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Auf der Zielgeraden

Uruguay: Vor der Stichwahl deutet vieles auf einen Sieg des reformorientierten Linkskandidaten José Mujica hin

Von Stefan Peters, Montevideo *

Uruguay wählt am kommenden Sonntag (29. Nov.) einen neuen Präsidenten. Die Nachfolge des Amtsinhabers Tabaré Vázquez von der Linkskoalition Frente Amplio (FA/Breite Front) entscheidet sich zwischen José »Pepe« Mujica, der für die Regierungspartei antritt, und Luis Alberto Lacalle von der Partido Nacional (PN/Nationale Partei). Nachdem Mujica im ersten Wahlgang nur knapp die notwendige absolute Mehrheit verpaßte, deuten alle Umfragen auf einen Sieg des FA-Kandidaten hin.

Die zweieinhalb Millionen Stimmberechtigten wählen zwischen zwei politischen Modellen: Während Lacalle eine bedingungslose Rückkehr zur neoliberalen Privatisierungs- und Liberalisierungspolitik seiner ersten Amtszeit zwischen 1990 und 1995 anstrebt, kann von einer Präsidentschaft Mujicas eine Fortführung und eventuelle Vertiefung der wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen der gegenwärtigen Regierung erwartet werden. Eine Radikalisierung des Kurses in Uruguay, wie sie von Lacalle beschworen wurde, wird es mit ihm nicht geben. Der ehemalige Guerillero der Tupamaros Mujica hat sich in den vergangenen Jahren deutlich der politischen Mitte angenähert. Mit der Ernennung des ehemaligen Finanzministers der Regierung Vázquéz, Danilo Astori (2005--2008) zum Kandidaten für die Vizepräsidentschaft hat er sich sogar einen Vertreter des wirtschaftsliberalen Flügels der FA ins Boot geholt. Auch nach Ansicht der nationalen Unternehmerverbände geht von Mujica schon längst keine Beeinträchtigung des Investitionsklimas mehr aus.

Wirtschaftspolitisch wirbt er mit einer Erhöhung des steuerlichen Freibetrags und einer Verringerung der Mehrwertsteuer. Lacalle dagegen will Unternehmer und Besserverdienende steuerlich entlasten. Auch kündigte er an, im Falle eines Wahlsiegs das lateinamerikanische Integrationsbündnis Mercosur zu verlassen.

Unabhängig davon, wie das Duell am Sonntag ausgeht, die FA wird auch weiterhin die absolute Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses stellen. Über dessen Aufteilung wurde nämlich bereits in der ersten Wahlrunde am 25. Oktober entschieden. Eine mögliche Regierung Lacalle wäre somit stets auf Stimmen von linken Abgeordneten angewiesen.

Für Aufregung im ansonsten ruiniert geführten Wahlkampf sorgte ein Ende Oktober entdecktes Waffenlager. Trotz der noch andauernden Ermittlungen nutzte die PN das Ereignis, um ihr Hauptwahlkampfthema, die »Innere Sicherheit«, in den Vordergrund zu rücken. Ein von ihr in Auftrag gegebener Fernsehspot, der nur im vermeintlich konservativen und wenig informierten Landesinneren ausgestrahlt wurde, brachte die Waffen in direkten Zusammenhang mit der politischen Vergangenheit von Mujica. Dieser war ein führendes Mitglied der von 1963 bis 1970 aktiven Nationalen Befreiungsbewegung --Tupamaros (MLN-T) gewesen. Kapital jedoch konnte sie daraus nicht schlagen. Im Gegenteil: Die letzten Umfragewerte weisen auf eine beständige Stärkung Mujicas hin: 48 bis 49 Prozent der Wähler würden ihm seine Stimme geben. Hinzu kommt, daß einige Personen aus der zweiten Reihe der Partido Colorado (PC), die im Oktober auf dem dritten Platz landete, angekündigt haben, nicht zur Wahl von Lacalle aufzurufen.

Am Ende eines Wahlkampfes, der einschließlich der Vorwahlen schon über ein halbes Jahr andauert, merkt man allen Beteiligten die Erschöpfung an. Sollte Mujica das Duell am Sonntag wider Erwarten verlieren, hat der Hobbyblumenzüchter bereits angekündigt, sich seinem Garten und dem Billardspiel zu widmen.

* Aus: junge Welt, 25. November 2009


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