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Kein "Gras drüber"

Uruguay: Widerstand gegen angestrebte Versöhnung zwischen Staatsterroristen und ihren Opfern

Von Gerold Schmidt, npl *

Am Ende legte Präsident Tabaré Vázquez am gestrigen Dienstag nur ein paar Blumen am Denkmal José Artigas ab. Eigentlich hatte er den 243. Geburtstag des uruguayischen Nationalhelden per Dekret zur großen Versöhnungsgeste zwischen Opfern der Militärdiktatur von 1973 bis 1985 und den uruguayischen Streitkräften umfunktionieren wollen. Zivile Organisationen, Kinder, Studenten und Uniformierte sollten gemeinsam defilieren und ein Zeichen setzen, daß es »Nie wieder« zur Konfrontation zwischen Uruguayern kommen werde, so hatte Vázquez es im Dezember beschieden.

Doch der mit seiner politischen Basis nicht abgestimmte Vorstoß erwies sich als blauäugig. Innerhalb des linken Regierungsbündnisses Frente Amplio, aber vor allem in der uruguayischen Volks- und Gewerkschaftsbewegung gab es von Anfang heftigen Widerstand gegen den Vorschlag. Insbesondere die Familienangehörigen der unter der Diktatur Verschleppten und Verschwundenen lehnen ihn ab; denn die Repression der Militärs wird im Nachhinein relativiert, indem das Vorgehen von Guerillagruppen gegen die Diktatur den Morden an Mitgliedern der damaligen militanten und zivilen Opposition zunehmend gleichgestellt wird.

Die Empörung in der Linken war auch deshalb groß, weil die uniformierten Erben der Diktatur bis heute bei der Aufarbeitung der Vergangenheit vielfach mauern und keinerlei Reue zeigen. Jedes Aufspüren von Gräbern Verschwundener beispielsweise auf dem Gelände von Militärkasernen ist in den vergangenen Jahren nur gegen den Widerstand der Streitkräfteführung, nicht mit ihrer Hilfe geschehen. Ähnlich liegt der Fall in den laufenden Prozessen gegen einige Folterer und Mörder aus der Zeit von 1973 bis 1985. Es handelt sich in gewisser Weise um Bauernopfer der Streitkräfte, die ansonsten auf ein 1986 verabschiedetes Gesetz pochen, das ihnen Straffreiheit für die begangenen Verbrechen zusichert.

Gerade erschienen ist ein fünfbändiges »Weißbuch«, in dem ein Expertenteam die verfügbaren Informationen über die Diktatur in dem kleinen südamerikanischen Land auswertete. Dort wird unter anderem die Zusammenarbeit der uruguayischen Militärs mit ihren Kollegen in Argentinien und Chile bei der Verfolgung der Opposition nachgewiesen. Wichtige Details fehlen jedoch, weil die Streitkräfte den Zugang zu entscheidenen Archiven verweigerten oder deren Existenz schlicht abstreiten.

Der Gewerkschaftsdachverband PIT-CNT, Studentenorganisationen und Vereinigungen von Angehörigen von Opfern der Diktatur forderten angesichtes dieser Situation statt des von Tabaré Vázquez propagierten »Nie wieder« ein klares »Nie wieder Staatsterrorismus«. Nachdem am 20. Mai mehrere zehntausend Menschen an einem Gedenkmarsch für vier 1976 ermordete Uruguayer teilnahmen und die vom Präsidenten anvisierte Art von Versöhnung ablehnten, mußte dieser Anfang Juni zur Enttäuschung der Militärs zurückrudern.

* Aus: junge Welt, 20. Juni 2007


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