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Uruguay legalisiert Cannabis

Strategie der Polizeigewalt gescheitert: Anbau und Erwerb künftig erlaubt *

Als erstes Land der Welt hat Uruguay den Anbau und Verkauf von Cannabis legalisiert. Nach dem Unterhaus verabschiedete am späten Dienstag abend (Ortszeit) auch der Senat ein entsprechendes Gesetz. Registrierte Konsumenten über 18 Jahren dürfen danach künftig pro Kopf bis zu sechs Cannabis-Pflanzen zum Eigenverbrauch anbauen oder bis zu 40 Gramm Marihuana pro Monat in lizenzierten Apotheken kaufen. Das Gesetz geht auf eine Initiative von Präsident José Mujica zurück. Dieser erklärte am Dienstag, im Kampf gegen den Drogenkonsum müßten »neue Wege« beschritten werden, es gehe »nicht darum, ein System des freien Kiffens zu schaffen«. »Der Krieg gegen die Drogen ist fehlgeschlagen«, konstatierte auch Senator Roberto Conde vom regierenden Linksbündnis Frente Amplio. Das Legalisierungsgesetz sei die »unvermeidbare Antwort« auf das Scheitern der repressiven Strategie. Der von den Linken dominierte Senat hatte der Vorlage zuvor nach zwölfstündiger Debatte mit einer knappen Mehrheit von 16 zu 13 verabschiedet.

Das Gesetz räumt dem Staat das Recht auf »Kontrolle und Regulierung von Import, Export, Anbau, Ernte, Produktion, Erwerb, Lagerung und kommerziellem Vertrieb von Cannabis und seinen Nebenprodukten« ein. Es gehe nicht darum, einen Marihuanamarkt zu schaffen, betonte Conde. Das Gesetz sei aber dazu geeignet, Angebot und Nachfrage zu reduzieren. Mit Polizeigewalt allein sei dem Drogenhandel nicht beizukommen.

Bislang waren in Uruguay der Konsum und der Besitz von Cannabis für den persönlichen Bedarf erlaubt, aber Handel und Anbau verboten. Nach Angaben des Nationalen Drogenrats gebrauchen 120000 der 3,2 Millionen Uruguayer regelmäßig Cannabis, jeder sechste davon täglich. Bislang wurden illegal mehr als 20 Tonnen des Rauschmittels auf den Markt gebracht, was einem Gegenwert von 30 bis 40 Millionen Dollar (etwa 23 bis 30 Millionen Euro) entspricht.

Alfredo Solari von der oppositionellen Colorado-Partei kritisierte, durch die Legalisierung gerieten die Risiken des Cannabiskonsums aus dem Blickfeld, vor allem Kinder und Jugendliche seien gefährdet. Er warf der Regierung vor, mit den Bürgern des Landes ein Experiment zu veranstalten. Das Kabinett hatte indes das geplante Gesetz mit einer Aufklärungskampagne unter dem Motto »Jeder Drogenkonsum birgt Risiken« begleitet.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. Dezember 2013


»Wir brauchen Lösungen für den Eigenanbau«

Nach der Legalisierung von Cannabis in Uruguay kommt jetzt vielleicht auch bei uns Bewegung in die Debatte. Gespräch mit Frank Tempel **

Frank Tempel ist drogenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei.

Als weltweit erster Staat hat Uruguay am Dienstag Herstellung, Verkauf und Konsum von Cannabis freigegeben. Seit längerem schon gehen diverse US-Bundesstaaten ebenso wie einige EU-Länder liberal mit dieser Droge um – wird das Thema auch in Deutschland wieder aktuell?

Aktuell ist es schon lange. Meine Fraktion hat in der abgelaufenen Legislaturperiode mehrere parlamentarische Initiativen zu diesem Bereich gestellt, unter anderem einen Antrag zur Möglichkeit der Gründung von Cannabisclubs, wie es sie in Spanien und Belgien gibt. Dazu hatten wir auch eine entsprechende Anhörung im Bundestag. Auch die Grünen haben dazu einiges in der letzten Legislaturperiode eingebracht. Das Thema ist also durchaus in der Diskussion, das Interesse daran kann aber auch schnell wieder einschlafen.

