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Chavismus demonstriert Einheit

Anhänger des venezolanischen Präsidenten veranstalten symbolische Vereidigung

Von Harald Neuber *

Venezuelas Vizepräsident Nicolas Maduro hat mit Hunderttausenden Anhängern eine »Loyalitätserklärung« für Staatschef Hugo Chávez abgegeben, der wegen seiner schweren Krebserkrankung nicht wie vorgesehen am Donnerstag für eine weitere Amtszeit vereidigt werden konnte.

Der Streit um die Zukunft Venezuelas wird derzeit von der Justiz und auf den Straßen des südamerikanischen Landes ausgetragen. Am Donnerstag kamen in der Hauptstadt Caracas Hunderttausende Anhänger der linksgerichteten Regierung von Präsident Hugo Chávez zusammen, um »den Staatschef zu unterstützen und die Bolivarianische Revolution zu verteidigen«, wie die regierungsnahe Nachrichtenagentur AVN schrieb. An der Abschlusskundgebung nahmen zudem mehrere Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas und der Karibik teil. Der Chavismus und seine Alliierten demonstrierten damit die Stärke der politischen Führung, eineinhalb Jahrzehnte nach Beginn des als »Bolivarianische Revolution« bekannten Reformprozesses.

Nach den ursprünglichen Plänen sollte der Tag weitaus besonnener ablaufen. Nach Artikel 231 der Verfassung hätte Chávez am Donnerstag nach seinem deutlichen Wahlsieg am vergangenen 7. Oktober vor der Nationalversammlung vereidigt werden sollen. Die andauernde schwere Krebserkrankung verhinderte dies jedoch. Der Oberste Gerichtshof hatte kurz zuvor entscheiden, dass es sich bei diesem Umstand um ein - im zweiten Teil des Verfassungsartikels beschriebenes - »vorübergehendes Ereignis« handelt. Chávez könne seinen Amtseid daher auch später vor den obersten Richtern ablegen.

Während die Regierungsanhänger eine symbolische Vereidigung Chávez’ feierten, reagierten Vertreter der Opposition sehr unterschiedlich auf den Richterspruch. Der führende Oppositionspolitiker und Gouverneur des Bundesstaates Miranda, Henrique Capriles Radonski, akzeptierte das Urteil. Zugleich warf er den Richtern vor, der Regierung ein Problem abzunehmen.

Andere Chávez-Gegner urteilten härter: Nach Meinung der unabhängigen Abgeordneten María Corina Machado, die vor allem aus den USA massive Unterstützung erfährt, fand in Venezuela »an diesem 10. Januar ein Verfassungsputsch statt«. Jede Verhandlung mit der Staatsführung finde von nun an mit einer »Regierung ohne verfassungsmäßige und rechtliche Legitimation« statt. Machado wandte sich damit indirekt gegen Capriles, der gegen erhebliche Widerstände versucht, sich als Integrationsfigur der zerstrittenen Rechten zu behaupten. Capriles steht dabei für eine Art anti-chavistischer Realpolitik: Er scheint als einziger verstanden zu haben, dass die Opposition nach zwei verlorenen Abstimmungen im Fall von raschen Neuwahlen äußerst schlecht aufgestellt wäre. Eine Erkenntnis, die selbst in Capriles’ Partei Primero Justicia jedoch nicht von allen geteilt wird.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 12. Januar 2013


Schwur auf die Revolution

Venezuela: Zehntausende demonstrieren in Caracas ihre Solidarität mit Präsident Hugo Chávez und gegen die Manöver der Rechten

Von Modaira Rubio, Barinas **


Am Donnerstag begann in Venezuela offiziell die neue Amtszeit des am 7. Oktober vergangenen Jahres für die kommenden sechs Jahre wiedergewählten Präsidenten Hugo Chávez. In der Hauptstadt Caracas wurde dieses Ereignis mit einer Großdemonstration gefeiert, an der neben Zehntausenden Menschen Staatschefs und andere hohe Repräsentanten aus nicht weniger als 27 der 33 Staaten Lateinamerikas und der Karibik teilnahmen, die das antiimperialistische Bündnis ALBA, die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) und das von Venezuela gegründete Energiebündnis Petrocaribe repräsentierten. Auch in zahlreichen anderen Städten des Landes versammelten sich Tausende auf zentralen Plätzen, um ihre Unterstützung für den Comandante der Bolivarischen Revolution zu demonstrieren.

