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Geballte Männerkraft in Ungarns Regierung

Der künftige Premier Viktor Orbán stellte seine Kabinettsmannschaft vor: Frauenanteil null Prozent

Von Gábor Kerényi, Budapest *

Ungarns künftiger Ministerpräsident Viktor Orbán stellte Anfang der Woche seine Regierungsmannschaft vor.

In der ungarischen Politik stehen alle Zeichen auf Machtkonzentration. Statt bisher 14 Ministerien werden in Zukunft nur noch acht das Land regieren, darunter mehrere sogenannte Superministerien.

Dazu gehören das Ministerium für nationale Ressourcen, das in anderen Teilen Europas Ministerium für Bildung, Sport, Kultur, Gesundheit, Soziales und Zukunft heißen würde, das Ministerium für Rechtswesen, Minderheitenpolitik und Regierungskommunikation und das ebenfalls zusammenlegte Finanz- und Wirtschaftsministerium.

Daneben wird es interessanterweise auch noch ein Ministerium für nationale Entwicklung geben, an dessen Spitze ausgerechnet der Medienmagnat Tamás Fellegi das Land vor den sogenannten Oligarchen retten soll. Auch das Innenministerium wird von einem Großunternehmer geleitet, dem ehemaligen Polizeipräsidenten Sándor Pintér, der nach seiner Frühverrentung eine private Sicherheitsfirma gründete und nebenbei einen Platz im Verwaltungsrat der größten ungarischen Bank OTP bekam. Pintér war schon in der ersten Orbán-Regierung Innenminister, und er ist nicht der einzige bekannte unter den neuen Ressortchefs. Außenminister János Martonyi, Wirtschaftsminister György Matolcsi, Verteidigungsminister Csaba Hende, Kabinettchef Mihály Varga und andere sind alte Gesichter aus dem ersten Orbán-Kabinett der Legislaturperiode von 1998 und 2002.

Der künftige Agrarminister Sándor Fazekas dagegen hat in seinem neuen Aufgabengebiet noch keine Erfahrungen sammeln können. Doch hat er sich als Abgeordneter hervorgetan, indem er sich um das ländliche Leben besorgt zeigte. Er war es, der im Parlament die »diktatorische Liquidierung« der ländlichen Eisenbahnverbindungen durch die abgewählte Regierung anprangerte, und er stellte auch Anträge zur Erleichterung der Organisation von Freiluftkochwettbewerben.

Schließlich wird es noch ein Ministerium ohne Portefeuille für Nationale Politik und Kirchenwesen geben, das von Zsolt Semjén, dem Chef der christdemokratischen Satellitenpartei des FIDESZ geleitet wird. Semjén, der auch als dritter Vizepremier fungieren wird, sieht die Verleihung der ungarischen Staatsbürgerschaft an Auslandsungarn als seine Hauptaufgabe an und unterstreicht in seinem Lebenslauf, dass für sein Denken die päpstlichen Enzykliken des 19. und 20. Jahrhunderts wegweisend waren.

Die Verringerung der Zahl der Minister geht unter anderem damit einher, dass die Frauenquote in der Regierung sage und schreibe null Prozent erreicht. Damit dies gar nicht erst zum Stein des Anstoßes wird, hat man auch gleich auf ein eigenes Portefeuille für Frauenpolitik verzichtet. Dasselbe gilt für Umweltfragen. Irgendwo muss eben gespart werden, und wir können uns gewiss darauf verlassen, dass Geschlechter- und Umweltfragen in der nationalen Entwicklung gut aufgehoben sein werden, oder nicht?

* Aus: Neues Deutschland, 5. Mai 2010


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