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Wenn Ungarns Premier aufräumt

Die große Einschüchterungswelle rollt

Von Gábor Kerényi, Budapest *

Gleich nach der Verabschiedung des neuen Mediengesetzes, das weit über Ungarns Grenzen hinaus Wellen schlägt, hat Ministerpräsident Viktor Orbán weitere wichtige Schritte zur Gleichschaltung des Landes vollzogen.

Viktor Orbán, Ministerpräsident und Chef der rechts-nationalen Partei FIDESZ (Bund Junger Demokraten), erschien offenkundig die Ernennung eines Parteifreunds zum Generalstaatsanwalt als der beste Weg, die verfassungsmäßige Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft zu gewährleisten. Péter Polt, ehemaliger FIDESZ-Abgeordneter, hatte diesen Posten schon einmal inne. Aus seiner damaligen Amtszeit datieren viele Entwicklungen, die der Staatsanwaltschaft in Ungarn ihr heutiges Profil gaben.

So wurde es unter Polts Führung zur Gewohnheit, dass Verfahren gegen Politiker unauffällig eingestellt werden. Ein obskurer Fall von Wirtschaftskriminalität im Dunstkreis des FIDESZ wurde ebenfalls unter Polt behandelt. Damals hatten parteinahe Unternehmer 13 hoch verschuldete Firmen an eine geheimnisvollen, in Deutschland lebenden Türken und einen Kroaten verkauft, die beide, wie durch Recherchen von Journalisten schließlich zutage trat, nie etwas mit Ungarn zu tun gehabt hatten. Polts Beschluss zur Einstellung der selbstverständlich ergebnislosen Ermittlungen datiert vom 11. September 2001 – einem Tag, an dem man sicher gehen konnte, dass die Welt mit anderem beschäftigt ist.

Doch die Zukunft Péter Polts wird noch interessanter sein. Im Gleichklang mit seiner neuerlichen Ernennung zum Generalstaatsanwalt verlängerte FIDESZ die Amtszeit dieses wichtigen Funktionsträgers von sechs auf neun Jahre und regelte überdies, dass er so lange oberster Fahnder bleibt, bis sein Nachfolger wiederum mit Zweidrittelmehrheit gewählt wird. Diese Regel ist nur mit Zweidrittelmehrheit zu verändern. Faktisch ist Polt der Posten also wohl auf Lebenszeit sicher.

Damit er ruhig und ungestört arbeiten kann, hat FIDESZ dem Parlament zudem das Recht entzogen, an den Generalstaatsanwalt, der keiner sonstigen Kontrolle untersteht, Anfragen und Einsprüche zu richten. Polt dürfte unangenehme Erinnerungen an dieses Interpellationsrecht haben, war er doch jener Amtsträger im Lande, dessen Antworten auf parlamentarische Anfragen in der neuen Republik am häufigsten abgelehnt wurden.

Am seinem letzten Arbeitstag im ausklingenden Jahr schaffte das Parlament mit den Stimmen des FIDESZ und seines christdemokratischen Satelliten schließlich auch noch zentrale Schutzmechanismen für Beamte im öffentlichen Dienst ab. Nach einem neuen Gesetz, das schon am 1. Januar in Kraft tritt, können alle in der nachgeordneten öffentlichen Verwaltung Tätigen mit einer Kündigungsfrist von zwei Monaten ohne Begründung entlassen werden, und zwar unabhängig von der Zahl der Dienstjahre. Für die eigentliche Staatsverwaltung gilt eine ähnliche Regelung bereits seit der rechtsnationalen Machtübernahme im Frühjahr. Offiziell wird die neuerliche Gesetzesänderung damit begründet, dass auf diese Weise »eine Garde qualifizierter Fachleute« geschaffen werden könne.

Ein Abgeordneter der Grünen-Partei LMP (Eine Andere Politik ist Möglich), Péter Szilágyi, charakterisierte die Reform in einer Mitteilung umgehend als »Schaffung eines neuen Lehensverhältnisses«. József Fehér, Generalsekretär der Beamtengewerkschaft, ließ in einem Interview wissen, schon die Gesetzesvorlage habe unter den Beschäftigten eine derartige Angst verursacht, dass »die Kollegen sich nicht einmal mehr gegenseitig anzuschauen trauen, weil niemand weiß, wer was über den anderen gesagt hat«. Mehrere Körperschaften und Organisationen wollen das Gesetz, ungeachtet schlechter Erfahrungen diesbezüglich, vor dem Verfassungsgericht anfechten.

Als die obersten Richter vor wenigen Wochen ein ähnliches Gesetz zu kippen versuchten, hatte die Regierungspartei mit ihrer Zweidrittelmehrheit prompt die Rechte des Verfassungsgerichtshofes beschnitten. Nun wird befürchtet, dass die Verfassungsrichter keine weitere Konfrontation mit Regierungschef Viktor Orbán wagen werden, um auf diese Weise wenigstens ihre derzeitigen Befugnisse zu erhalten.

Orbán rundet mit dieser Reform des Status der öffentlich Bediensteten eine ganze Reihe von dubiosen Gesetzesbeschlüssen ab, die er für die rechtliche Umrahmung seiner nahezu unbegrenzten Macht benötigt. All dies sollte und musste noch im ausklingenden Jahr geschehen, bevor Ungarn im ersten Halbjahr 2011 in das Rampenlicht der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft tritt. Dabei musste er sich doch gar keine Sorgen machen. Denn die EU-Führung hat selbst auf das neue Mediengesetz, das zahlreiche Proteste hervorruft, nur zahnlos reagiert. Ihr ständiger Ratspräsident Herman Van Rompuy hatte einen Tag nach der Verabschiedung des Mediengesetzes in Budapest mit Orbán Gespräche geführt, ohne dieses auch nur anzusprechen.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Dezember 2010


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