Menschenrechte sind kein Luxusgut
Hakki Keskin über eine Reise des Bundestagsausschusses für Menschenrechte nach Usbekistan
Die Tageszeitung "Neues Deutschland" führte ein Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Hakki Keskin über dessen Eindrücke bei einer Reise durch Usbekistan, die er mit anderen Mitgliedern eines Bundestagsausschusses vor kurzem unternahm. Hakki Keskin ist u.a. Mitglied im BT-Innenausschuss.
Usbekistan steht nicht nur wegen des Andishan-Massakers im vergangenen Jahr, bei dem hunderte
Zivilisten ums Leben kamen, unter scharfer Kritik. Wie stellte sich Ihnen die Situation dar?
Uns erklärten Regierungsvertreter, dass es in Andishan eine gewaltbereite Demonstration gegeben
habe. Mehrere hundert Männer überfielen eine Kaserne, erbeuteten Waffen, stürmten ein Gefängnis
und ermordeten einige Wächter. Geplant gewesen sei eine Art Aufstand, um Präsident Islam
Karimow zu stürzen. Ob das 100-prozentig wahr ist, wissen wir nicht, aber etwas dran ist bestimmt.
Wie auch die tatsächlichen Umstände sein mögen, rechtfertigen sie nicht die Tötumg von
demonstrierenden Zivilisten.
Glauben Sie, dass tatsächlich äußere islamistische Kräfte an den Ereignissen beteiligt waren?
Ich hatte den Eindruck, dass die usbekischen Regierungsvertreter sehr sensibel auf eine derartige
Bedrohung reagieren, vor allem wegen der Präsenz von Al-Qaida in Afghanistan und Pakistan.
Diese Situation führte laut Erläuterungen der Regierungsvertreter zu der gewalttätigen Reaktion der
Regierung. Vizeaußenminister Ison Mustafojew zeigte sich mit Blick auf Afghanistan, den
Bürgerkrieg in Tadshikistan und den Machtwechsel in Kirgisstan beängstigt und beunruhigt. Darum
habe man in Andishan Härte demonstrieren müssen. Die Gefahr des Islamismus sei für den
säkularen Staat Usbekistan sehr ernst gewesen.
Nutzt Karimow die vermeintliche Gefahr des Islamismus nicht vielmehr, um seine autoritäre
Herrschaft zu rechtfertigen und Menschenrechte zu verweigern?
Das kann durchaus sein. Aber die Gefahr des Islamismus ist ja nicht erfunden, die Gefahr ist in
unmittelbarer Nähe zu Afghanistan und Pakistan gegeben.
Welche Erwartungen hegt die offizielle usbekische Seite gegenüber Deutschland?
Uns wurde gesagt: »Wir sind eine junge Republik.« Man könne deshalb nicht erwarten, dass
Usbekistan den Standards Westeuropas entspricht. Man brauche Zeit. Und ohne politische Stabilität
könne es nicht vorwärts gehen. Die Abschaffung der Todesstrafe sowie eine Justizreform seien
geplant. Man sei reformbereit, jedoch seien nach Andishan alte Ängste zurückgekehrt.
Ich bin der Meinung, dass die Bundesrepublik Deutschland im Dialog mehr bewegen kann, als wenn
wir oberlehrerhaft daherkommen und vorschreiben, was zu tun sei.
Man muss versuchen, durch enge wirtschaftliche, politische und kulturelle Zusammenarbeit Freiheit,
Demokratie und Menschenrechte zu fördern. Usbekistan wirbt vor allem um mehr Investitionen, da
es reich an Bodenschätzen ist.
Führt denn mehr gesellschaftlicher Wohlstand wirklich zu mehr Demokratie und Freiheit?
Es gibt eine These, wonach sich stabile politische Verhältnisse nicht etablieren können, wenn das
Bruttosozialprodukt pro Kopf unter 5000 Euro im Jahr liegt. Wer mit Hunger und Armut zu tun hat,
der hat andere Sorgen als Demokratie. Ein hoher Lebensstandard ist ein vorantreibender Faktor für
die Wahrung von Menschenrechten.
Sind Menschrechte also ein Luxusgut?
Nein, auf keinen Fall. Menschrechte sind unteilbar. Aber Menschen, die hungern, wollen zuerst
einmal ihre Familie ernähren, die Gesundheit muss sichergestellt sein, die Kinder müssen zur
Schule gehen können. Demokratie und Menschenrechte können sich erst nach der Linderung
materieller Nöte festigen. Und da bedarf Usbekistan der Hilfe.
* Hakki Keskin, 1943 geboren in Maçka (Hamisköy) / Trabzon in der Türkei. – Studium der Politikwissenschaft und Promotion in Politik- und Wirtschaftswissenschaften an der Freien Universität Berlin zum Dr. rer. pol. – Seit September 1982 Professor für Politik und Migrationspolitik im Fachbereich Sozialpädagogik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (university of applied sciences). – 1993-1997 als erster türkischer Abgeordneter in Deutschland im Landesparlament von Hamburg - Heute Abgeordneter für die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag
* Aus: Neues Deutschland, 2. November 2006
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