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Die Islamische Bewegung Usbekistans (IMU)

Von Marcus Bensmann*

Als Anfang Dezember 2001 der Aufstand der gefangenen Talibankämpfer in der Festung Qailai Shangi im Norden Afghanistans von den Truppen Raschid Dostums und US-Spezialeinheiten blutig niedergeschlagen wurde, starben auch über 240 Kämpfer der Islamischen Bewegung von Usbekistan (IMU). Nur elf Usbeken überlebten, die später den usbekischen Behörden übergeben wurden. Die IMU unterhielt unter der Patronage der Taliban in Afghanistan Ausbildungslager und Büros. Ihre Hauptbasen befanden sich in Kundus und in den Bergen östlich von Tolaqan. Ein Resultat des amerikanischen Krieges in Afghanistan war die Zerschlagung der IMU, und damit die Beseitigung der bewaffneten Opposition gegen den Präsidenten Usbekistans, Islam Karimow. Ihre Lager in Afghanistan wurden durch das Bombardement zerstört. Der militärische Führer der IMU, Dschumaboi Namangani, soll bei einem Bombenangriff auf der Flucht von Masar-e-Sharif nach Kundus getötet worden sein.

Die IMU, die Islamische Bewegung Usbekistans, brachte sich im Frühjahr 1999 mit einem Paukenschlag in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit. In kurzen Abständen explodierten im Taschkenter Stadtzentrum drei Bomben, in dem Augenblick, als der Konvoi des Präsidenten durch die usbekische Hauptstadt fuhr. Islam Karimow entging nur knapp dem Anschlag und blieb unverletzt. Die organisatorische Durchführung des Attentats im Stadtzentrum Taschkents grenzte an ein Wunder, da damals wie heute an jeder Straßenecke in Taschkent ein Polizist stationiert ist.

Im August desselben Jahres fielen bewaffnete Einheiten der IMU in die kirgisische Südprovinz Batken ein und nahmen vier japanische Geologen als Geiseln. Die IMU wollte damals einen Korridor nach Usbekistan erzwingen, da ihr Weg von den Basen zwangsläufig über kirgisisches Territorium führte. Dann gaben sie sich mit einem Lösegeld von vier Millionen US-Dollar zufrieden, das von der japanischen Regierung gezahlt wurde.

Ein Jahr später wiederholte sich das gleiche Szenario. Die Kämpfer der IMU griffen Dörfer in Kirgistan und Usbekistan an, wurden allerdings zurückgeschlagen. Der 32jährige Usbeke Namangani aus der usbekischen Stadt Namangan im Ferganatal, ehemaliger Offizier und Afghanistankämpfer der Sowjetarmee, war der militärische Kopf der Bewegung. Politisch vertrat sein Weggefährte Tohir Juldaschew die IMU. Juldaschew hält sich aller Wahrscheinlichkeit zur Zeit im Iran auf. Die Rolle des politischen Führers blieb immer etwas unscharf. In Radiointerviews rief er zu Verhandlungen mit der usbekischen Regierung auf, was aber von Karimow brüsk abgewiesen wurde. Außer in Afghanistan unterhielt die IMU in der osttadschikischen Gebirgsregion im Garmtal Operationsbasen sowie ein Verbindungsbüro mit einer Radiostation in der nordiranischen Stadt Maschad. Das Ziel der IMU war die Gründung eines islamischen Staates im usbekischen Teil des dichtbesiedelten Ferganatals. Vor allem waren die Strategen der IMU an der usbekischen Enklave Soch interessiert, die im Ferganatal vollkommen von kirgisischen Territorium umgeben ist.

Beginn der islamischen Bewegung

Als sich nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 der ehemalige ZK-Sekretär der usbekischen Sowjetrepublik Islam Karimow zum Präsidenten wählen ließ, unterdrückte er mit aller Härte die nationaldemokratische Opposition und ging mit Gewalt gegen unabhängige islamische Bewegungen in seinem Land vor.

