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Westen rüstet Kiew auf

USA liefern Feuerleitsysteme, Kanada bot Kampfflugzeuge an. Poroschenko wirft Russland vor, Hungersnot im Donbass hervorzurufen

Von Reinhard Lauterbach *

Westliche Staaten haben ohne große Diskretion begonnen, die ukrainische Armee aufzurüsten. Die USA teilten am Samstag auf der Pentagon-Webseite mit, dass sie der Ukraine Feuerleitsysteme für Granatwerfer überlassen. Bisher seien drei von 20 geplanten Anlagen geliefert worden. Die Systeme erlauben die Ortung von Granatwerfern, die aus der Deckung heraus schießen. Nach US-Darstellung vom Samstag hat Washington den ukrainischen Streitkräften ausdrücklich die Entscheidung darüber überlassen, ob diese die Systeme an der Front im Donbass einsetzen. Damit wird also zu rechnen sein.

Ebenfalls am Samstag teilte ein Beamter des ukrainischen Verteidigungsministeriums im Fernsehen mit, dass Kanada der Kiewer Regierung die Lieferung von »F-18«-Kampfflugzeugen angeboten habe. Die Ukraine habe das Angebot aber abgelehnt, weil die Betriebskosten zu hoch seien und es zu lange dauere, bis die Piloten umgeschult sein würden. Taufrische Ware sind die »F-18« freilich nicht; das Modell ist eine Konstruktion aus den achtziger Jahren, das ursprünglich für amerikanische Flugzeugträger entwickelt wurde. Sie können neben Atombomben und einem Arsenal konventioneller Geschosse auch die international verbotenen Streubomben abwerfen. Die Maschinen sind daraufhin optimiert, vom Radar des Gegners nicht erfasst werden zu können - und damit typische Angriffswaffen. Kanada hat von ursprünglich etwa 120 »F-18« noch rund die Hälfte im Bestand seiner Luftwaffe.

Während im Donbass die Kämpfe mit kleineren Artillerieattacken auf beiden Seiten weitergingen, griff Präsident Petro Poroschenko auf einer Veranstaltung in Kiew tief ins Arsenal historischer Vergleiche. Er warf Russland und den Führungen der »Volksrepubliken« in der Ostukraine vor, die Situation der Hungersnot des Winters 1932/33 wiederholen zu wollen, indem sie die Lieferung humanitärer Hilfe blockierten. Es zählt zu den zentralen Behauptungen der Regierung in Kiew, dass die sowjetische Führung die Hungersnot jenes Winters, die allein in der Ukraine mehrere Millionen Menschenleben gekostet hatte, bewusst hervorgerufen habe, um das ukrainische Bauerntum auszulöschen. Russische Historiker bestreiten die Hungersnot nicht, sehen sie aber vor dem Hintergrund der überhasteten Kollektivierung und nicht als gezielt antiukrainische Maßnahme.

Poroschenkos Aussage ist auf groteske Weise verlogen. So unbestreitbar die schwierige humanitäre Lage im Donbass ist, so ist sie nicht zuletzt Kiew und dem Artilleriebeschuss seiner Armee anzulasten. Im übrigen hat die Ukraine wenig getan, um die Situation zu verbessern. Es ist ständige Strategie Kiews, Hilfslieferungen nur in jene Regionen zu lassen, die von den eigenen Truppen kontrolliert werden. Dies betraf auch den vor einigen Wochen in Marsch gesetzten Konvoi mit Hilfsgütern aus Deutschland. Andererseits hat die Regierung in Kiew aber russische Hilfslieferungen in die Aufstandsgebiete stets zu verhindern gesucht und sie hilfsweise mit lautstarken Protesten und wüsten Unterstellungen begleitet. Unterm Strich haben die von Poroschenko beschworenen »Erben Stalins« im Donbass eine Hungersnot verhindert und nicht ausgelöst.

Im übrigen übergeht Poroschenko, was eine ihm ansonsten wohlgesonnene Presse über die Lage in den Aufstandsgebieten berichtet. So brachte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Freitag auf der Titelseite die Information, dass Russland schon seit Monaten die laufenden Ausgaben für die Löhne und Sozialleistungen in den »Volksrepubliken« übernommen habe. Das Blatt beruft sich auf den Verwaltungschef der »Volksrepublik Donezk«, Igor Martinow. Nach dessen Worten sind die dortigen Verwaltungen nur zur Finanzierung von 20 Prozent ihrer laufenden Ausgaben aus eigenen Mitteln in der Lage. Größenordnungen der russischen Unterstützung nannte Martinow gegenüber der FAZ nicht. Auch an dieser Situation ist Kiew nicht unschuldig, da es die Volksrepubliken einer systematischen Finanz- und Wirtschaftsblockade aussetzt und dabei, nebenbei bemerkt, gesetzliche Ansprüche der Rentner jener Region durch einen Federstrich annulliert und die Sparguthaben der Bevölkerung bei ukrainischen Banken de facto einzieht.

* Aus: junge Welt, Montag, 24. November 2014


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