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Capriles gegen Chávez

Venezuelas Opposition bestimmt Kandidaten für Präsidentschaftswahl. Zweifel an Angaben über Beteiligung

Von Modaira Rubio, Caracas *

In Venezuela hat das Unternehmerlager die Vorwahlen der Opposition für sich entschieden. Der als dessen Vertreter geltende Gouverneur des Bundesstaates Miranda, Henrique Capriles, setzte sich bei der Abstimmung am Sonntag deutlich gegen den Favoriten der traditionellen bürgerlichen Parteien, Pablo Pérez, durch. Damit wird Capriles als Herausforderer von Amtsinhaber Hugo Chávez bei der Präsidentschaftswahl am 7. Oktober antreten. Die Chefin der Wahlkommission des Oppositionsbündnisses MUD, Teresa Albanes, verkündete am Sonntag abend (Ortszeit) nach Auszählung von 95 Prozent der abgegebenen Stimmen, daß für Capriles knapp über 1,8 Millionen Anhänger der Opposition votiert hätten. Abgeschlagen folgten Pablo Pérez mit gut 876000 Stimmen, María Corina Machado mit etwas über 103000 sowie Diego Arria mit 35000 und Pablo Medina mit 14000 Voten. Damit hat sich im Oppositionslager der Kandidat durchsetzen können, der in den rechten Privatmedien die meiste Publicity bekommen hatte.

Beobachter hoben hervor, daß die Vorwahlen der Regierungsgegner eine Demonstration der in Venezuela herrschenden Demokratie gewesen seien. Der Nationale Wahlrat (CNE) und die Streitkräfte unterstützten den ruhigen und sicheren Ablauf der Abstimmung. Die oberste Wahlbehörde stellte jedoch nur die Infrastruktur, hatte jedoch keinen Einfluß auf die Auszählung der Stimmen und die Bekanntgabe der Ergebnisse. Prompt kam es zu Spekulationen, daß es bei der Abstimmung zu Manipulationen gekommen sein könnte. So erscheint die von der Opposition bekanntgegebene Beteiligung von 2,9 Millionen Wählern technisch kaum erreichbar gewesen zu sein. Die Wahllokale waren neun Stunden geöffnet, insgesamt standen 7691 Abstimmungsmaschinen zur Verfügung. Wenn davon ausgegangen werden kann, daß jede einzelne Stimmabgabe im Durchschnitt drei Minuten gedauert hat, hätten an jeder Maschine 180 Menschen abstimmen können. Das ergibt eine Gesamtzahl von 1384380 erreichbarer Stimmen – und damit deutlich weniger als die von den Regierungsgegnern verkündete Zahl. Deren Angaben können jedoch nicht unabhängig überprüft werden.

Bei der Abstimmung wurde zudem auf die Sicherheitsmaßnahmen verzichtet, die sonst bei Wahlen in Venezuela gelten, etwa die Abnahme von Fingerabdrücken und das Markieren des Zeigefingers mit nichtabwaschbarer Farbe, um mehrfache Stimmabgaben zu verhindern. Zudem hatte das Oppositionsbündnis selbst noch eine Stunde vor Schließung der Wahllokale von einer Beteiligung von nur 800000 Menschen gesprochen. Insbesondere in den ländlichen Gebieten Venezuelas war der Andrang an die Wahlurnen offensichtlich schwach gewesen.

Auch wenn der »Tisch der demokratischen Einheit« die Vorwahlen als Erfolg und Anfang vom Ende der Regierungszeit des Präsidenten Hugo Chávez wertet, spiegeln die Teilnehmerzahlen doch eher einen Niedergang der Regierungsgegner wider. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2006 hatten sie mit ihrem Kandidaten Manuel Rosales knapp 4,3 Millionen Stimmen erreichen können – gegenüber 7,3 Millionen, die für Chávez votierten. Bei den Parlamentswahlen 2010 kamen sie auf fast fünf Millionen Unterstützer und erklärten sich bereits zur »Mehrheit«. Nun aber interessieren sich für eine Abstimmung, die für das politische Schicksal der Opposition entscheidend ist, nicht mehr als 2,9 Millionen – ihren eigenen Angaben zufolge. Und darunter könnten auch Menschen gewesen sein, die ihre Stimme bei der eigentlichen Wahl nicht der Opposition, sondern Hugo Chávez geben werden. Am 7. Oktober wird sich zeigen, wie viele Venezolanerinnen und Venezolaner tatsächlich auf der Seite der Regierungsgegner stehen.

* Aus: junge Welt, 14. Februar 2012


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