Außerhalb des Parlaments scheint sich allerdings einiges zu tun – seit zwei Wochen gibt es im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ein Modellprojekt für die Einrichtung eines Coffeeshops nach niederländischem Vorbild. Hinzu kommt, daß 40 Prozent der deutschen Strafrechtsprofessoren in einem Brief an die Abgeordneten ebenfalls die Freigabe von Cannabis gefordert haben. Kommt der Bundestag in Zugzwang?

Viele Mediziner, Professoren, Sozialpädagogen, Streetworker, Polizisten und Leiter von Suchtkliniken sind ebenfalls der Meinung, daß der repressive Umgang mit Cannabis schädlicher ist als dessen Legalisierung. Diese Erkenntnis ist also Stand der Wissenschaft – wer das nicht akzeptiert, muß sich vorsätzliche Inkompetenz vorwerfen lassen.

Das gilt vor allem für die CDU/CSU, die in Bundestagsanhörungen zu diesem Themenkomplex immer wieder denselben Experten präsentiert. Der Union geht es auch nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse, sie schielt eher auf die Reaktion von Bild. Ich erinnere nur an den letzten Linke-Parteitag, zu dem Bild die Schlagzeile erfand: »Linke will Heroin und Kokain bei Lidl und Aldi anbieten lassen.« Blödsinn!

Wie wenig sich die Politik für das Thema interessiert, stelle ich immer wieder bei Jahrestagungen der Hauptstelle für Suchtgefahren fest. Diese Veranstaltung wird selbst von den für Drogenpolitik zuständigen Kollegen aus dem Bundestag und den Landtagen geschwänzt. Seit drei Jahren bin ich dort Stammgast – voriges Jahr war mal einer von den Grünen da, das war’s.

Wie stellen Sie sich ein Gesetz zum Thema Cannabis für Deutschland vor?

Uns geht es vorrangig um die Sicherstellung des Eigenkonsums in Deutschland. Der wird durch einen weit verzweigten Schwarzmarkt versorgt, der am besten dadurch ausgetrocknet werden kann, daß Lösungen für den Eigenanbau von Hanfpflanzen angeboten werden. Das kann individuell gestaltet werden oder über die Gründung von Cannabis-Clubs.

Ich kann mir auch eine, wenn auch begrenzte, Rolle für Coffeeshops vorstellen. Anders als in den Niederlanden müßte dann aber auch überwacht werden, woher das Cannabis kommt, wieviel von dem Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) drin ist oder ob es schädliche Zusätze enthält. Auf jeden Fall muß bei einer gesetzlichen Regelung auch der Jugendschutz berücksichtigt werden.

Sie haben einen beruflichen Vorlauf. Als Polizeibeamter waren Sie in der Drogenfahndung tätig ...

Richtig, dabei habe ich die Erfahrung machen müssen, wie machtlos wir in der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität sind. Wir werden das Problem mit den alten Mitteln selbst dann nicht in den Griff bekommen, wenn wir die Zahl der Fahnder verdreifachen. Es ist auch nachgewiesen, daß das Cannabisverbot zu keinem Zeitpunkt zu einem Rückgang der Zahl der Konsumenten geführt hat. Alle Experten sind sich einig, daß das Verbot nicht funktioniert. Also muß ein anderer Weg gefunden werden.

In welchem europäischen Land sehen Sie Ihr Vorstellungen am ehesten verwirklicht?

Portugal ist vorbildlich, dort wurde eine unabhängige Kommission gebildet, die das Drogenstrafrecht auf den Prüfstand gestellt hat. Anschließend wurde eine grundlegende Umkehr in der portugiesischen Drogenpolitik eingeleitet. Ein derartiges Vorgehen schlagen auch die erwähnten Strafrechtsprofessoren vor. Die Schweiz setzt auf präventive Maßnahmen, auf die Entkriminalisierung des Besitzes. Eine Mischung aus Portugal und Schweiz und auch den Niederlanden könnte ich mir für Deutschland durchaus vorstellen.

Interview: Peter Wolter

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. Dezember 2013


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