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Hetze und bizarre Thesen

Extrem rechte Vorstellungen sind im geistigen Leben Ungarns bereits weit verbreitet

Von Simon Loidl *

In Ungarn begleiten rechtsextreme Umtriebe an den Universitäten den Umbau des Hochschulsystems. Im Frühjahr 2013 erreichten rechte Attacken auf Lehrende und Studierende einen neuen Höhepunkt. Mitte März hatten Studenten an den Büros mehrere Professoren an der Loránd-Eötvös-Universität antisemitische Aufkleber angebracht. Eine der Betroffenen war damals die weit über Ungarn hinaus bekannte liberale Philosophin und Holocaust-Überlebende Ágnes Heller. Nur wenige Wochen zuvor war bekanntgeworden, daß die der rechtsextremen Jobbik-Partei nahestehende Studentenorganisation HÖK Listen angelegt hatte, in denen Anmerkungen über politische Gesinnung, religiösen und ethnischen Hintergrund oder Aussehen der betreffenden Personen gemacht wurden. Diese Listen wurden von HÖK-Aktivisten während der großen Studentenproteste, die in diesen Wochen stattfanden, an die Polizei weitergeleitet, wie die Onlinezeitung Pester Lloyd berichtete.

Zwischen Herbst 2012 und Frühjahr 2013 kam es zu zahlreichen Kundgebungen gegen neue Gesetze, durch die Studiengänge wirtschaftlichen Bedürfnissen des Landes angepaßt und die Hochschulautonomie in zentralen Bereichen wie Finanzen und Personal stark eingeschränkt werden. Gleichzeitig wird gespart. Mitte Juni berichtete der Tagesspiegel, daß die Ausgaben für die Hochschulen in Ungarn zwischen 2008 und 2012 um 20 Prozent gekürzt wurden – weit mehr als in den meisten anderen europäischen Ländern.

Einschüchterung

Der Umbau der Universitäten soll nicht zuletzt der Regierung von Viktor Orbán einen stärkeren Einfluß sicher. Begleitet wird dies nicht nur von Pöbeleien rechtsextremer Studenten, sondern auch von behördlichen Angriffen auf Hochschullehrer. Bisheriger Höhepunkt waren monatelange Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Universität sowie des Philosophischen Institutes der Akademie der Wissenschaften, denen Untreue und Mißbrauch öffentlicher Gelder vorgeworfen wurde. Die vom Regierungskommissar Gyula Budai angestoßenen Ermittlungen waren Teil der Untersuchung von »Vergehen« der früheren ungarischen Regierung. Trotz der von Budai inszenierten und von regierungsnahen Medien unterstützten monatelangen Kampagne gegen angeblich »linke« Wissenschaftler stellte die Polizei im Mai 2012 ihre Ermittlungen ein, kurz darauf hieß es auch seitens der Staatsanwaltschaft, daß die Anschuldigungen jeglicher Grundlage entbehrten.

Während liberale Lehrende eingeschüchtert werden, ehrt die Regierung rechte Intellektuelle mit Auszeichnungen. Im Frühjahr 2013 sorgte die Verleihung des Táncsics-Preis, der höchsten Ehrung für Journalisten in Ungarn, an den Fernsehmoderator Ferenc Szaniszlo international für Aufsehen. Szaniszlo gab nach Protesten den Orden zurück. Weniger Empörung verursachte damals die Ehrung des Archäologen Kornél Bakay mit dem Verdienstorden. Dabei warf dessen Auszeichnung erneut ein grelles Licht auf die politischen Entwicklungen in Ungarn. Antisemitismus, gepaart mit völkischen Vorstellungen eines »Ungarntums«, sind der geistige Hintergrund des Erfolgs und Aufstiegs der extremen Rechten in Ungarn – die ideologischen Grenzen zwischen der Jobbik-Partei und der rechtskonservativen Regierungspartei Fidesz verschwimmen dabei zusehends.

Relativ einsam

Das Beispiel Bakay zeigt, wie tief antisemitische Vorstellungen bereits im geistigen Leben Ungarns verankert sind. Juden haben nach Vorstellung des Wissenschaftlers im Mittelalter den Sklavenhandel organisiert, zudem ist Bakay der Ansicht, daß Jesus Christus kein Jude, sondern ein Parther gewesen sei. Dieses altiranische Volk wiederum sei direkt mit den Ungarn verwandt.

Laut einem Telepolis-Artikel vom März dieses Jahres lehnt Bakay die allgemein anerkannte Einordnung des Ungarischen als finno-ugrische Sprache ab. Das Ungarische ist seiner Meinung nach nicht mit dem Finnischen und Estnischen verwandt, wie dies innerhalb der sprachwissenschaftlichen Forschung völlig unumstritten ist. Daß Bakays Publikationen in der Fachwelt relativ einsam dastehen, tut seinem Renommee und Einfluß in seiner Heimat keinen Abbruch. So zeichnete er etwa für ein 2004 erschienenes Lehrbuch für Elf- bis Zwölfjährige für den Geschichtsunterricht an Schulen verantwortlich, in dem sich laut Telepolis zahlreiche Thesen finden, die »massiv vom weltweiten wissenschaftlichen Konsens« abweichen würden.

Gleichzeitig versuchen besonders eifrige Lehrkräfte, »liberale« Vorstellungen von ungarischen Kindern und Jugendlichen fernzuhalten. Nur wenige Wochen nach dem Skandal um die antisemitischen Aufkleber an den Uni-Büros verbot die Leiterin des Gymnasiums von Balatonalmádi einen Vortrag von Ágnes Heller aus politischen Gründen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 2. Juli 2013


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