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Deutschland als globaler Impulsgeber

"Früher, entschiedener und substanzieller" eingreifen – in Kiew hat man es versucht

Von René Heilig *

"Kämpft bis zum Ende", feuert Julia Timoschenko die Massen an. Wo ist das Ende? Das wissen auch die strategischen Gestalter in der EU nicht. Auch Steinmeier scheint sich überschätzt zu haben.

Deutschland sei erwachsen geworden, es könne und müsse mehr Verantwortung in der globalisierten Welt übernehmen, hatte Bundespräsident Joachim Gauck jüngst auf der Münchner Sicherheitskonferenz getönt. »Früher, entschiedener und substanzieller« müsse sich das Land einbringen.« Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) teilte auf der Konferenz mit, Deutschland sei »eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren«. Er hat sich eingebracht. In Kiew.

Man kann darüber streiten, ob es klug war, neben dem französischen Kollegen ausgerechnet den polnischen Außenminister ins Gefolge aufzunehmen. Doch diese Frage ist längst von den Realitäten überholt worden. So wie der Vertrag, den die drei mit der – wie sie meinten – Opposition und dem zumindest damaligen Präsidenten der Ukraine Viktor Janukowitsch ausgehandelt hat.

Wie erschrocken war Steinmeier nur Stunden später, als er feststellte, dass der harte nationalistische Kern gar nicht daran dachte, sich daran zu halten, sondern seine rechtsextreme Kampftruppe zur Machtübernahme ausschickte? Mal abgesehen von der Frage, ob Deutschland welche Verantwortung in der Welt übernehmen sollte – man muss es auch können.

Nicht von ungefähr fordert der Grünen-EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht, die neue politische Führung in Kiew solle sich von der rechtsextremistischen Swoboda-Partei klar und unmissverständlich distanzieren. Was dagegen seine Fraktionschefin Rebecca Harms zusammenredet, ist gefährlich: »Die Entwicklungen in den vergangenen Tagen haben die Stärke der ukrainischen Bürgerrechtsbewegung deutlich gemacht und gezeigt, wie groß der Wunsch nach einem demokratischen Neuanfang und Gerechtigkeit in dem Land ist.«

So machen sich die Grünen zu Gehilfen der auf der Münchner Konferenz vorgetragenen neuen Strategischen Verantwortung. Die im übrigen nicht so neu ist, wie es erscheint. Und nicht immer geht es um den Einsatz deutscher Soldaten, wenn man die Welt verändern will. Nachzulesen ist das in einem Papier »Neue Macht, Neue Verantwortung« von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sowie vom German Marshall Fund of the United States (GMF). Das Dokument der beiden Think Tanks entstand am brandenburgischen Schwielowsee bereits im November 2012. »Deutschland sollte sich auf Dauer als ein Impulsgeber für die Gestaltung des internationalen Wandels begreifen.« Auch weitere textliche Versatzstücke, die in München zu hören waren, sind in dem Dokument schon vorformuliert. Die ideologischen Strategen teilten die Staaten der Welt größenwahnsinnig wie ein Weltpolizist auf – in »Mitstreiter«, »Herausforderer« und »Störer«.

In Europas südlicher und östlicher Nachbarschaft müsse die EU »als regionale Ordnungsmacht Stabilität und gute Regierungsführung anstreben – und dabei nicht nur auf Regierungen zielen, sondern auf Zivilgesellschaften. Hierzu sollten wirtschaftliche, diplomatische und auch sicherheitspolitische Instrumente konsequent eingesetzt werden«, liest man und denkt an Steinmeier in Kiew sowie andere EU-Vermittler, die die Positionen der Opposition stärkten. Getreu nach der Anweisung im Schwielowsee-Dokument: »Die Förderung von Demokratisierung, Pluralisierung, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte in Transformationsgesellschaften sowie in autoritär regierten Ländern bleibt ein zentrales Interesse der EU und Ziel der Zusammenarbeit mit den jeweiligen Staaten.«