In den letzten Jahren der Perestroika und mit der Einführung der Religionsfreiheit wurde vor allem das dichtbesiedelte Ferganatal von arabischen Predigern überschwemmt. Das Ferganatal, eingerahmt von dem Tien Shan- und Pamirgebirge, gehört zu den am dichtesten bevölkerten Regionen der Erde. Die Grenzen dreier zentralasiatischer Staaten - Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan - sind in diesem Tal ineinander verzahnt. Vor der Sowjetisierung Zentralasiens war das Tal Zentrum vieler islamischer Bewegungen und Sekten. Die arabischen Prediger versuchten, an diese Tradition anzuknüpfen. In jedem Dorf entstanden, finanziert durch Spenden aus arabischen Staaten, neue Moscheen. Auch wenn Karimow versuchte, zeitgleich einen Staatsislam zu etablieren, so sah er doch in der unkontrollierten religiösen Welle eine Gefährdung seiner Macht. Geheimpolizei durchkämmte die Dörfer im Ferganatal, und Tausende meist junge Männer verschwanden in den usbekischen Gefängnissen. Der Verfolgungsdruck wurde nach dem Attentat von 1999 erhöht und führte dazu, daß einige hundert usbekische Familien aus dem Tal in das benachbarte Tadschikistan flüchteten. Neben der Angst vor einem radikalen Islam sahen ausländische Diplomaten in Taschkent das massive Vorgehen des usbekischen Geheimdienstes im Ferganatal vor allem als Kampfansage gegen die Machtansprüche der dortigen Clans.

Dschumaboi Namangani hatte sich mit einigen Getreuen schon 1992 nach Tadschikistan zu der Zeit abgesetzt, als sich dort die national demokratischen Bewegungen durchzusetzen versuchten. Die südlichste Sowjetrepublik Tadschikistan wurde in der Sowjetzeit immer von der Führungselite aus der Nordprovinz Leninabad regiert. Nach der Unabhängigkeit sahen die Clans aus dem südlichen Tadschikistan die Chance gekommen, ihrerseits an die Schaltstellen des neuen Staates zu gelangen. Sie organisierten sich in Parteien und Bewegungen wie Lali Badachschan, Demokratische Partei Tadschikistan und Rostorez, die zwar eine demokratische Agenda besaßen, aber die Interessen der Eliten aus dem Garmtal oder der Pamirprovinz Badachschan vertraten. Diese Parteien verbündeten sich mit der islamischen Bewegung von Tadschikistan und erzwangen so von dem damaligen tadschikischen aus der Nordprovinz Leninabad stammenden Präsidenten Nabijew eine Machtteilung. Ausgerüstet mit iranischem Geld und Beratern übernahm die islamische Bewegung Tadschikistans zum Schrecken ihrer demokratischen Verbündeten die Parolen der iranischen Revolution und beschwor so das Gespenst eines flächenübergreifenden Islamismus in Zentralasien. Erst durch eine massive militärische Intervention Rußlands und Usbekistans konnte die Koalitionsregierung im Winter 1992 zerschlagen werden. Die Opposition flüchtete nach Afghanistan. Namangani schloß sich nun der Mujahedingruppe "Vereinigte Tadschikische Opposition" an, die von Afghanistan aus operierte, und gründete darin die "usbekische Legion".

Nur manche verdienen am Frieden in Tadschikistan

Namangani arbeitete eng mit dem militärischen Führer der tadschikischen Oppositionseinheiten Mirso Siojew zusammen und wurde Chef von dessen Leibgarde. Zusammen mit Sijoew drang Namangani 1996 von Afghanistan aus nach Tadschikistan ein und innerhalb eines Jahres konnten sie faktisch den gesamten gebirgigen Osten des Landes, das Garmtal, besetzen.

Die Eroberung Kabuls durch die Taliban führte zu einer Annährung der benachbarten Länder Iran und Rußland mit dem afghanischen Feldkommandanten Ahmad Schah Masoud. Diese drängten die tadschikische Regierung und die islamische Bewegung Tadschikistans zu einem Friedensabkommen, das im Sommer 1997 in Moskau unterzeichnet wurde. Namangani und seine usbekischen Kämpfer planten, nach dem Frieden in Tadschikistan den bewaffneten Kampf gegen den usbekischen Präsidenten Islam Karimow aufzunehmen. Sie gründeten die "Islamische Bewegung Usbekistans", deren Ziel die militärische Besetzung des Ferganatals war. Die Regierung in Taschkent sollte über militärische Erfolge und Terroranschläge zumindest an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Karimow lehnte jedoch jegliche Kontakte mit der IMU ab.

