außerdem hätten ukrainische Sabotagetrupps ihre Tätigkeit intensiviert. Wenn solche Trupps festgenommen werden, müssen Angehörige der Volkswehren sie offenbar öfters vor Versuchen der Lynchjustiz durch die örtliche Bevölkerung schützen.
An der Front konzentrierten sich die Kämpfe auf die Region Debalzewo. Eine pro-ukrainische Aktivistin aus der »Radikalen Partei« warf den eigenen Kommandeuren vor, die Soldaten zu verheizen. So habe ein Major namens Subanitsch seinen Untergebenen gesagt, wenn sie eine bestimmte Stellung nicht zurückeroberten, werde er sie von der eigenen Artillerie beschießen lassen. Zwei Angehörige eines ukrainischen Freiwilligenbataillons rühmten sich im Kiewer Fernsehen, sich bei der Verteidigung der Stadt Uglegorsk in einer örtlichen Blindenschule verschanzt zu haben. Ob die Kinder zu diesem Zeitpunkt noch dort waren, ging aus dem Interview nicht hervor.
* Aus: junge Welt, Dienstag, 3. Februar 2015
Keine Waffen "in naher Zukunft"
Laut US-Sicherheitsberater in nächster Zeit keine Lieferungen an Kiew geplant. Dennoch werden "alle Optionen" geprüft **
Die US-Regierung will »in der nahen Zukunft« keine Waffen an das Militär der Ukraine für den Kampf gegen die Aufständischen im Donbass liefern. Das sagte der Sicherheitsberater von Präsident Barack Obama, Benjamin Rhodes, in einem CNN-Interview am Montag abend. Sanktionen seien demnach weiterhin das beste Mittel, um in dem Konflikt Druck auf Russland auszuüben.
Einen Bericht der New York Times, nach dem die USA konkret über Waffenlieferungen nachdenken, wies Rhodes allerdings nicht direkt zurück. Obama habe seine Berater angewiesen, laufend »alle Optionen« zu prüfen. Das US-Blatt hatte am Montag berichtet, über die bereits gelieferten »nicht-tödlichen« Waffen hinaus solle auch »defensives« Kriegsgerät wie Panzerabwehrraketen an die ukrainische Armee geschickt werden.
Rhodes erklärte, ein wichtiges Treffen in der Frage sei der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Weißen Haus am kommenden Montag. Merkel sei in der Krise der wichtigste Partner der USA.
Nach UN-Angaben sind in den vergangenen drei Wochen bei Kämpfen im Donbass rund 220 Menschen ums Leben gekommen Dies teilte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad Al-Hussein, am Dienstag in Genf mit. Dabei würden zunehmend Zivilisten in Mitleidenschaft gezogen. »Bushaltestellen, öffentliche Verkehrsmittel, Marktplätze, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Wohngebiete sind zu Kampfzonen geworden«, sagte Al-Hussein. Dies seien klare Verstöße gegen das Völkerrecht.
Die Aufständischen in der Ostukraine warfen den Regierungseinheiten am Dienstag vor, erneut Wohnviertel in der Großstadt Donezk zu beschießen. Infolgedessen seien innerhalb von 24 Stunden mindestens acht Zivilisten getötet und weitere 22 verletzt worden. Der Präsident der »Volksrepublik« Lugansk, Igor Plotnizki, erklärte laut dpa zudem, die »Volkswehr« habe bei der umkämpften Ortschaft Debalzewo einen Kampfjet der Armee zerstört. Die Militärführung in Kiew behauptete dagegen, sie habe Donezk nicht beschossen und aktuell kein Flugzeug verloren. Demnach seien aber mindestens fünf Soldaten getötet und 27 verletzt worden.
** Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. Februar 2015
Eskalationspoker
US-Waffenlieferungen an Kiew
Von Reinhard Lauterbach ***
Sollte US-Präsident Barack Obama tatsächlich beschließen, die Ukraine mit Waffen zu beliefern, wäre dies eine entscheidende Drehung an der Eskalationsschraube im Krieg um den Donbass. Damit würde sich ein bitteres ukrainisches Sprichwort bestätigen, nach dem »Russen und Amerikaner sich bis zum letzten Ukrainer bekämpfen«. Der Krieg würde auch explizit das werden, was er in Wirklichkeit von Anfang an war: ein Konflikt um geopolitische Positionen, darum, ob Moskaus weltpolitischer Hauptgegner in der Lage ist, sich direkt an der russischen Südwestflanke politisch und militärisch einzunisten.
Nachgeschobene Erläuterungen aus Washington sollten niemanden in Sicherheit wiegen. Wenn ein US-Sicherheitsberater jetzt erklärt, »in naher Zukunft« seien keine Waffenlieferungen an Kiew geplant, dann dementiert er etwas, was niemand behauptet hat. Denn was heißt »in naher Zukunft«? Nächste Woche, nächsten Monat, nächstes Jahr? Militärexperten gehen davon aus, dass es schon aus technischen Gründen sechs bis zwölf Monate dauern würde, bis US-Waffenlieferungen an die Ukraine tatsächlich einsatzbereit wären.
Einiges spricht dafür, dass es Washington einstweilen darum geht, im eigenen Lager die Öffentlichkeit auf den Gedanken einer neuen Eskalationsstufe in Osteuropa einzustimmen. Es ist natürlich kein Zufall, dass das interne Memorandum der Befürworter von Waffenlieferungen an die New York Times gelangt ist. Zwei Tage vor dem entsprechenden Bericht in dem US-Blatt hatte der Washington-Korrespondent der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza in einem Leitartikel genau solche Lieferungen gefordert. Polens staatstragende Presse kann es prompt kaum erwarten, dass nun »endlich« »etwas getan wird« gegen das »eurasische Imperium« – und freut sich auf Aufträge für die polnische Rüstungsindustrie.
Dass die USA bereit sind, durch Waffenlieferungen einen Stellvertreterkrieg fernab des eigenen Territoriums anzufachen, zeigt die Skrupellosigkeit zumindest eines Teils der amerikanischen Elite. In die Quere könnte den Eskalationsstrategen allenfalls noch ein Faktor kommen, auf den in den letzten Tagen der US-Analysedienst Stratfor aufmerksam gemacht hat: Solange Russland militärisch noch überlegen ist, könnte es sich versucht sehen, der Aufrüstung seines Gegners mit einer wirklichen Offensive zuvorzukommen. Die würde dann mindestens bis zum Fluss Dnjepr reichen und die Ukraine ihres industriellen Potentials berauben. Ginge es darum, die »friedliche Wahl des ukrainischen Volkes« zu unterstützen, wäre das für die USA ein gewichtiges Argument, auf Waffenlieferungen zu verzichten. Denn von der Ukraine bliebe in diesem Fall ein nationalistisch zähnefletschender Rumpfstaat ohne wirtschaftliche Grundlage übrig, ein Dauerkandidat für die Alimentierung durch Washington und Brüssel. Will Obama aber die Konfrontation mit Russland, dann fallen die Kosten für den Unterhalt der Ukraine kaum noch ins Gewicht.
*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. Februar 2015 (Kommentar)
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