Man sieht sich dabei in einer langen erfolgreichen Tradition: »Anreiz- und Kooperationsmechanismen haben in der deutschen (und europäischen) Außenpolitik seit jeher gute Dienste geleistet. In der deutschen Ostpolitik der siebziger Jahre (»Wandel durch Annäherung«) wie der EU-Osterweiterung etwa ist diese Form der Einflussnahme sehr erfolgreich gewesen.« Doch noch wehren sich Staaten: »Viele wichtige bilaterale Beziehungen Deutschlands lassen aber auch die Grenzen einer betont kooperationsorientierten Politik deutlich erkennen. Anreize haben in der EU-Nachbarschaftspolitik oder im Rahmen der Modernisierungspartnerschaft mit Russland kaum greifbare Ergebnisse gezeitigt.« So uneinnehmbar wie Moskau im Moment scheint, zeigte sich Kiew nicht. Doch billig wird das nicht.

Die Ukraine zeigt Wege auf, wie man ohne den direkten Einsatz von Militär die Entwicklung anderer Staaten mitlenken kann. Doch letztlich ist – siehe Sicherheitskonferenz – der Einsatz der Bundeswehr im Verbund mit anderen NATO- und EU-Streitkräften eine feste Option. Damit das kriegsferne deutsche Volk seinen Willen nicht etwa via Volksvertretung umsetzen kann, will man den Parlamentsvorbehalt kippen. Das »Neue Macht«-Papier empfiehlt dem Bundestag, einen »Krisen- und Einsatzausschuss« zu bilden. Das helfe, Einsätze »zu flexibilisieren«. Für den Fall, dass ein Abenteuer schief geht, könne man eine Rückrufklausel einführen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 24. Februar 2014


Liebling Kiew

Wolfgang Hübner über den Umsturz in der Ukraine **

Die Vereinbarung, die Frank-Walter Steinmeier und zwei Außenminister-Kollegen zwischen der Janukowitsch-Regierung und der ukrainischen Opposition vermittelt hatten, ist nicht mehr als ein Wisch. Von deutschen Medien zum großen Coup hochgejubelt, interessierte der Fahrplan für einen halbwegs geordneten Machtübergang den radikalen Kern der Protestierenden auf dem Maidan keine halbe Stunde. Vor allem Rechtsextremisten pulverisierten die diplomatischen Bemühungen mit aggressiven Drohungen.

Stört das Steinmeier und Co. irgendwie? Man hört wenig davon, ebenso wenig wie Protest gegen das Schaulaufen und den Aufstieg von Nationalisten in höchste Ämter. Denn nun triumphiert ja Julia Timoschenko, der Liebling des Westens. Der Bilderbuchschurke ist weggeputscht – es handelt sich um Verteilungskämpfe zwischen Machtklüngeln, die mit den Sorgen der einfachen Menschen wenig zu tun haben. Ging es ihnen in der ersten Ära Timoschenko besser? Nicht dass man wüsste. An der wirtschaftlichen Misere der Ukraine haben alle Regierungen seit 1990 ihre Aktie, alle waren sie vor allem gut in Sachen Filz und Korruption.

Und jetzt soll die EU der Retter in der Not sein? Nach ein paar Streicheleinheiten wird der brutale Druck der Spardiktate folgen, das Wort Troika wird auch in der Ukraine neu buchstabiert. Wer sich dagegen auflehnt, wird aber nicht mehr als Revolutionär beklatscht, sondern als Chaot beschimpft. Und die Großmächte werden weiter kräftig mitmischen. Bestenfalls unter der Maske besorgter Konfliktmanager.

** Aus: neues deutschland, Montag, 24. Februar 2014 (Kommentar)


Wird die Schwarzmeerflotte erneut zum Zankapfel?

Die Krim hat Streitpotenzial: Putin und Janukowitsch hatten sich auf eine strategische Zusammenarbeit geeinigt, für Timoschenko ist Russlands Präsenz verhasst

Von René Heilig ***


Der Begriff »Krimkrieg« ist belegt. Russland forderte das Osmanische Reich heraus, Engländer und Franzosen mischten mit. Immer wieder ist das Gebiet zum Zankapfel von internationalem Rang geworden.