Die usbekische Regierung beäugte mit Argwohn den Friedensprozeß in Tadschikistan, dessen Ergebnis die erste legale islamische Partei in Zentralasien in Tadschikistan war. Das Friedensabkommen zwischen der tadschikischen Regierung und der tadschikischen Opposition erlaubte weiterhin die Rückkehr der bewaffneten Mujahedineinheiten in das zentralasiatische Land. Die im Abkommen vorgesehene Entwaffnung dieser Verbände hat jedoch nie wirklich stattgefunden. Hinzu belohnte die tadschikische Opposition einige ihrer Kommandanten mit lukrativen Regierungsposten. Mujahedingeneral Mirso Siojew bekam den Posten des Katastrophenschutzministers, den er heute noch innehat. Viele Kämpfer gingen jedoch leer aus und schlossen sich der IMU an.

Usbekistan nahm jetzt Verbindung zu dem ehemaligen Oberst der tadschikischen Regierung Machmud Chuderberdijew auf und unterstützte ihn bei mehreren Putschversuchen. Im Herbst 1998 überfiel Chuderberdijew von Usbekistan aus die tadschikische Nordprovinz Leninabad. Erst mit massiver Hilfe der russischen Armee und der Mujahedineinheiten auf Seiten der tadschikischen Regierung konnte der Putsch niedergeschlagen werden.

Die Unterstützung Usbekistans für den aufsässigen Oberst hatte dazu geführt, daß sich die tadschikische Regierung in Duschanbe ihrerseits an die Opposition gegen Karimow erinnerte, die in Namangani einen kampferfahrenen Anführer hatte. Namangani und seine Kämpfer der neugegründeten IMU, die sich in dem osttadschikischen Gebirgsnest Tawildaru, im Garmtal - dem Heimatdorf des Mujahedingenerals Mirso Siojow - aufhielten, bekamen grünes Licht. Im Sommer 1999 unternahmen sie von dort einen Angriff auf Südkirgistan und konnten zeitweilig Batken besetzen. Ihr Ziel war die Besetzung der usbekischen Enklave Soch im Ferganatal und die Überlassung durch die kirgisische Regierung eines Korridors nach Usbekistan, da der Weg von den Basen der IMU im Garmtal nach Usbekistan zwangsläufig über kirgisisches Territorium führte.

Die unzureichend ausgerüstete kirgisische Armee war den wohltrainierten Kämpfer Namanganis hoffnungslos unterlegen. Kirgistan wandte sich hilfesuchend an Rußland, vermied aber jede öffentliche Anschuldigung Tadschikistans. Dagegen griff der usbekische Präsident die tadschikische Regierung offen an. Die tadschikische Regierung und Siojew leugneten vehement jegliche Aktivität der IMU in Tadschikistan. Doch die Situation geriet für die tadschikische Regierung außer Kontrolle. Durch die Geiselnahme der Japaner zum Held geworden, schlossen sich Namangani immer mehr tadschikische Mujahedin an, die sich durch das Friedensabkommen in Tadschikistan verraten fühlten. Zudem versprach Namangani mit seiner Kampagne gegen die usbekische Regierung Geld und Ruhm für die Kämpfer. Faktisch wurde die IMU zur einflußreichen Macht im Garmtal und die Regierung in Duschanbe verlor die Kontrolle über ihre östlichen Provinz.

Ende der IMU?

Trotz diesen Machtgewinns gelang es Siojew, Namangani zu einer spektakulären Aktion zu überreden, die demonstrieren sollte, daß der tadschikische Staat gegen die Islamisten durchgreift. Medienwirksam flogen russische Helikopter im Frühjahr 2000 Namangani und seine Kämpfer nach Afghanistan aus, ihre Familien wurden mit Bussen nach Afghanistan transportiert. Unmittelbar danach überquerten Namangani und seine Einheiten jedoch wieder den tadschikisch-afghanischen Grenzfluß und setzten sich erneut in Tawildaru fest. Von dort aus lancierte Namangani im August 2001 den zweiten Angriff auf Kirgistan und Usbekistan.

