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Mit Göttern und Natur

Nach seiner Genesung steigt Venezuelas Präsident Hugo Chávez in Wahlkampf ein

Von André Scheer *

Vielleicht hat die traditionelle Heilungszeremonie geholfen, die Angehörige der Kariña-Indígenas am Montag (5. Sept.) im Hotel Alba Caracas im Zentrum der venezolanischen Hauptstadt durchgeführt haben, um sich nicht auf die westliche Medizin allein verlassen zu müssen. Aus Anlaß des Internationalen Tags der indigenen Frau riefen sie die Natur und die Götter ihrer Vorfahren an, damit Venezuelas Präsident Hugo Chávez seine Krebserkrankung überwinden kann. Diesem geht es offenbar tatsächlich besser. Schon am vergangenen Freitag ließ er sich, begleitet von einer langen Autokarawane, aus dem Militärkrankenhaus »Carlos Arvelo« in Caracas, wo er sich zum dritten Mal der Chemotherapie unterzogen hatte, in den Präsidentenpalast Miraflores zurückbringen. Beim Verlassen des Krankenhauses scherzte Chávez, er habe in der Woche der Behandlung anderthalb Kilo zugenommen und müsse aufpassen, daß er nicht zu dick werde. Auch sein behandelnder Arzt Earle Siso bestätigte gegenüber Medienvertretern, der Präsident werde »sowohl physisch wie seelisch in besserem Zustand« entlassen.

Die Anhänger des Präsidenten hoffen, daß Chávez die Krankheit tatsächlich besiegt hat, denn vor ihm liegen anstrengende Monate. Ende 2012 wird in Venezuela gewählt, und Chávez will sich für weitere sechs Jahre im höchsten Staatsamt bestätigen lassen. Gegen wen er dabei antreten wird, ist noch völlig offen. Im Oppositionsbündnis »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD) rangelt mindestens ein halbes Dutzend Politiker darum, als gemeinsamer Kandidat möglichst aller Regierungsgegner antreten zu können. Die Entscheidung soll am 12. Februar im Rahmen einer Vorwahl fallen, bei der Henrique Capriles von der Partei Primero Justicia (PJ), derzeit Gouverneur des Bundesstaates Miranda, sowie Zulias Gouverneur Pablo Pérez Álvarez von der Partei Un Nuevo Tiempo (UNT) als Favoriten gelten. Im privaten Rundfunksender Unión Radio äußerte der Journalist Martín Pacheco hingegen die Vermutung, die Opposition werde am Ende eine Frau ins Rennen schicken, um das gewachsene Selbstvertrauen der Venezolanerinnen für sich zu nutzen. Dafür käme dann vermutlich vor allem die derzeitige Parlamentsabgeordnete und einstige Chefin der von den USA finanzierten »Nichtregierungsorganisation« Súmate, María Corina Machado, in Frage. »Sie glauben, daß das Volk die Schäden vergißt, die die Rechte angerichtet hat, als sie dieses Land geführt hat, wenn sie eine Frau aufstellen«, kommentiert Pacheco. Das sei jedoch ein Irrtum. Den Venezolanern sei bewußt, daß der einzige gemeinsame Nenner der Opposition ist, Chávez stürzen zu wollen. Ein politisches Projekt könne er hingegen nicht erkennen.

Unter den Meinungsforschungsinstituten des Landes hat bereits der schon traditionelle »Krieg der Umfragen« begonnen. Mitte August machte »Consultores 21« den Regierungsgegnern Hoffnung, als es für Chávez 39,2 Prozent gegenüber 51 Prozent für einen Oppositionskandidaten prognostizierte, »wenn heute Wahlen wären«. Nahezu zeitgleich ermittelten die Konkurrenten vom Institut »Hinterlaces« für Chávez ein Ergebnis von 50 Prozent. Im Vorfeld der letzten Wahl 2006, bei der Chávez mit einem Ergebnis von 62,8 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt wurde, hatten beide Einrichtungen diesen vier Wochen vor der Abstimmung noch über zehn Prozentpunkte schwächer prognostiziert. Die regierungsnahe GIS-XXI sieht Chávez derzeit bei 56 Prozent, während nur 22 Prozent für einen Oppositionskandidaten stimmen würden. Sogar 57,8 Prozent bewerten demnach die Amtsführung des Präsidenten als »gut« oder »sehr gut«, lediglich 18,2 Prozent zeigten sich unzufrieden oder sehr unzufrieden. Dazu beigetragen haben dürfte sicherlich ein gewisser Mitleidseffekt mit dem erkrankten Staatschef, aber auch zuvor hatte das Institut hohe Zustimmungsraten für Chávez ermittelt.

Das ist für Antonia Muñoz, die der Führung der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) angehört, auch der Hauptgrund für die wiederholten Angriffe der Opposition auf den Nationalen Wahlrat (CNE), der für die ordnungsgemäße Durchführung aller Wahlen in dem südamerikanischen Land zuständig ist. »Sie wissen, daß sie den Präsidenten auf demokratischem Weg nicht besiegen können«, sagte sie am Dienstag der staatlichen Tageszeitung Correo del Orinoco. Deshalb habe die Opposition kein Interesse an »sauberem Spiel« und wolle in Venezuela eine Lage provozieren, die letztlich als Vorwand für eine ausländische Intervention dienen könne.

* Aus: junge Welt, 7. September 2011


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