»In der ganzen Ukraine wird sich das Lied der Freiheit verbreiten; Es wird an den Karpaten widerhallen und in den Steppen zu hören sein ...« Soweit mag man ja mit einigem Optimismus der ukrainischen Nationalhymne folgen. Doch ob – wie es heißt – auch das Schwarzmeer die Ukrainer »anlächelt«, ist ungewiss. Der Parlamentspräsident der autonomen Republik Krim, Wladimir Konstantinow, brachte bereits einen Austritt der Halbinsel aus der Ukraine ins Gespräch. »Der einzige Weg für uns ist ein Außerkraftsetzen des Beschlusses des Präsidiums des ZK der KPdSU über die Übergabe der Halbinsel Krim von der Russischen Föderation an die ukrainische Unionsrepublik«, sagte er – in Moskau. Die Krim war am 19. Februar 1954 – also vor fast genau 60 Jahren – vom sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chrutschschow der Ukraine geschenkt worden.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion sprach sich im Dezember 1991 in einem Referendum eine Mehrheit der Krim-Bevölkerung für die Unabhängigkeit der Ukraine aus. Doch die Mehrheit der Bewohner – fast 60 Prozent – sind Russen. 25 Prozent sehen sich als Ukrainer. Gestützt auf die Tataren – rund 12 Prozent – ist die Krim ein Zentrum des Islams in der Ukraine. Dem ethnischen Kräfteverhältnis trug der nun für abgesetzt erklärte Präsident Rechnung. Es ist also nicht verwunderlich, dass Viktor Janukowitsch nicht nur aus dem weitgehend russischsprachigen Osten, sondern auch von der Krim Rückendeckung erhielt.

Wer über die Krim spricht, muss über die russische Schwarzmeerflotte reden. Nach dem Zerfalls der UdSSR blieb Moskaus südliche Flotte plötzlich auf ukrainischem Staatsgebiet. In Sewastopol und Noworossisk. Der Verteidigungsminister in Moskau beauftragte das Flottenkommando jüngst, »einen operativen Verband für die Lösung von Aufgaben im Mittelmeerraum sowie in den Räumen des Atlantischen und des Indischen Ozeans aufzubauen«. Die rund 20 000 Militärangehörigen mit ihren rund 2000 Schiffe und Boote bleiben ein Garant der Sicherheit Russlands in der Südrichtung, sagen Geostrategen in Moskau und haben einen ehrgeizigen Ausbauplan entworfen. Neue Fregatten und Korvetten werden fertiggestellt. Sechs konventionelle U-Boote wird die Schwarzmeerflotte bis 2016 erhalten. Ihre Flügelraketen haben eine Reichweite von bis zu 1500 Kilometern. In den vergangenen Jahren hat man sich auf einen möglichen Konflikt zwischen den USA und Iran vorbereitet, die Syrien-Einsätze werden maßgeblich durch die Schwarzmeerflotte »gestemmt«. Dass die NATO im Mittelmeer wieder »Schatten hat« ist, den Matrosen aus Sewastopol zu danken.

Vor einem Jahr feierte man den 225. Jahrestag der Flotte. Gäste waren die Präsidenten Russlands und der Ukraine, Putin und Janukowitsch. Die Schiffe der Schwarzmeerflotte und der Kriegsflotte der Ukraine bildeten zum zweiten Mal eine gemeinsame Parade. Die Ukraine und Russland waren und bleiben strategische Partner und lösen gemeinsame Aufgaben, sagte Janukowitsch und zeigte sich überzeugt, dass »unsere strategische Zusammenarbeit eine große Zukunft hat«.

Zu Zeiten, als Julia Timoschenko Premierministerin der Ukraine war, wurden für die russische Marineangehörigen und deren Familien unerträgliche Bedingungen geschaffen. Provokationen waren an der Tagesordnung. Janukowitsch hat schon kurz nach seinem Amtsantritt 2010 im ukrainischen Parlament die Verlängerung einer Vereinbarung über die Präsenz der Flotte durchgesetzt. Der Vertrag gilt nun bis 2042.

Ob es dabei bleibt? Möglich, denn ohne russisches Gas ist in der Ukraine der Ofen aus.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 24. Februar 2014


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