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Capriles auf Konfrontationskurs

Venezuelas Opposition stellt Nachforderungen an Wahlbehörde und attackiert die Justiz

Von Harald Neuber *

Der bei der Präsidentenwahl in Venezuela offiziell unterlegene Oppositionskandidat Capriles hat der Regierung vorgeworfen, den Urnengang gefälscht zu haben. Beide Lager haben für den 1. Mai zu Großkundgebungen aufgerufen.

Venezuelas Opposition geht auf Konfrontationskurs mit der Regierung und den Institutionen des südamerikanischen Landes. Bei einer Pressekonferenz am Mittwoch warf der bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen am 14. April unterlegene Kandidat der Rechten, Henrique Capriles, dem neuen Präsidenten Nicolás Maduro erneut Wahlbetrug vor. »Die ganze Wahrheit ist, dass ihr den Wahlsieg gestohlen habt, und diese Wahrheit werdet ihr dem Land und der Welt erklären müssen«, sagte Capriles, dessen Ton in den vergangenen Tagen stetig aggressiver geworden ist. Zugleich setzte der 40-jährige der Wahlbehörde (CNE) ein Ultimatum. Wenn sie binnen eines Tages nicht mit der Überprüfung aller Stimmen beginne, werde das oppositionelle Bündnis Tisch der Demokratischen Einheit (MUD) zu neuen Protestaktionen aufrufen.

In Reaktion auf die massiven Proteste und gewalttätigen Unruhen nach der Wahl hatte der CNE in der vergangenen Woche entgegen dem üblichen Procedere die Überprüfung von 46 Prozent der Wahlurnen angekündigt. Am Wahltag waren gemäß dem Wahlgesetz bereits 54 Prozent überprüft worden. Dabei werden unter anderem die elektronisch abgegebenen Stimmen mit parallel archivierten Ausdrucken verglichen. CNE-Präsidentin Tibisay Lucena verwies zudem darauf, dass beim Wahlprozess Mehrfachkontrollen stattfinden. Zudem seien »Wahlzeugen « beider Seiten in den Abstimmungslokalen anwesend.

Nachdem der CNE entgegen der Regierungsposition auch eine Überprüfung der bislang nicht kontrollierten 46 Prozent der Wahlurnen zugestanden hat, stellte Capriles am Mittwoch Nachforderungen. Er werde nur an einer »vollständigen Überprüfung« teilnehmen, sagte der Regierungsgegner. Sollte die Wahlbehörde den neuen Nachforderungen nicht nachkommen, werde das MUDBündnis seine Anhänger erneut mobilisieren.

Im Regierungslager wurde der herausfordernde Auftritt von Capriles als Drohung aufgefasst. Schließlich war es zu Beginn der vergangenen Woche schon zu Unruhen im ganzen Land gekommen, nachdem der mehrfach unterlegene Kandidat der Rechten nach der jüngsten Wahl zur »Verteidigung der Wahlstimmen« aufgerufen hatte.

Nach vorläufigen Ermittlungsergebnissen der Generalstaatsanwaltschaft kamen aufgrund politischer Gewalt mindestens neun Menschen ums Leben, 78 wurden verletzt. Die Übergriffe richteten sich offenbar gezielt gegen Institutionen, die mit der linksgerichteten Regierung identifiziert werden, darunter medizinische Versorgungszentren, Filialen der staatlichen subventionierten Supermarktkette Mercal und Büros der sozialistischen Regierungspartei sowie Privathäuser von Politikern.

Capriles bezichtigte Regierung und Justizbehörden über Twitter der Lüge. Nachdem die sozialistische Regierungsmehrheit die Einrichtung einer Untersuchungskommission zu den Gewaltakten beschloss, griff er auch die Parlamentarier an. »Wenn ihr mich vor Gericht stellen wollt, hier bin ich, ich habe keine Angst vor euch!«, wetterte der Oppositionspolitiker. Die Regierung ließ seine Pressekonferenz von einem Regierungsspot unterbrechen, der Bilder der mutmaßlich oppositionellen Gewalttaten zeigt. In Venezuela müssen solche Regierungssendungen parallel von allen Sendern übertragen werden.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 26. April 2013


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