Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Keine Amnestie für Folterer

25 Jahre nach Diktatur. Uruguayischer Senat hebt Schlußpunktgesetz auf. Prozeßwelle gegen Militärs erwartet

Von Johannes Schulten *

Über 26 Jahre nach der Rückkehr zur Demokratie hat Uruguay eine wichtige Hürde für die Aufarbeitung der letzten Militärdiktatur genommen. In einer zwölfstündigen und ziemlich hitzig geführten Debatte sprach sich der Senat am Dienstag mit einer knappen Mehrheit für die Aufhebung des sogenannten Schlußpunktgesetzes aus. Damit könnten in Zukunft erstmals Militärs für die während der Zeit von 1973 bis 1985 verübten Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich belangt werden. Vertreter von Menschenrechtsorganisationen, die bei der Senatssitzung zugegen waren, bezeichneten die Entscheidung als »historischen Tag«.

Beantragt wurde die Gesetzesänderung von der Regierungspartei Frente Amplio (Breite Front), die sich mit 16 zu 15 Stimmen gegen die oppositionellen Partido Nacional (PN) und Partido Colorado (PC) durchsetzte. Zwar muß die neue Regelung vor Inkrafttreten noch einmal vom Parlament bestätigt werden, aufgrund der komfortablen Regierungsmehrheit gilt eine Zustimmung jedoch als sicher.

Das uruguayische Schlußpunktgesetz basiert auf einem kurz vor dem Übergang zur Demokratie geschlossenen Pakt zwischen führenden Militärs und Politik. 1986 wurde er von der Regierung Julio María Sanguinetti (PN) und Stimmen der PC verabschiedet. Ein daraufhin 1989 auf Betreiben von FA und Gewerkschaften durchgeführtes Referendum war inmitten massiver Putschdrohungen der Militärs knapp gescheitert. Auch ein weiterer Volksentscheid im Oktober 2009 verfehlte die für eine Aufhebung der Straffreiheit nötige Mehrheit knapp.

Zwar sah das Schlußpunktgesetz keine vollkommene Amnestie für alle Militärs vor; bisher konnten lediglich einzelne hochrangige Militärs verurteilt werden. Besonders die mittleren und unteren Ebenen blieben jedoch von der Strafverfolgung verschont.

Das uruguayische Armee reagierte empört auf die Gesetzesänderung. »Wir glauben, daß diese Entscheidung das Land destabilisieren kann, weil es den Rechtsstaat schwächt, die Souveränität des Volkes nicht anerkennt und die Demokratie deligitimiert«, sagte José Araújo, Sprecher der Vereinigung »Freiheit und Eintracht«. Die Organisation setzt sich seit Jahren gegen die Strafverfolgung von Militärs ein. Ein Armeesprecher sprach von großer Nervosität innerhalb der Truppe.

Daß die Sorgen der Streitkräfte durchaus berechtigt sind, zeigt ein Blick auf die andere Seite des Río de la Plata. Nachdem der im Oktober verstorbene Präsident Néstor Kirchner (2003 bis 2007) kurz nach seinem Amtsantritt ein auch in Argentinien geltendes Amnestiegesetz aufgehoben hatte, wurden mehr als 800 Folterer vor Gericht gestellt, 200 wurden inzwischen verurteilt. Beobachter in Uruguay rechnen mit ähnlichen Entwicklungen. Nach Ansicht von Adolfo Garcé von der Universidad La República könnte sich die Zahl der Prozesse in den nächsten Jahren vervielfachen.

Froh über die Entscheidung dürfte auch die Frente Amplio sein, hat sie so einen monatelangen parteiinternen Streit zumindest zeitweise beigelegt. Seit das Projekt im Oktober vergangenen Jahres in der Abgeordnetenkammer verabschiedet worden war, lag es im Senat auf Eis. Das war jedoch nicht nur der Opposition geschuldet, auch drei Senatoren aus den eigenen Reihen hatten ihre Zustimmung mit Verweis auf die gescheiterten Volksabstimmungen verweigert. Erst Anfang März gelang es dem Parteienbündnis, einen Konsens herzustellen. Wenn auch nicht ohne Konflikte. Kurz nach der Abstimmung am Dienstag kündigte der Abgeordnete Eleuterio Fernández Huidobro an, trotz seiner Zustimmung sein Mandat niederzulegen.

* Aus: junge Welt, 14. April 2011


Zurück zur Uruguay-Seite

Zurück zur Homepage