Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Streit um Szeklerfahne

Ungarns Rechtsregierung schürt die Spannungen mit dem Nachbarstaat Rumänien

Von Tomasz Konicz *

Budapest zündelt. Ungarns Rechtsregierung scheint trotz anderslautender Erklärungen nicht daran interessiert zu sein, die nationalistisch aufgeladenen Spannungen mit Rumänien zu entschärfen. Am vergangenen Freitag verlieh der ungarische Außenminister Janos Martonyi in einem Fernsehinterview zwar seiner Hoffnung Ausdruck, die diplomatischen Auseinandersetzungen zwischen beiden Staaten um die ungarische Minderheit in Rumänien beizulegen. Doch zugleich beschuldigte Ungarns oberster Diplomat die »Politelite Rumäniens«, sich einer unverantwortlichen Rhetorik zu bedienen, die »tiefe Wunden« hinterlassen habe. Wenige Tage zuvor hatte der stellvertretende ungarische Ministerpräsident Zsolt Semjén die Bürgermeister seines Landes aufgefordert, vor allen kommunalen Einrichtungen die sogenannte Szeklerfahne zu hissen, an der sich der jüngste ungarisch-rumänische Schlagabtausch entzündet hat.

Die blau-goldene Fahne ist ein Symbol der Szekler, einer rund 670000 Menschen umfassenden ungarischsprachigen Minderheit in Zentralrumänien, deren Autonomiebestrebungen tatkräftig von Budapest unterstützt werden. Viele Rumänen identifizieren mit dieser Flagge die Gefahr des ungarischen Separatismus. Nachdem rumänische Regierungsvertreter anläßlich eines Festaktes in zentralrumänischen Kreis Covasna die Flagge entfernen ließen und deren Hissen vor Regierungsgebäuden künftig untersagten, intervenierten sogleich ungarische Politiker bei dem rasch eskalierenden »Fahnenstreit«. Der ungarische Außenstaatssekretär Zsolt Németh sprach daraufhin von einer »symbolischen Aggression« Bukarests gegen die Szekler, da es seiner Ansicht nach »kein Gesetz gibt, das den Ungarn in Rumänien verbietet, die Szeklerfahne zu benutzen«. Ungarns Botschafter in Rumänien, Oszkár Füzes, erklärte zudem, daß Budapest die »Autonomiebestrebungen« der ungarischen Minderheit in Rumänien »unterstützen« werde, wenn diese »es wünscht«.

Rumäniens Außenminister Titus Corlatean drohte daraufhin mit der Ausweisung des interventionsfreudigen ungarischen Botschafters. Bukarest verbat sich in einer Regierunserklärung die »inakzeptable Einmischung« Budapests in seine inneren Angelegenheiten. Der rumänische Premier Victor Ponta erklärte rundweg, sein Land werde »von niemandem Lektionen annehmen«, wie Rumänien seine Gesetze umzusetzen habe. Tatsächlich legalisieren die diesbezüglichen rumänischen Richtlinien nur das Hissen von Flaggen verfassungsmäßiger Strukturen und internationaler Organisationen, in denen Rumänien Mitglied ist – sie wurden bislang nur nicht angewandt. Die strenge Anwendung dieser Regelungen gilt als erste Stufe einer Verwaltungsreform, bei der die bisherigen 41 Landkreise zu acht großen Verwaltungsbezirken zusammengefaßt werden sollen. Hierdurch würden auch die separatistischen Tendenzen innerhalb der insgesamt 1,4 Millionen Bürger zählenden ungarischen Minderheit unterminiert, da die bislang gegebene Übereinstimmung zwischen Siedlungsgebiet und territorialer Körperschaft aufgelöst würde.

Die forcierte Unterstützung separatistischer Tendenzen in den Nachbarländern bildet eine Konstante ungarischer Außenpolitik seit dem Amtsantritt der Regierung von Viktor Orban. Diese Politik gipfelte in einem neuen Staatsbürgerschaftsgesetz, das die Vergabe der ungarischen Staatsbürgerschaft an »Auslandsungarn« erleichtert. Inzwischen haben Zehntausende Separatisten in Rumänien die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten, wodurch das Konfliktpotential noch weiter angeheizt wurde. Ähnliche nationalistische Auseinandersetzungen um die ungarische Minderheit haben auch die Beziehungen zwischen Ungarn und der Slowakei massiv belastet – als etwa im November 2008 ungarische Neonazis die Grenzübergänge zwischen beiden Ländern blockierten. Diese Politik Budapests sei von einem »immer gleichen Ablauf geprägt«, kommentierte die Zeitung Pester Lloyd: »Man provoziert den Nachbarn, bis er platzt, um dann als Opfer zu lamentieren.« Die herrschende Klasse Ungarns sieht ihr Land immer noch als »Opfer« des Ersten Weltkrieges. Bei dem 1920 abgeschlossenen Vertrag von Trianon mußte die Magyarenrepublik Teile ihres damaligen Territoriums an die Tschechoslowakei und Rumänien abtreten.

* Aus: junge welt, Donnerstag, 21. Februar 2013


Zurück zur Ungarn-Seite

Zur Rumänien-Seite

Zurück zur Homepage