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Armutsbekämpfung von unten

Venezuelas Frauenentwicklungsbank fördert mit günstigen Krediten

Der EU-Lateinamerika-Gipfel vom 11. bis 13. Mai in Wien wirft seine Schatten voraus und findet seinen Gegenpart in "Enlazando Alternativas 2" (Alternativen verbinden), dem zeitgleich stattfindenden zweiten Alternativengipfel. Daran nimmt auch Nora Castaneda teil, Präsidentin der venezolanischen Frauenentwicklungsbank. Über deren alternativen Ansatz sprach mit Frau Castaneda Manfred Bauer für das "Neue Deutschland". Wir dokumentieren das Interview.



ND: Welche Funktion hat die Frauenentwicklungsbank in Venezuela und wie kam es zu ihrer Gründung?

Castaneda: Das venezolanische »Nationale Institut für Frauen« entwickelte 1999 das Projekt einer eigenen Frauenbank. Hintergrund dieses Projekts war die Absicht, im Rahmen einer autonomen Frauenpolitik Venezuelas ein Instrument zur Bekämpfung der massiven Frauenarmut zu schaffen und gleichzeitig einen elementaren Beitrag zu einer solidarischen Volkswirtschaft zu entwickeln. Im selben Jahr, als das Projekt entwickelt und erarbeitet wurde, wurde es unserem Präsident Hugo Chávez vorgeschlagen, mit dessen Unterstützung es schließlich am 8. März 2001 realisiert werden konnte. Seit ihrer Gründung hat die Frauenentwicklungsbank einen maßgeblichen Beitrag zur Bekämpfung vor allem der Frauenarmut in Venezuela geleistet.

Wie kann man sich Struktur und Geschäftsordnung der Frauenentwicklungsbank vorstellen?

In unseren Satzungen ist verbrieft, dass die Frauenentwicklungsbank von einer Frau geleitet wird, die ihr als Präsidentin vorsteht. Seit der Gründung bekleide ich dieses Amt. Die Bank ist als Aktiengesellschaft organisiert, ihr einziger Aktionär ist der Staat Venezuela. Sie untersteht direkt dem Präsidenten sowie dem Ministerium für Volkswirtschaft. Das Geldinstitut unterstützt frauenpolitische Projekte und Initiativen und ist nicht auf die Erzielung von Gewinnen orientiert.

Geldinstitute refinanzieren sich in der Regel über die Zentralbank. Woher erhält die Frauenentwicklungsbank ihre Mittel zur Kreditvergabe?

Ihre finanziellen Mittel erhält die Bank aus einem staatlich verwalteten Fonds, der aus den Gewinnen des Erdölverkaufs gespeist wird. Ich bezeichne diese Form der Finanzierung unserer Bank als Gewinne aus dem Erdöl, die man sehen kann. Das Geld, das wir an Frauen für ihre Projekte verleihen, ist sehr niedrig verzinst, so dass nicht die gesamten Aufwendungen der Bank durch das operative Geschäft gedeckt werden können. Dafür steht uns dieser solidarische Fonds zur Verfügung.

Zu besseren Illustration der Tätigkeit Ihrer Bank: Wie wickeln sie das »normale« Bankgeschäft ab?

In der Bank arbeiten, bis auf ganz wenige Männer, die in der Zentrale in Caracas tätig sind, ausschließlich Frauen. Die Frauenentwicklungsbank unterscheidet zwei zentrale Funktionen: die Funktion der Finanzierung und die Funktion des Dienstleisters. Im Rahmen ihrer Finanzfunktion stellt die Bank Kleinkredite mit einer Mindestverzinsung von sechs bis maximal zwölf Prozent zur Verfügung. Sechs Prozent werden für Frauenprojekte im ärmeren ländlichen Bereich verlangt, im urbanen Bereich beträgt der Zinssatz für unsere Kredite bis zu zwölf Prozent. Diese Verzinsung mag für europäische Verhältnisse hoch erscheinen, doch man muss wissen, dass das durchschnittliche Zinsniveau in Venezuela für Kredite 23 Prozent beträgt. Also: Diese Kredite erhalten Frauengruppen, die solidarisch in ihrer Wohngemeinde organisiert sind und ein gemeinsames Projekt, z.B. eine Werkstatt oder eine landwirtschaftliche Kooperative gründen und betreiben wollen.

Wie gelangen die Frauen an die Kredite?

Für die Logistik sorgt ein landesweit organisiertes Netz von Repräsentantinnen, die lokale Allianzen mit Frauenorganisationen, Gemeinderäten und kleinen Unternehmen eingehen. Die Bank kommt also zu den Frauen in die Gemeinden, und solidarisch entscheiden die Frauen dann, was produziert und finanziert wird. Bisher wurden 60 000 Kredite vergeben und bereits 94 Prozent der Kommunen erreicht. Die finanziellen Mittel erreichen ausschließlich Frauen, die in Armut leben.

Sie sprachen von einer zweiten Bankfunktion. Um welche Dienstleistungen handelt es sich dabei?

Im Rahmen ihrer Dienstleistungsfunktion unterstützt die Entwicklungsbank kleinere Frauenunternehmen oder Kooperativen im technischen Bereich, bei der Ausbildung oder etwa bei der Buchführung. Einer der gegenwärtigen Arbeitsschwerpunkte der Entwicklungsbank ist die Beratung und Finanzierung bei der Entwicklung der Genossenschaftsbewegung von Frauen in Venezuela. Unsere Arbeit basiert auf Solidarität und dem Streben nach Gerechtigkeit. Daher lassen mich auch die Versuche der venezolanischen Rechtsopposition unbeeindruckt, die Projekte der Frauenentwicklungsbank als »Geldvernichtung« zu diffamieren.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Mai 2006


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