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"Die Linke, die der Rechten gefällt"

In Uruguay ist ein Exguerillero Staatschef. Doch linke Politik verfolgt seine Partei schon lange nicht mehr. Gespräch mit Gustavo Lopez *


Gustavo Lopez ist Führungsmitglied des uruguayischen Linksbündnisses Unidad Popular (Volkseinheit), einem Bündnis aus 12 maoistischen und anderen Kleinparteien.


Seit zehn Jahren hat Uruguay einen Führer der ehemaligen Stadtguerilla Tupamaros als Präsidenten und stellt seine Frente Amplio (FA, »Breite Front«) die Regierung. Warum ist da linke Konkurrenz nötig?

Ursprünglich war die Frente Amplio, der viele unserer Mitglieder angehörten, eine politische Kraft, die das Streben nach grundlegender gesellschaftlicher Veränderung am besten verkörperte. Ihr Programm war eindeutig antioligarchisch, antiimperialistisch und an den Bedürfnissen des Volkes orientiert. Im Laufe der Jahre hat sie allerdings eine Metamorphose durchgemacht und vertritt nun die Interessen des transnationalen Kapitals. Die FA-Regierung auch nur sozialdemokratisch zu nennen, wäre bereits sehr großzügig. In Wahrheit handelt es sich um eine sozialliberale Exekutive, die um jeden Preis eine Politik der freien Marktwirtschaft betreibt.

Kann man sie mit der Politik der Mitte-Linken in Chile vergleichen?

Ja, Staatspräsident José Mujica selbst hat das politische Modell von Michelle Bachelet mehr als einmal als beispielhaft, bequem und verführerisch bezeichnet. Wir betrachten sie als die Linke, die der Rechten gefällt.

Uruguay galt einmal als »die Schweiz Südamerikas«. Wie ist die soziale Situation heute?

In den letzten sechs, sieben Jahren hat eine deutliche Polarisierung der Gesellschaft stattgefunden. Der durchschnittliche Monatslohn beträgt 600 US-Dollar. Die Miete für eine bescheidene, aber anständige Wohnung für eine vierköpfige Familie liegt darüber. Für Lebensmittel muß sie im Schnitt 1000 Dollar ausgeben, und die Stromrechnung beläuft sich auf weitere 50 Dollar. Die Inflationsrate liegt aktuell bei neun Prozent, Lohnerhöhungen in der Regel aber nur bei drei. Das bedeutet, daß drei von vier Familienmitgliedern arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen.

Wie ist die Lage auf dem Land?

Da erleben wir mittels Plünderung und Enteignung eine rasche Vertreibung der Kleinbauern von ihren Böden. In den Händen der Großgrundbesitzer liegen inzwischen 60 bis 70 Prozent des Bodens, 250000 Uruguayer wohnen in Slums. Wir haben es hier nicht mal mehr mit dem alten Imperialismus zu tun, der zumindest noch eine gewisse Produktionsstruktur des Landes entfaltete, die selbstverständlich in seinen Diensten stand. Der Mythos von der unabhängigen nationalen Bour­geoisie, deren Interessen im Widerspruch zum Imperialismus stehen, ist heute zerstört.

Gibt es gewerkschaftlichen Widerstand gegen diese Entwicklung?

Knapp die Hälfte der Beschäftigten ist organisiert. Trotzdem betätigen sich die offiziel­len Gewerkschaften nur als Rechtfertiger der Regierungspolitik. Sie sind faktisch eine Filiale des Arbeitsministeriums. Wir haben es hier mit einer überwiegend bürokratisierten Gewerkschaftsbewegung zu tun, die eine abgrundtiefe Kluft zwischen Vorstand und Basis aufweist.

Uruguay leidet seit längerem auch unter einer Abwanderungswelle, oder?

Ja, unser Land vertreibt systematisch seine Jugend, insbesondere die am besten qualifizierten Jugendlichen. Allein in Argentinien lebt inzwischen eine halbe Million Uruguayer. Das ist eine echte Tragödie für die zukünftige Entwicklung. Auch politisch, denn damit verschwindet ein Eckpfeiler eines revolutionären Transformationsprozesses.

Staatschef Mujica gilt international vielen Beobachtern als charismatische Galionsfigur ...

Mujica ist ein folkloristisch geprägtes Mediengeschöpf. Es handelt sich bei ihm um einen ehemaligen Guerillero, der keine Gelegenheit ausläßt, um sich von seiner Vergangenheit zu distanzieren und den alten Traum von der Weltveränderung zu bedauern. Er liefert nichts als inhaltsleere Formeln und beschränkt sich auf die Verwaltung des Kapitalismus. Ich halte das für ein Ergebnis der Tatsache, daß er keine Lösung für die drängendsten Probleme der Menschen hat.

Wofür kämpft die Unidad Popular?

Wir wollen die Linke von der Schande befreien, in die die FA sie gestürzt hat, und sie auf Grundlage ihrer ursprünglichen Positionen wiederherstellen. Basis ist ein an den Massen orientiertes, eindeutig antikapitalistisches Programm. Wir wollen verhindern, daß die uruguayische Linke aus dem weltweiten Widerstand der Unterdrückten verschwindet.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, Samstag, 4. Januar 2014


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