Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Medienkrieg in Caracas

Venezuela: Spekulationen um Gesundheitszustand von Präsident Hugo Chávez

Von André Scheer *

Am morgigen Sonnabend kommt in Caracas die venezolanische Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung für 2013 zusammen. Zentraler Tagesordnungspunkt ist die Wahl des neuen Parlamentspräsidiums, das bislang von Diosdado Cabello geleitet wird. Ob dieser für eine weitere Amtszeit antritt, wurde noch nicht offiziell bestätigt. Demgegenüber kündigten Vertreter der Opposition an, keinen eigenen Kandidaten für die Sitzungsleitungen benennen zu wollen.

Normalerweise findet die sich jährlich wiederholende Prozedur der Parlamentskonstituierung nur mäßiges Interesse unter den Venezolanern. Diesmal jedoch steht auch diese Entscheidung im Zeichen der Erkrankung von Staatschef Hugo Chávez, denn der Parlamentspräsident steht in der offiziellen Hierarchie Venezuelas an dritter Stelle, nach dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten. Für den 10. Januar ist eigentlich die Amtseinführung von Hugo Chávez in seine neue Amtszeit vorgesehen, für die er am 7. Oktober mit klarer Mehrheit wiedergewählt worden war. Was aber, wenn er wegen seines Gesundheitszustandes nicht den Amtseid vor den Parlamentariern ablegen kann? Darüber ist in Venezuela ein heftiger Streit unter den Juristen entbrannt. Die Verfassung des südamerikanischen Landes sieht die Möglichkeit vor, daß Chávez vom Obersten Gerichtshof vereidigt wird – und offen wird diskutiert, ob dies dann auch in Havanna geschehen könnte. Sollte er sein Amt jedoch nicht antreten können, sieht das Grundgesetz innerhalb von dreißig Tagen Neuwahlen vor, die Amtsgeschäfte sollen bis dahin vom Parlamentspräsidenten geführt werden. Bei diesem Passus war die verfassunggebende Versammlung 1999 offensichtlich davon ausgegangen, daß es sich um die erstmalige Vereidigung des Staatschefs handelt, der deshalb noch keinen Stellvertreter ernennen konnte. Hingegen soll, wenn der Präsident »während der ersten vier Jahre« dauerhaft aus dem Amt scheidet, dem Gesetz zufolge der Vizepräsident das Amt bis zu den Neuwahlen übernehmen.

Parlamentspräsident ist bislang Diosdado Cabello, Vizepräsident Nicolás Maduro. Beide weisen jeden Gedanken daran, in Konkurrenz zueinander zu stehen, zurück. »Weder die venezolanische Opposition noch ihre Chefs im Ausland werden es mit dem unerschütterlichen Willen zur revolutionären Einheit aufnehmen können«, schrieb etwa Cabello im Internetdienst Twitter. Trotzdem wird im Internet und in den oppositionellen Medien eifrig versucht, die unklare Gesetzeslage für eine Spaltung des »Chavismus ohne Chávez« zu nutzen. Das Oppositionsbündnis MUD erklärte am Mittwoch (Ortszeit), am 10. Januar beginne eine neue Amtszeit, deshalb könne es keine »Kontinuität« der bisherigen Regierung geben. Das Regierungslager weist das zurück. »Chávez ist kein gewählter Kandidat, sondern ein wiedergewählter Präsident«, kommentierte etwa das linke Internetportal La Iguana. Hintergrund solcher Diskussionen ist natürlich, daß in dem Fall, daß es tatsächlich zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, Maduro – dessen Kandidatur nach dem entsprechenden Votum von Chávez im Dezember unumstritten ist – als geschäftsführender Präsident natürlich mehr Möglichkeiten zur Profilierung hätte, als wenn diese Funktion Cabello ausüben würde.

Am Donnerstag berichtete das Oppositionsblatt El Universal unter Berufung auf einen Artikel in der brasilianischen Tageszeitung Folha de São Paulo, Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff bereite eine »Aktion« vor, um für »Stabilität beim demokratischen Übergang« in Venezuela zu sorgen. Speziell gehe es Rousseff darum, einen – von niemandem sonst ins Gespräch gebrachten – »Wahlboykott durch Vertreter des Chavismus« zu verhindern, schreibt Kennedy Alencar unter Berufung auf nicht nachprüfbare »vertrauliche Quellen«.

In Washington lieferte das ­State Department den venezolanischen Regierungsgegnern die gewünschten Stichwörter. Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, forderte am Mittwoch (Ortszeit) bei der täglichen Pressekonferenz »vollständig transparente, demokratische, freie und faire Wahlen« im Rahmen einer »Transition«, falls Chávez sein Amt nicht mehr ausüben könne.