Die tadschikisch-afghanische Grenze wird vom russischen Grenzschutz bewacht, und 10.000 Soldaten stehen unter dem Kommando Moskaus am Pjandsch. Zudem ist in Tadschikistan die 201. russische Schützendivision stationiert. Ohne ein wohlwollendes Dulden der dortigen russischen Kommandanten wäre das Treiben der IMU in Tadschikistan kaum denkbar gewesen. Geheimdienstler in Duschanbe gaben zu, daß Namangani problemlos mit einem Helikopter zwischen Tadschikistan und Afghanistan pendeln konnte. Allein durch die starke Präsenz der IMU an der Grenze zu Usbekistan wurde Islam Karimow bis zum 11. September zeitweilig wieder unter russische Obhut gezwungen. Im August 2001 blieben die erwarteten Angriffe der IMU auf Usbekistan aus. Namangani kämpfte zusammen mit den Taliban im Norden Afghanistans gegen die zurückweichende Nordallianz.

Wie groß die Armee der IMU in den Jahren zwischen 1998 und 2001 war, ist schwer einzuschätzen, in einigen Presseberichten ist von bis zu 4000 Bewaffnete die Rede. Diese Zahl ist aber wohl zu hoch gegriffen, und man muß von einer Zahl unter 1000 ausgehen. Einer der wichtigsten Finanzquellen war der Opium- und Herointransit aus Afghanistan über Tadschikistan nach Zentralasien. Die IMU finanzierte sich weiterhin aus Spenden verschiedener islamischer Stiftungen. Nach dem Bombenattentat in Taschkent, den Angriffen auf Kirgistan und Usbekistan und der erfolgreichen Geiselnahme erhöhte sich das Prestige der IMU unter den islamischen Organisationen, die auf der ganzen Welt radikalislamische Gruppierungen unterstützten. Immer wieder wurden in Tawildaru arabische Emissäre gesichtet, die Namangani mit Bargeld versorgten.

Umstritten ist, inwieweit die IMU auch mit al-Qaida in Afghanistan verbunden war. In einem verlassenen Ausbildungslager der IMU in der nordafghanischen Stadt Kundus wurden Handbücher für den Jihad gefunden, die ein Grußwort an Usama bin Laden enthielten. Außerdem fand man eine Vielzahl von Namens- und Waffenlisten, sowie handgeschriebene Anleitungen zum Guerillakrieg. Gleichwohl zeigen die gefunden Dokumente, daß die IMU eine eigenständige Organisation war, die sich vor allem auf den Kampf gegen Usbekistan konzentrierte, und nicht auf weltweite Anschläge. In usbekischer Sprache gedruckte Bücher, herausgegeben von der IMU, enthalten Berichte über die Flucht vor der usbekischen Geheimpolizei. In blumiger Sprache beschreiben Augenzeugen, wie zum Beispiel Einwohner eines Dorfes aus dem Ferganatal nach Tadschikistan und weiter nach Afghanistan geflüchtet sind. Auch wenn die Berichte durchdrungen sind mit religiösen Wundererlebnissen, so kann man von deren Authentizität ausgehen. Sie geben ein beeindruckendes Bild darüber, daß Usbeken, die aus ihrer Heimat geflüchtet sind, den Kern der Bewegung bilden.

Ob die IMU nach der Zerschlagung der Taliban und der Vernichtung ihrer Basen in Afghanistan die Möglichkeit hat, sich zu reorganisieren, ist ungewiß. Einige Kämpfer sollen sich samt Familien vor den Bombenangriffen der USA aus Afghanistan wieder nach Tadschikistan geflüchtet haben. So hält sich auch hartnäckig das Gerücht, daß Namangani nicht bei dem Raketenangriff umgekommen ist, sondern ebenfalls wieder nach Tadschikistan ausweichen konnte.

* Marcus Bensmann lebt als freier Journalist in Taschkent.

Der Beitrag erschien in Heft 30 (2002) der Zeitschrift "Inamo".
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