Mit dieser Mobilisierung reagierte die revolutionäre Bewegung Venezuelas auf eine von der Opposition in den Medien betriebene Kampagne, wonach Chávez am 10. Januar aus dem Amt geschieden sei und das Land nun – weil er krankheitsbedingt nicht am selben Tag den Eid ablegen konnte – ohne Regierung sei. Diese Argumentation hatte bereits am Mittwoch der Oberste Gerichtshof verworfen und erklärt, daß Chávez entsprechend Artikel 231 der venezolanischen Verfassung auch zu einem späteren Zeitpunkt vor den Richtern vereidigt werden könne. Die bisherige Administration sei also weiter mit allen Befugnissen im Amt (jW berichtete).

Teile der Opposition hatten für Donnerstag über Facebook und Twitter zu einem Generalstreik aufgerufen. Doch zu merken war davon in Caracas nichts. Selbst in den von den Regierungsgegnern dominierten Viertel im Osten der Hauptstadt waren alle Geschäfte geöffnet, Kundgebungen oder Demonstrationen der Opposition gab es nicht. Henry Ramos Allup, Chef der rechtssozialdemokratischen Acción Democrática und einer der schärfsten Regierungsgegner, machte sich im Internet über die Appelle seiner Gesinnungsfreunde lustig. Es sei »sehr einfach, mit der Tastatur Streiks, Rebellionen, Kriege und Zerstörungen auszurufen, damit andere sie umsetzen«. Statt dessen rufen die Oppositionsparteien inzwischen zu einer Demonstration am 23. Januar auf.

Die Großkundgebung der Chavistas am Donnerstag wird in Caracas bereits mit der Mobilisierung am 13. April 2002 verglichen, als die Venezolaner spontan und ohne die physische Präsenz ihres Präsidenten massenhaft auf die Straße gingen, um den von der rechten Opposition durchgeführten Putsch zurückzuweisen. Aus allen ärmeren Vierteln der Hauptstadt strömten Zehntausende in das Zentrum rund um den Präsidentenpalast Miraflores, Tausende reisten in Bussen aus anderen Regionen des südamerikanischen Landes an.

Vor dem »Haus des Volkes«, wie Vizepräsident Nicolás Maduro den Amtssitz in seiner Rede nannte, war eine riesige Bühne aufgebaut worden, auf der die angereisten Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas und hohe Repräsentanten Venezuelas Platz nahmen. Unter ihnen waren die Präsidenten Evo Morales aus Bolivien, Daniel Ortega aus Nicaragua und José Mujica aus Uruguay ebenso wie Vertreter aus Argentinien, Kuba, Ecuador, Haiti, Surinam und El Salvador. Aus Paraguay war der im vergangenen Jahr gestürzte Staatschef Fernando Lugo angereist, der von Maduro als »rechtmäßiger Präsident« seines Landes begrüßt wurde. Viele der Staatsgäste ergriffen bei der Kundgebung das Wort und betonten vor allem die Bedeutung Venezuelas als antiimperialistische Kraft. Selbst kleine Karibikstaaten, die sich noch vor wenigen Jahren kaum getraut hätten, offen gegen die mächtigen USA Position zu beziehen, erklärten ihre umfassende Solidarität mit dem antikolonialistischen und antikapitalistischen Kurs Chávez’. Bei einem Gipfeltreffen der Petrocaribe und der Bolivarischen Allianz ALBA verabschiedeten die Delegationen eine gemeinsame Erklärung, in der sie ihre Solidarität zur Verteidigung »der Souveränität Venezuelas gegen die Angriffe der Rechten« erklärten: »Wir unterstreichen die Bedeutung des neuen politischen, ökonomischen und kulturellen Raums ALBA-Petrocaribe, der auf Initiative des Präsidenten Hugo Chávez geschaffen wurde und eine grundsätzliche Unterstützung für die Revolution darstellt.«

Nicolás Maduro warnte in seiner Ansprache vor den Plänen der Opposition, das Land zu destabilisieren: »Es gibt einen Plan von Teilen der Rechten, bei Demonstrationen und Ausschreitungen, die sie organisieren wollen, Todesfälle zu provozieren und die Straßen Venezuelas mit Blut zu beflecken«. In einem symbolischen Amtseid versprachen die Demonstrationsteilnehmer, die Revolution und den Aufbau des Sozialismus in Venezuela fortzusetzen.

Unterstützung für die Regierung kam sogar von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Deren Generalsekretär José Miguel Insula erklärte, seine Vereinigung werde die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Venezuelas über die Legitimität der Regierung »genau respektieren«. Dieses Thema sei erschöpfend behandelt und alle rechtlichen Instanzen ausgeschöpft worden, wies er damit auch Eingaben der Opposition zurück, die ein Eingreifen der OAS gefordert hatte.

** Aus: junge Welt, Samstag, 12. Januar 2013


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