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Neues Milliardengrab

US-Kommentator zur Ukraine: Falls der Westen gewinnt, erbt er die Rechnung

Von Rainer Rupp *

Washington »hilft« der Ukraine. Mit großer, parteiübergreifender Mehrheit hat das Repräsentantenhaus des US-Kongresses am Donnerstag entschieden, eine Kreditbürgschaft in Höhe von einer Milliarde Dollar (725 Millionen Euro) zu übernehmen. Angesichts der bescheidenen Summe dürfte sich die Freude in Kiew über den Geldsegen aus Washington in Grenzen halten. Da sieht die von der EU mit noch mehr Medienaufwand angekündigten »Hilfe« im Volumen von elf Milliarden Euro (etwa 15 Milliarden Dollar) beeindruckender aus, zumindest auf dem Papier. Allerdings verspricht Brüssel Geld, das es größtenteils gar nicht hat, oder das laut einer aktuellen Analyse des Wall Street Journal erst nach Abschluß eines langwierigen Genehmigungsverfahrens der Mitgliedstaaten und der jeweiligen Finanzinstitutionen fließen könne. Viele der »Hilfen« sind an politische und ökonomische Bedingungen geknüpft, wie Austeritätskriterien, höhere Lebensmittelpreise oder niedrigere Löhne und Renten. Würden diese umgesetzt, dürfte die Lage im Lande, besonders in den Industriezentren im Osten, für die Machthaber in Kiew noch prekärer werden als ohnehin schon.

Washington macht sich auch Sorgen, daß die versprochene Milliarde umgehend in die Kasse von Gasprom fließen könnte. Das will die US-Regierung unbedingt verhindern. Der Konzernchef des russischen Multis, Alexej Miller, hatte laut Nachrichtenagentur Reuters am vergangenen Mittwoch Präsident Wladimir Putin informiert, daß die Ukraine im Februar nur noch einen winzigen Teil ihrer Gaslieferungen bezahlt habe – umgerechnet zehn Millionen Dollar. Die Gesamtschuld bei Gasprom beläuft sich Miller zufolge auf 1,529 Milliarden Dollar. Zum nächsten Zahlungstermin am 7. März würden sich demnach die Verbindlichkeiten um weitere 440 Millionen Dollar erhöhen. Kurz: Die Ukraine steht allein bei seinem Gaslieferanten mit einem Betrag in der Kreide, der doppelt so hoch ist wie die versprochene US-Hilfe. Hinzu kommt, daß Gasprom den Brennstoff nicht länger zu »Freundschaftskonditionen« (umgerechnet 268,5 Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas) überlassen wird. Ab April werde der Marktpreis berechnet, der bei etwa 400 Dollar pendelt, verlautete am Dienstag aus Moskau.

Das scheint die Hoffnungen der »Regierung« in Kiew nicht zu trüben. Dort glaubt man offenbar den Versprechungen Washingtons, mit Flüssiggas aus den USA und mit Hilfe der ­Fracking-Methode schon bald von russischen Lieferungen unabhängig werden zu können. Allerdings fehlen dafür in absehbarer Zeit alle technischen und logistischen Voraussetzungen. Das gilt auch für die Idee, in umgekehrter geographischer Richtung die Ukraine über existierende Pipelines mit Gas aus dem Westen zu versorgen. Außerdem müßte Kiew auch in diesem Fall Marktpreise berappen.

Derzeit erzeugen 15 ukrainische Atomkraftwerke etwas weniger als die Hälfte der Elektrizität des Landes. Gas nimmt den zweiten Platz ein und davon kommt der allergrößte Teil aus Rußland. Daran wird sich auch in den nächsten zehn bis 20 Jahren nichts Wesentliches ändern.

Laut EU-Kommissionschef José Manuel Barroso teilen sich die in Aussicht gestellten elf Europa-Milliarden wie folgt auf: 1,6 Milliarden Euro sind Kredite und 1,4 Milliarden Euro zinslose Darlehen aus dem EU-Haushalt. Drei Milliarden Euro an neuen Krediten sollen bis 2016 von der Europäischen Investitionsbank kommen. Die investiert jedoch nur in konkrete Projekte, die erst noch konzipiert und bewilligt werden müssen. Außerdem versprach Barroso fünf Milliarden von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), in der die EU zwar die Stimmenmehrheit hat, was aber nicht automatisch eine Mehrheit für die Pläne Brüssels bedeutet. Um diese Milliarden zu mobilisieren, will sich Barroso als Finanzmagier betätigen: Zusätzliche 250 Millionen Euro, die die EU irgendwie beschaffen will, sollen über Finanzmärkte auf 3,5 Milliarden Euro »gehebelt« und dann als EBWE-Hilfe an Kiew gegeben werden.

Nach Angaben der neuen Regierung dort braucht die Ukraine allein bis Ende dieses Jahres zehn, und bis Ende 2015 mindestens 35 Milliarden Dollar für fällige Rückzahlungen internationaler Schulden, wenn eine Staatspleite vermieden werden soll. Nicht enthalten in dieser Rechnung sind die neuen Finanzierungslöcher, die sich durch die höheren Preise für Gas und die Exportverluste im Handel mit Rußland auftun.

Wenn der Westen Kiew über Wasser halten und sein riskantes geopolitisches Spiel doch noch halbwegs retten will, wird das sehr teuer. Vor einer solchen Situation hatte bereits am 25. Februar der einflußreichste Kommentator in den USA, Thomas Friedman von der New York Times, gewarnt, als er schrieb: »Wenn man heutzutage in den geopolitischen Spielchen ein Land gewinnt, dann gewinnt man nichts außer der Rechnung«.

* Aus: junge welt, Samstag, 8. März 2014


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