Die jüngsten Meldungen über den konkreten Gesundheitszustand des Präsidenten kamen am Mittwoch abend von Venezuelas Wissenschaftsminister Jorge Arreaza, der in Havanna ausharrt, seit Chávez sich am 11. Dezember der erneuten Krebsoperation unterzogen hat. »Comandante Chávez kämpft weiter hart und sendet seine Liebe unserem Volk. Beharrlichkeit und Geduld!« schrieb Arreaza über Twitter. »Die Ärzte haben uns gesagt, daß Präsident Chávez im Rahmen des heiklen Gesamtbildes weiter stabil ist.«

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. Januar 2013


Der Schwindel um die Gesundheit von Chávez

Bist du stolz darauf, schon mal betrogen worden zu sein? Von Luigino Bracci **

[Übersetzt von André Scheer]

Uns allen ist schon mal passiert, daß das Auto kaputt ging und wir es zum Mechaniker gebracht haben, der uns mit vielen technischen Fachbegriffen schwindelig redete. Wenn du dann nichts verstehst, nimmst du einfach an, daß er sehr viel weiß. Du überläßt ihm das Auto, bezahlst ihm viel Geld und hinterher ist alles noch schlechter als vorher.

Uns alles ist es schon mindestens einmal im Leben passiert, daß wir Rednern geglaubt haben, die uns mit ihrem großen technischen Vokabular und mit der Sicherheit, mit der sie redeten, beeindruckt haben, so daß wir ihnen blind geglaubt haben, bis wir eines schönen Tages merkten, daß sie uns betrogen.

Und manchmal passiert uns genau das Gegenteil: Wir glauben demjenigen nicht, der uns eine einfache und nachvollziehbare Erklärung der Sache gibt, auch wenn er uns in der Vergangenheit schon bewiesen hat, daß es stimmt, was er sagt.

Im Fall der Gesundheit des Präsidenten Hugo Chávez haben er und seine Familienangehörigen die Entscheidung getroffen, nicht alle Details seiner Krankheit öffentlich zu machen, ein gesetzliches Recht jedes Patienten. Bestimmte Ärzte (heute Marquina, früher Navarrete) haben diese Entscheidung ausgenutzt und vermischen ihre medizinischen Kenntnisse mit billigem Tratsch, um falsche Informationen voller extrem detaillierter technischer Erklärungen zu liefern.

Sie nutzen unsere eigene Psychologie aus, die dazu tendiert, denjenigen Glaubwürdigkeit zuzusprechen, der mit komplizierten technischen Begriffen spricht. Es kann sein, daß er nicht die geringste Idee von dem hat, was er sagt, aber wenn er voller Sicherheit und Überzeugung spricht, glauben wir ihm. Sie wollen uns schwindelig reden, uns beeindrucken, uns besoffen reden und uns davon überzeugen, daß stimmt, was sie sagen, auch wenn sie nicht Teil des Ärzteteams sind, das den Präsidenten behandelt.

Wäre es besser gewesen, alle Details der Krankheit von Chávez zu veröffentlichen? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, daß auch dann die internationale Rechte einen Skandal entfesselt hätte, sei es, weil die Krankheit sehr schwer wäre oder weil sie nicht schwer wäre oder weil die Ärzte Kubaner sind oder weil das Skalpell russisch ist oder weil sie ihn zehn Tage vor dem Ende der Welt operiert haben oder weil Maduro am 31. Dezember eine Hallaca (venezolanische Weihnachtsspezialität, Anm. d. Übers.) gegessen hat. Egal, was wir tun, sie werden uns IMMER kritisieren, und das freut mich ganz besonders.

Bist du stolz darauf, daß dich ein dummer Mechaniker betrogen hat? Läßt du zu, daß dir das nochmal passiert? Dann solltest du dich auch nicht von denen betrügen lassen, die unsere Psychologie ausnutzen, um uns einzuschüchtern und Gerüchte zu schüren.

** Aus: junge Welt, Freitag, 4. Januar 2013

Zum Gesundheitszustand von Hugo Chávez

Kommuniqué der venezolanischen Regierung zum Gesundheitszustand von Hugo Chávez vom 3. Januar 2013:

Die Regierung der Bolivarischen Republik Venezuela erfüllt ihre Pflicht, das venezolanische Volk und die Geschwistervölker über die klinische Entwicklung des Präsidenten Hugo Chávez zu informieren.

Nach dem heiklen chirurgischen Eingriff vom vergangenen 11. Dezember hat Comandante Chávez Komplikationen in Folge einer ernsten Lungeninfektion erlitten. Diese Infektion hat zu einer Atmungsinsuffizienz geführt, die vom Comandante Chávez eine strikte Erfüllung der medizinischen Behandlung erfordert.

Die Regierung der Bolivarischen Republik Venezuela unterstreicht ihr Vertrauen in das Ärzteteam, das den Comandante Präsident betreut (…).

Die Regierung der Bolivarischen Republik Venezuela warnt das venezolanische Volk vor dem psychologischen Krieg, den das transnationale Mediengebilde um die Gesundheit des Staatschefs enfacht hat, um damit letztlich die Bolivarische Republik Venezuela zu destabilisieren, den vom Volk bei den Präsidentschaftswahlen vom vergangenen 7. Oktober ausgedrückten Willen zu mißachten und Schluß mit der von Chávez geführten Bolivarischen Revolution zu machen.

Solche Vorhaben prallen jedoch auf die eiserne Einheit der um die Führung und die politischen Ideen des Comandante Hugo Chávez gesammelten Bolivarischen Regierung, des organisierten Volkes und der Nationalen Bolivarischen Streitkräfte.

Immer bis zum Sieg. Es lebe Chávez!




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