"Die Öffnung nach rechts war gewollt"
Ungarische Neonazis im Aufwind. Drohungen gegen Internationale Föderation der Widerstandskämpfer. Ein Gespräch mit Ulrich Schneider *
Ulrich Schneider ist Generalsekretär des Exekutivausschusses der
Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) - Bund der
Antifaschisten
Der Vizepräsident Ihrer Internationalen Föderation und Präsident des
ungarischen Verbandes der Widerstandskämpfer und Antifaschisten, Vilmos
Hanti, wurde von ungarischen Neonazis im Internet als »jüdische Ratte«
beschimpft, die man früher oder später erwischen und in ein wieder zu
eröffnendes Konzentrationslager verschleppen werde. Was sagen die
ungarischen Behörden dazu?
Nach einer Strafanzeige wird der Betreiber der Webseite inzwischen
juristisch verfolgt - was leider nicht selbstverständlich ist. Die
Behörden haben ein widersprüchliches Verhältnis zu Neonazistrukturen.
Einerseits billigen sie keine Straftaten, auf der anderen Seite sind sie
aber oft sehr zurückhaltend, wenn es um mehr oder weniger direkte
Aufrufe zur Gewalt geht. Oft heißt es dann erst mal »Es gibt doch bei
uns Redefreiheit«.
In diesem Fall haben sie aber jetzt doch etwas unternommen. Darüber
beschweren sich die Neonazis bereits - sie versuchen sich als Opfer
einer Meinungsdiktatur darzustellen, deren Redefreiheit eingeschränkt
wird. Aber wenn man bedenkt, daß die neofaschistische Szene in Ungarn in
den letzten Monaten für zahlreiche Gewalttaten verantwortlich ist, dann
kann man solche Drohungen nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Tatsache ist, daß in Ungarn regelmäßig Übergriffe gegen Menschen
stattfinden, die sich besonders schlecht wehren können.
Welche Menschengruppen sind in Ungarn besonders durch rechte Gewalt bedroht?
Vor allem Sinti und Roma, die auch gesamtgesellschaftlich stark
diskriminiert werden. Allerdings werden auch direkte politische Gegner
körperlich angegriffen. Zudem hat die ungarische Neonaziszene im
europäischen Maßstab an Bedeutung zugelegt. Der Gedenkmarsch für den
Naziverbrecher Rudolf Heß sollte im letzten Sommer sogar kurzzeitig nach
Budapest verlegt werden.
Wie stark ist Ihrer Einschätzung nach die militante Neonaziszene in
Ungarn selbst - ist sie in der Gesellschaft verankert?
Das ist schwer zu sagen, weil sie sich aus verschiedenen Elementen
zusammensetzt. Der Teil, der offen gewaltbereit auftritt, dürfte einige
hundert Personen umfassen. Allerdings steht der gewaltbereite Teil nicht
isoliert da. Die Betreiber der Internetseite, auf der Vilmos Hanti
bedroht wurde, stehen eng mit den paramilitärischen »Ungarischen Garden«
in Verbindung. Die sind zwar im Sommer verboten worden, aber der
ehemalige Vorsitzende ihres Trägervereins, Gábor Vona, ist zugleich
Vorsitzender der Jobbik-Partei, die bei den Europawahlen mit ihrer
aggressiven Agitation gegen Minderheiten, vor allem gegen Sinti und
Roma, 14,8 Prozent der Stimmen erreicht hat. Diese Partei nennt sich
»Bewegung für ein besseres Ungarn« und wurde erst 2002 gegründet. Allein
wegen der erwähnten Personalunion kann sie als politischer Arm der
verbotenen »Ungarischen Garden« gelten. Aber sie ist inzwischen salonfähig.
Was könnten die Gründe für diesen schnellen Erfolg einer offen
fremdenfeindlichen Partei sein - soziale Unsicherheit und Sündenbockreflexe?
Sogar ganz massiv. Hinzu kommt aber, daß die Konservativen der
Sozialdemokratie Versagen bei der Transformation des ehemaligen
Ostblocklandes zu einem kapitalistischen Land vorwerfen. Jobbik hat es
offenbar gut verstanden, von dieser Stimmungsmache zu profitieren. Zumal
die konservative Partei es vor den Sozialdemokraten nicht besser gemacht
hat. Sie haben nicht damit gerechnet, daß sie Stimmen an Jobbik
verlieren, aber die Öfnnung nach rechts war gewollt - sie haben den Weg
dafür frei gemacht.
Die letzten Regionalwahlen in Ungarn haben deutlich bestätigt, daß das
Ergebnis der Europawahl tatsächlich ein zutreffendes Stimmungsbild ist
und kein einmaliger Ausrutscher.
Interview: Claudia Wangerin
* Aus: junge Welt, 2. Januar 2010
Zurück zur Ungarn-Seite
Zur Seite "Neofaschismus, Rassismus, Rechtsradikalismus"
Zurück zur Homepage